Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Catlenburg am 16ten März 1845.
So, mein innigst verehrtester Gönner! ist nun die Oster-Woche heran gekommen, und noch immer der endlos tiefe Winter ohne irgend eine Aussicht nahe bevorstehender Aenderung! – so daß mir zweyfelhaft und selbst sehr unwahrscheinlich wird, daß die Oratorium-Aufführung1 in der Kirche am Charfreytage im Reiche der Ausführbarkeit bleibe! – da es in der Kirche jetzt ohne Zweyfel doch noch möglich kälter ist, als im Theater. –
Wäre ich Egoist genug dazu: so könnte ich mich dessen erfreuen! mit der Hoffnung das Oratorium unter solchen Umständen auf Pfingsten verlegt zu sehen! – indem wahrere Geschäftsverhältnisse mir verbiethen, der so anziehenden Gewohnheit zu folgen, die Oster-Woche an den Stufen Ihres begeisterden Parnasses zu genießen! – auf tausendfache Weise erquickt und mit den erheiterndsten Reminiscenzen erfüllt durch Ihre und Ihrer genialen Frau Gemahlin stets so große Güte auf den ganzen Sommer hinaus! –
Am 29st d.M. müssen unsere zur Leipziger Messe bestimmten jungen Pferd abgehen, deren ich selbst am 1st k.M. folgen muß, um am 3t gleichzeitig mit denselben in Leipzig einzutreffen; und vorher muß nothwendig noch so manches erledigt werden, daß ich die noch vorweg zu nehmende Wallfahrt zu Ihrem wonnenvollen Oratorii, wenn diese Grönländische Temperatur auch nicht so bedrohlich für dessen wirkliche Aufführung wäre, mir nicht wohl vergönnen darf! – so groß die Resignation auch ist.
Ich werde denn an dem Charfreytage in dem durch Ihre große Güte in den Besitze meiner Frau innigst werthgehaltenen Clavier-Auszuge Ihres erhebenen Oratorii einige Stunden in aller Stille studiren! – und, als an dem einstigen Geburtstage des urgroßen Joh. Seb. Bach, auch einige dessen vierstimmiger Choräle mit verdoppelter Kunst-Andacht an solchem mir geschäftlos zu stellenden Abende spielen! –
Eine eigene Fügung ist‘s, daß der Charfreytag im v.J. auf Ihren und in d.J. auf des alten Bach Geburthstag fiel! – woran der Ideen sich erhebend gar manche knüpften, die ich zu der Besingung beyder für das ganze MenschenGeschlecht so2 gewichtvollen Geburthstage unterlegen würde, wenn ich Dichter wäre! – wollen die Leipziger Geschäfte es erlauben: so werde ich einen Eisenbahn Abstecher auch nach Dresden machen; und dann insbesondere auch Graf Kuefstein meine Glückwünsche ausdrücken zu dem Hochgenuß, den Ihre Oper3 im Juli ihm verheiße! –
Am Schlusse der diesjährigen Wurst-Saison, wünschen wir Ihnen und Ihrer theuren Frau Gemahlin denn noch den fröhlichsten Apetit für die beygehenden Exemplare derselben! – Verwöhnt durch Ihre große Güte darin, fügen wir die gehorsamste Bitte hinzu, Ihrer verehrten Frau Tochter4, 1 Roth- 1 Leber- und 2 Weis-Würste, so wie der Frau von Malsburg 1 Leber- und 1 Weis-Wurst unter unseren herzlichsten Empfehlungen hochgeneigtest mittheilen zu wollen. – Verzeihen Sie freundlich die Belästigung! es wollen sich ein Mahl wieder keine kleinen Schachteln für die Separat-Verpackung sofort5 heran finden lassen, und ich bin inbegriffen zur Frühjahrs-Sitzung des Niedersächsischen Schafzüchter-Vereins für 2 Tage zu gehen, auf deren Verlauf ich die Absendung nicht warten lassen mögte! –
In höchster Spannung, ob die Oratorien-Aufführung ausführbar bleiben wird, Unverwandelbar innig
Ihr wärmster u dankbarster Verehrer
CFLueder.
G.N.S. Käme ich nach Dresden: so würde ich auch versuchen, sub titulo einer von Ihnen zu bringenden Empfehlung die interessante Bekanntschaft des Rich. Wagner zu machen! – u auch ihm von der Wirkung der Oper erzählen! –
Autor(en): | Lueder, Christian Friedrich |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Bach, Johann Sebastian Kuefstein, Franz von Lueder, Wilhelmine Henriette Caroline Malsburg, Caroline von der Spohr, Marianne Wagner, Richard Wolff, Ida |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer |
Erwähnte Orte: | Dresden Leipzig |
Erwähnte Institutionen: | Cäcilienverein <Kassel> Hofkapelle <Kassel> Hoftheater <Dresden> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845031635 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 14.02.1845. Spohrs Antwortbrief vom 26.03.1845 ist derzeit verschollen. Dazwischen liegt noch Lueder an Spohr, 20.03.1845, der jedoch erst Lueder an Spohr, 10.04.1845 beilag.
[1] Des Heilands letzte Stunden.
[2] „so“ über der Zeile eingefügt.
[3] Die Kreuzfahrer.
[4] Ida Wolff.
[5] „sofort“ über der Zeile eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.06.2021).