Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.4 <Pott 18441124>

Cassel den 24sten Nov.
1844.

Mein geehrter Freund,

Beym Empfang Ihres lieben Briefs war ich so mit Geschäftscorrespondenz überhäuft, daß ich erst jetzt dazu kommen konnte, ihr Concert mit Ruhe durchzusehen und jenen zu beantworten. Zuerst hat mich die neue Form Ihres Concerts interessiert, in welcher, so viel mir die neuere Concertmusik bekannt ist, noch kein anderes existirt. Während die neueren Concertinos, oder Concerte ohne Zwischenpausen, gewöhnlich aus einem halben ersten Allegro, einem Adagio-Fragment und einem mehr oder weniger ausgeführten Rondo bestehen, geben Sie nach dem Adagio, die 2te Hälfte des ersten Allegro und runden auf diese Weise das Ganze viel besser ab, als es in der gewöhnlichen Concertinoform geschieht. Mir war diese Form von jeher zuwieder, weshalb ich immer für die jetzt beliebten kürzern Concerte ohne Zwischenpause auf neue Formen sann, wie in meiner Gesangscene und den 3 Concertinos. Auch habe ich so aber wieder, für mein Auftreten in unsern Winterconcerten, mir ein neues Concert geschrieben und abermals eine neue Form versucht. Doch um(?)wieder auf das Ihrige zu kommen, so finde ich wie gesagt, die Form viel abgerundeter als die unserer modernen Concertinos; glaube jedoch, daß man in dieser Form für ein gemischtes Concertpublikum leicht zu ernst werden kann und daß1 dem Spieler die Gelegenheit genommen ist, sich auch im Vortrage des Graziosen und Piquanten zu zeigen. Ob ersteres auch bey Ihrem Concerts der Fall ist, werde ich erst beurtheilen können, wenn mir einmal die Freude zu Theil geworden ist, es zu hören, worauf ich im nächsten Sommer bey unserm projektirten Besuch recht sehr hoffe. Nun auf den Inhalt übergehend, so habe ich mich zuerst über die grandiose und zugleich brillante Prinzipalstimme gefreut, aus deren Bezeichnung in Stricharten und Fingersatz zugleich auch Ihr edles Spiel hervorleuchtet, welches sich zu meiner großen Freude von den Scharlatanismus und dem faade süßlichen der modernen Violonvirtuosität frei erhalten hat; ferner über die sorgfältig gearbeiteten Tutti‘s und die gute Instrumentirung. Was den Periodenbau und die Modulation in demselben betrifft, so hätte ich wohl einige Ausstellungen zu machen,2 z.B. daß der Schluß der ersten 8 Takte in der Dominante, sich genau eben so in den folgenden 8 Takten wiederholt, während man hier viel eher und naturgemäßer3 einen Schluß in der Tonika erwartet hätte. Dasselbe wiederholt sich auch bey dem Mittelgedanken des ersten Solos und bey dessen Wiederholung in der Haupttonart. Doch sind dieß nur Kleinigkeiten und finden vielleicht nur in meiner persönlichen Ansicht vom Periodenbau ihre Begründung?! Im Ganzen genommen hat mir Ihre Arbet sehr gefallen und ich wünsche schlicht, sie einmal von Ihnen vorgetragen zu hören. - Dieß führt mich auf Ihre wiederholte freundliche Einladung. Recht gern mögten wir, meine Frau und ich, einmal einige Tage mit Ihnen und den Ihrigen musikalisch verleben und das musikliebende Oldenburg kennen lernen. Sollten Sie daher Veranlassung finden nächsten Sommer, in der Zeit meiner Ferien von Mitte Juni bis Ende Juli, eine öffentliche Musikaufführung zu irgend einem wohlthätigen Zwecke zu veranstalten, so werde ich gern eine Woche meiner Ferienzeit zu der Reise zu Ihnen verwenden und an derselben als Dirigent und wenn Sie es wünschen, auch als Solospieler theilnehmen. Doch wünschte ich, daß es die erste oder letzte Woche der Ferienzeit seyn könne, weil ich auch eine Reise nach Berlin projektire. Für Ihr gütiges Anerbieten, mir ein eigenes Concert veranstalten zu wollen, danke ich herzlichst; doch kann ich keinen Gebrauch davon machen, da ich schon seit einer langen Reihe von Jahren es aufgegeben habe, eigene Concerte zu geben.
Unter herzlichen Empfehlungen meiner Frau an die liebe Ihrige mit wahrer Freundschaft stets ganz

der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Pott, August
Erwähnte Personen: Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Pott, August : Konzerte, Vl Orch, op. 25
Erwähnte Orte: Oldenburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844112407

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Pott an Spohr, 06.11.1844. Pott beantwortete diesen Brief am 27.12.1844.

[1] „daß“ über der Zeile eingefügt.

[2] „zu machen,“ über der Zeile eingefügt.

[3] „und naturgemäßer“ am linken Seitenrand eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (24.11.2020).