Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 19t Dezember 1844.

Erlauben Sie, mein innigst verehrtester Gönner! Ihnen und Ihrer theuren Frau Gemahlin den besten Apetit für die beygehenden frischen Würstel wünschen zu dürfen; die indessen dieses Mahl so klein von Person sind, als die beyden jungen Schweinchen selbst es noch waren; vielleicht aber eben dadurch um so wohlschmeckender.
Wollen Sie vielleicht der Frau v. Malsburg eine Leber- und eine Weiswurst davon zusenden: so bitten wir um unsere herzlichste Empfehlung dabey! –
Noch immer genieße ich an der Rückerinnerung des dortigen ersten über alle Maaßen interessanten Abonnement-Concertes! – u sehne mich um so mehr vorzugsweise nach dem, in welchem Sie Selbst das darauf stets so gespannte Publicum durch Ihre bezaubernde Behandlung der Königin aller Instrumente wiederum beglücken werden1! –
Auch Rittmüller ist noch immer ganz voll von dem großen Genuße jenes Abends! – Mein Instrument habe ich Vorgestern von ihm wieder erhalten, und habe nun allerdings noch entschiedener die Empfindung, ein etwas gleich befriedigendes unter den Fingern gehabt, noch solche Töne, eines Flügels gehört zu haben. – Der für die obere Hälfte der Claviatur hinzugefügte Klangbalken ist allerdings noch wieder in anderer Art angewandt, als bey Derska’s pp Instrumente. –
Morgen werde ich die Freude haben, den genialen Jean Bott in Goettingen zu sehen u zu hören; u hoffentlich maine Frau auch. Rittmüller, u auch Graf Wintzigerode, haben sich alle ersinnliche Mühe für des Abends Begünstigung gegeben. Es ist aber uns der verkehrte Zeitpunkt! --- so kurz vor Weyhnachten, vor dem Studiosa das Geld noch mehr als gewöhnlich fehlt, manche schon die Ferien-Reise angetreten haben, und auch manche Familie durch die Presse der Weynachts-Arbeiten abgehalten werden, oder doch einen anständigen Entschuldigungsgrund des Zuhausebleibens daraus zu Hülfe nehmen können! – da es bey solchen Gelegenheiten nun ein Mahl nicht zu entbehren steht, auch den Wunsch eines nur äußeren Anstriches der Kunstliebe hie u da für Füllung des Saales mit zu benutzen!! –
Ich remonstrirte2 daher gleich mit dem Rathe, bis in die Woche nach Neujahr zu warten; wo der Studiosus frischen Wechsel mitbrachten pp. Bott der Vater hat aber Rittmüller erwidert, daß es nach Neujahr nicht stattfinden könne, weil er am 3t oder 4t mit trefl. Jean wiederum eine Kunstreise antreten werde, worüber ich mich denn bey der vorjährigen Schwierigkeit der Urlaubsperrumg sehr gefreut habe! –
Von des August Kömpel drey Schwestern habe ich einen gemeinschäftlichen wirklich rührenden Brief schwesterlicher Liebe für den August, der für die in dieser armen Familie doch durch u durch einheimisch seyn müssenden Gemüthlichkeit zu sehr spricht, um nicht die Ueberzeugung wieder mehr zu gewinnen, daß der Vater nur3 durch wirkliche Noth dazu fortgezogen ist, in Rechnung(?) auf Königl. Großmuth für den Augenblick anzugreifen, was ihm für Ausbildung des Knaben vertraut war! – „Noth bricht Eisen!!“
Die Post drängt! – Eine demnächstige Notiz, wann die General-Probe Ihrer Oper4 ist, werde ich dankbar vernehmen und benutzen.
Ein Geschäft, bey dem ich nicht fehlen darf, ist glücklicher Weise erst nach Neujahr angesetzt; so daß es genügt, wenn ich am 3t oder 45 wieder hier bin. –
Unwandelbar innig

Ihr
dankbarster Verehrer
CFLueder



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 29.11.1844. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 14.01.1845.

[1] Spohr spielte beim Abonementkonzert am 04.12.1844 gemeinsam mit Jean Bott seine Concertante für zwei Violinen und Orchester op. 88 (vgl. O[tto] K[raushaar], „Cassel, im Januar 1845”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 47 (1845), Sp. 256-260, hier Sp. 256).

[2]remonstriren, Einwendung oder Gegenvorstellungen machen“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 401).

[3]nur“ über der Zeile eingefügt.

[4] Die Kreuzfahrer.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.05.2021).