Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck 1: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 290 , Anm. * (teilweise)
Druck 2: LaMara (= Pseud. für Marie Lipsius), Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten, Bd. 2, Leipzig o.J., S. 64ff. (teilweise)
Inhaltsangabe: Computerdatei von Herfried Homburg († 2008) nach einem Exzerpt von Franz Uhlendorff

Cassel, den 13ten Februar 1845
 
Geliebter Freund,
 
Ich freue mich, daß ich endlich einmal Veranlassung finde, Ihnen zu schreiben, weil mir dadurch Aussicht auf einen Brief von Ihnen eröffnet wird ...
Die Aufnahme, die meine Oper hier gefunden1, hat mich besonders erfreuet, weil ich kaum hoffte, daß sie das große Publicum ansprechen werde. Ich bin aber nun um so fester überzeugt, daß der Komponist für den Erfolg nicht besser sorgen kann, als wenn er seine Musik auf's genaueste der Handlung anpaßt, vorausgesetzt, daß diese von Interesse ist und sich zu muikalischer Bearbeitung eignet. Es ist aber bey solchem Verfahren nicht leicht, für die Musikstücke Formen zu finden, die sich den gebräuchlichen annähern und zur Entwickelung der musikalischen Gedanken und Figuren Gelegenheit geben. Ich bin nun sehr gespannt, wie die Oper, die bereits von mehreren Theatern verlangt ist, auswärts aufgenommen werden wird. es wird dabey viel von einem recht genauen Einüben abhängen, denn die Oper ist schwer und kann nur wirken, wenn Handlung und Musik auf das genaueste in einander greifen. Ich bin eingeladen worden, sie Anfang Juli in Dresden selbst zu dirigieren und freue mich sehr darauf, da sie dort in den Hauptparthien Balduin, Emma, und die Äbtissin durch Tichatschek, Gentilhuomo und Schröder-Devrient ganz vortrefflich besetzt werden kann. Hier blieb in dieser Beziehung manches zu wünschen übrig; doch haben die Sänger das Mögliche geleistet und nie in einer Oper größern beyfall erlangt. sie durtirten aber auch mit großem Eifer und gewannen ihre Parthien immer lieber, obgleich auch nicht eine Coloratur oder anderer Apparat zum Brilliren darin ist, da ich mich nicht entschließen konnte, auch nur eine Note Brillirens wegen hinzuzusetzen. Der Clavierauszug wird binnen kurzen bey Schuberth in Hamburg erscheinen. Sollten Sie Gelegenheit finden können, den Director des dortigen Theaters auf die Oper aufmerksam zu machen, so bitte ich Sie darum, da ich sie nicht gern selbst antragen mögte. Vieleicht thäte dies auch David, wenn sie ihn in meinem Namen darum ersuchten.
Ich freue mich sehr darauf, Sie in der Ferienzeit zu sehen und Ihre kleine Familie kennen zu lernen. Ihrer lieben Frau die herzlichsten Grüße. Wie immer ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr
 
NS. Am Charfreitage geben wir „des Heilands letzte Stunden”. Ich vermisse sämtliche Soloparthien und mögte daher gern wissen, ob ich sie Ihnen mitgesandt und zurückerhalten habe. Die Orchesterstimmen sind seit der Zeit schon wieder verborgt gewesen.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Hauptmann, Moritz
Erwähnte Personen: David, Ferdinand
Gentiluomo-Spazzer, Louise
Schröder-Devrient, Wilhelmine
Tichatschek, Joseph
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Dresden
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Dresden>
Hoftheater <Kassel>
Schuberth <Hamburg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1845021303

https://bit.ly/

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hauptmann, 03.03.1844. Der nächste belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hauptmann, 10.06.1845.
Die Wiedergabe folgt hier dem vollständigerem Druck 2. Uhlendorff merkt in seiner Inhaltsangabe nur an: „Über die Kreuzfahrer”.
 
[1] Vgl. O[tto] K[raushaar], „Cassel, im Januar 1845”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 256-260, hier Sp. 256.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.01.2016).

Ich konnte mich nicht entschließen, auch nur eine unnötige Note des Brillirens wegen hinzuzuschreiben.