Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 152

Seiner Wohlgeboren
Herrn Capellmeister Spohr
berühmten Componisten
in
Cassel.

fro.1


Frankfurt den 6 ten December 1844.

Hochverehrter Freund!

Nicht als Zudringlichkeit, oder als Blindheit oder Eingenommenheit für sein Kind, bitte ich es zu nehmen, wenn ich abermals die kleine Oper2 von meinem Sohn Aloys bei Ihnen in Erinnerung bringe.
So wie bei mir die Jahre drängen, um nach möglichen Kräften thätig zu sein und sich Bahn zu machen, so verhält es sich, zwar umgekehrt, gerade bei meinem Sohn. Ich muß mich beeilen, noch vor Thoresschluß einige Früchte für mein geringes Talent einzuerndten. Noch bis auf den heutgen Tag hat die Welt mir auch noch nicht das allergeringste zutheil werden lassen, weder Stelle noch sonst irgend etwas während man andern reiche Gaben spendete. Jedoch ich murre nicht, denn der gütige Himmel hat es sehr gnädig mit mir gemeint; und was mein künstlerisches Wirken anbelangt, so werde ich aufrühren(?), welches ich nur kann, wenn ich nichts Neues schaffe. Was nun mein Sohn anbelangt, so wissen Sie, ist dieser 17 Jahre alt, welches – wenn nehmlich erst jemand das ist, was er wirklich bereits ist und als Componist leistet, auch benutzt werden muß, namentlich heut zu Tage. Sie hochverehrter Freund werden sicherlich nicht vermuthen, wie seine Musik ist, und wenn ich auch fern bin, sie für eine Art Meisterwerk ausgeben zu wollen, wo doch die Jahre sehr in Anschlag gebracht werden müßen, so darf ich Ihnen die Versicherung geben: das Klarheit und verstand, Melodie und Erfindung drin ist, so wie Sie den dramatischen Anforderungen entsprechen wird, welches mir von dem Jungen unerklärlich ist, und von mir nur dadurch erklärt werden kann: daß die heutige Menschheit, den Eisenbahnen gleich, ihre Bahn schneller macht als zu meiner Zeit. So viel ist mir klar, daß die 17 Jahre auch interessiren werden, und wird lange gezögert, so werden 18 drohen(???), welches ich doch nicht möchte.2 Zudem kommt eine für mich fatale Eigenthümlichkeit von meinem Sohn hinzu, die mich umso mehr mahnt: die Sache möglichst zu justiren(???). Er ist – was das Leben angeht – etwas schlaff und für mich nicht energisch und feurig genug, und wird nicht für ihn gehandelt, so bleibt alles liegen. Auf der anderen Seite möchte es wieder nicht leicht zu berechnen sein, was es für einen Erfolg auf ihn und sein schlafendes Talent hat, wenn ein Werk der Art zur Aufführung kömt. Lernen Sie ihn selber genauer kennen, und Sie werden sagen: daß ich Ihnen nicht zu viel von ihm gesagt. Es ist wahrhaft für einen gedinten(?) Grenadier, wie ich, fast entmuthigend zu sehen: wie der Junge leicht arbeitet, und mir doch jede seiner Arbeiten Studium und Nachdenken verrathen. Seine letzte Symphonie setzte uns, Herrn Vollweider und mich, in Erstaunen und beim letzten Satze kann man wirklich nicht Augen genug auftreiben, um aufzufinden: wie kunstreich das Stück geschrieben ist. Ohne den mindesten Vergleich wagen zu wollen, erschien mir‘s in der Art wie das Finale in der sogenannten Fugensymphonie von Mozart. Soviel ist sicher, den Contrapunkt hat der Junge entsetzlich los, und sonderbar – in seiner Oper ist keine Spur solcher kunstreicher Schreibart zu finden. Auch gegen den edlen Freund sage ich dieß alle nur nothgedrungen, aber indem ich dieß thue, so hoffe ich, werde ich nicht dadurch bei Ihnen verlieren, mein Sohn aber gewinnen. Bitte, machen Sie, daß seine Oper bald bei Ihnen gegeben wird. Falls Hinderniß obwalten sollten, soll und kann ich nicht selber Schritte thun, die schneller zum Zeile führen? Ihren Rath.
Meine neue Oper „die Tochter der Wüste“ ist lange schon fertig, und ich will jezt sehen, meine Waare an den Mann zubringen. Wie glücklich war ich dießmal mit dem Sujet! und zum erstenmal fühle ich keinen Ekel an meiner eigenen Musik, wenn sie erst fertig. Das herrliche Sujet mag auch mit daran schuld sein.
Auf gütige baldige Antwort hoffend, empfehle ich mich Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin auf‘s angelegentlichste

Ihr Sie hochverehrender
Freund Aloys Schmitt.

Aloysens Oper hat, wie ich Ihnen schon bemerkt, i Ackt, und das Sujet ist von Scribe; allerliebst! da wenig Chöre drin sind so kann man sie in ganz kurzer Zeit einstudiren.

Autor(en): Schmitt, Aloys
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Schmitt, Georg Alois
Vollweiler, Georg Jacob
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Sinfonien, KV 551
Schmitt, Aloys : Das Osterfest zu Paderborn
Schmitt, Aloys : Die Tochter der Wüste
Schmitt, Georg Alois : Sinfonien
Schmitt, Georg Alois : Trilby
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844120645

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 22.08.1844. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 15.02.1846.

[1] Neben dem Adressfeld befinden sich noch drei Poststempel, von denen jedoch nur einer lesbar ist: „Frankfurt / 6 / DEC. / 1844. / 11-12“.

[2] Trilby (vgl. Schmitt an Spohr, 15.02.1846).

[3] Vgl. zur Uraufführung von G.A. Schmitts Trilby: „Jetzt gehen die Wunderkinder also auch schon unter die Komponisten“ („Theater-Telegraph“, in: Humorist 9 (1845), S. 1247).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.04.2020).