Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Alsbach bei Eisfeld und Hild-
burghausen auf dem Thüringer-
Walde den 17ten März 1845.

Hochgeschätzter Herr Kapellmeister!

Für meine Pflicht halte ich’s, Eur. Wohlgeboren, meinen ehemaligen, besten Lehrer, ergebenst zu benachrichtigen, daß ich, obgleich sich Hr. Oberjägrmeister von Holleben viel Mühe gab, doch keine Anstellung zu Rudolstadt gefunden habe, indem der Fürst durchaus nicht über den jährlichen Ausgabe-Etat schreitet, ich bin deshalb auch nicht zum öffentlichen Spiele gekommen; und in Sondershausen war, nachdem sich der Hr. Oberjägermeister dorthin gewandt hatte, auch keine Stelle leer.
Ich bin nun bereits wieder 1 Jahr im älterlichen Hause, übe täglich tüchtig; allein ich sehe ein, daß ich doch dabei durch meiner Aeltern üble Verhältnisse durchaus untergehen muß. Eur. Wohlgeb. werden mir gewiß die Frage vergönnen: Ob Sie vielleicht eine Aussicht für mich wüßten, sei es nun bei einer Kapelle, einem Stadttheater, oder bei einem Dilletanten-Chor, oder – ob Ihr Rath dahin geht, die Kunst zu verlassen. Es kommt mir schwer an, Eur. Wohlgeb. damit zu belästigen; allein Sie kennen meine Kräfte, meinen guten Willen, zudem Ihre gütige Fürsprache. Alles das kann mir kein Anderer u. ich mir selbst nicht.
Sie würden dadurch der menschlichen Gesellschaft ein Mitglied wiedergeben u. retten, welches durch mancherlei Widerwärtigkeiten und Unglück schuldlos verderben muß; denn in meinen zum Lernen besten Jahren war mir’s nicht vergönnt, irgendetwas zu lernen durch große Mißverhältnisse zu Haufe, wobei meine Kräfte nicht nur schlummern mußten, sondern sogar unterdrückt wurden, und als mir’s nun endlich, obwohl spät, möglich wurde, bei Eur. Wohlgeboren zu studieren, was ich, wie Sie selbst wissen, mit der höchsten Anstrengung benutzte, so wurde ich abermals herausgerissen, und die Lage meiner armen braven Aeltern läßt mich nie mehr hoffen, je wieder aufkommen zu können. Daher ersuche ich Eur. Wohlgeb. inständig, meine obige Bitte ja zu beherzigen, es mag geschehen, auf welche Art es nur immer sein mag; denn ich muß unter jeder Bedingung einen Wirkungskreis bekommen, da meine durch unerwartete Verluste unglückliche Aeltern wahrscheinlich das Mitleid ihrer Verwandten suchen müssen. Bester Hr. Kapellmeister, ich weiß, wie so viele andere Sterbliche, nicht, wie u. wodurch ich so ein so fürchterliches Schicksal verdient habe, und kann die weisen Rathschläge der Vorsehung ebenfalls auch nicht begreifen. Unerforschlich sind die Wege Gottes. Eur. Wohlgeb. habe ich nicht nöthig zu bitten, von meiner Leidensgeschichte keinen weiteren Gebrauch zu machen. Einem baldigen, günstigen guth. Einer Antwort entgegen sehend, habe ich die Ehre, zu sein

Eur. Wohlgeboren
Ganz ergebenster
dankbarer Schüler
Oscar Greiner.

Autor(en): Greiner, Oscar
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Holleben, Anton von
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Rudolstadt
Sondershausen
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845031740

Spohr



Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (04.12.2019).