Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeboren
Hn. Kapellmeister Dr. L. Spohr
in
Cassel

frei.


Mein hochverehrter Meister!

Eingedenk der großen, unaussprechlichen Güte, mit der Ew. Wohlgeboren bisher Theil an mir nahmen u. mir gestatteten, mich Ihnen zu nahen, wage ich es, folgende Zeilen an Sie zu richten, u. in diesen eine Bitte auszusprechen, deren Gewährung vielleicht den seegenvollsten Einfluß auf mein ganzes zukünftiges Leben haben kann.
Ehe ich jedoch zur Sache selbst übergehe, muß ich zumindest um Nachsicht wegen dieser Zeilen bitten, weil sie wahrscheinlich unbeholfen genug ausfallen werden, da ich das, um was es sich handelt, erst im Augenblick durch die Post erfahren habe, u. ich von jetzt an bis zu der Zeit, wo dieser mein Brief an Ew. Wohlgeboren auf der Post abgegeben sein muß, nur noch über ein kleines halbes Stündchen zu disponiren habe.
Einer meiner Bekannten aus Weimar meldet mir nämlich, daß in vergangener Nacht der Chordirector Häser vom Hoftheater in Weimar gestorben sei.1 – Die jetzt also erledigte Stelle bietet mir im Vergleich zu meiner jetzigen zu viele Vortheile, als daß der Wunsch und das Streben in mir nicht rege werden sollte, obige Stelle zu erhalten, zumal die Aussicht auf Hanau ganz verschwunden zu sein scheint. Ich habe daher beschlossen, mich zu der Chordirectorstelle in Weimar zu melden, u. zwar so schnell als möglich, da sie allem Vermuthen nach nicht lange unbesetzt bleiben wird.2 Um meiner Meldung nun den rechten Nachdruck zu geben, ersuche ich Sie, mein hochverehrter Meister, um ein Zeugniß über meine Leistungsfähigkeit. Ein Wort von Ihnen wirkt mehr als meine sämmtlichen Arbeiten. – Doch die Zeit ist abgelaufen!
In der Hoffnung daß Ew. Wohlgeboren Nachsicht mit mir haben u. mich bald mit einigen Zeilen beglücken wollen bin ich mit unbegrenzter Hochachtung u. Verehrung
Ew. Wohlgeboren

ewig dankbarster und ergebenster
F. Kühmstedt

Eisenach am 31t Octbr
1844.

Autor(en): Kühmstedt, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Häser, August Ferdinand
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Weimar>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844103140

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 03.04.1844. Das in diesem Brief erbetene Zeugnis von Spohr für Kühmstedt ist derzeit nur als Entwurf auf dem Autograf dieses Briefs überliefert.

[1] „Nekrolog [...] August Ferdinand Häser”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 849-852 gibt als Datum erst den 01.11.1844!

[2] Noch 1846 meldete das Staatshandbuch für das Großherzogthum Sachsen die Stelle des Chordirektors als „dermalen unbesetzt“ (S. 37). Der dort noch als kommissarischer Dirigent angegebene Heinrich Rötsch war spätestens 1851 regulärer „Chor-Dirigent“ (ebd. (1851), S. 39).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (16.07.2020).