Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Braunschweig, den 22. October 1844.

Hoczuverehrender Herr Hofcapellmeister!

Bereits sind seit unserem Musikfeste 3 Wochen verflossen, ohne daß unser Verein seiner nunmehrigen ersten Pflicht gegen Ew. Hochwohlgeboren, den des Dankes, nachgekommen ist. Die Schuld liegt nicht, wie Sie an und für sich wohl annehmen dürften, an mir, sondern nur daran, daß gleich nach dem feste ein großer Theil der Vereinsmitglieder, von dem milden October verlockt, sich in aller Welt zerstreuet und das durch die Beendigung mancher Festangelegenheiten, und so auch dieser verzögert hat.
Nun aber haben Sie vollends, was mich selbst betrifft, feurige Kohlen auf mein Haupt gesammt, indem Sie mich durch ein so freundliches (ich wage es gar nicht nachzuschreiben, was Sie selbst so freundlich auf den Titel Ihrer Duettinen gesetzt haben: freundschaftlichses) Andenken wahrhaft übermachten. Hatte es mir doch schon während Ihres hiesigen Aufenthaltes Sorge gemacht, daß ich wegen meines damaligen körperlichen Unwohlseins, meiner Geschäftsverdoppelung im Dienste und gar mancher geheimen Cabalen, mit denen ich ein Musikalischen und Festlichen unseres Unternehmens zu kämpfen hatte, es so oft an mir fehlen und manches ganz unausgeführt lassen müßte. Desto erfreulicher war es für mich, thatsächlich durch ein so liebes Geschenk ganz unvermuthet zugleich zu erfahren, daß Sie wenigstens meinen guten Willen nicht verkannt zu haben scheinen, und ich darf deshalb meinen persönlichen Dank nicht länger zurückhalten, sollte ich darüber auch mit meinem officiellen nur um so ausfallender nachgeschickt kommen.
Gewiß! die schönen, vom Himmel in so mancher Hinsicht begünstigten Tage unseres Musikfestes werden wir unvergeßlich sein, so schnell nie auch vorübergegangen sind. Dazu hätte es auch gar nicht eines für mich so werthvollen Andenkens bedruft, welches ich nur aber um so höher halten werde, besonders als eine Erinnerung an den Vorabend des Festes, den 27., an welchem sich Geiger und Pfeifer vereinigten, um das Fest so bedeutungsvoll zu eröffnen.
Da0 sich aber Ihre Frau Gemahlin die Uebersendung Ihrer Tonlieder (über welche ich mir wohl eine ausführliche Mittheilung vorbehalten möchte) auch auf eine gewisse, etwas übereilte Herzenserießung bezogen, hat mich im Gefühle der Mängel des Letzteren doch fast geängtigt. Nur um zu meiner Beruhigung doch etwas Gelungenes von mir in Ihren Händen zu wissen, habe ich deshalb wenigstens die hauptsächlichsten Mängel ausgemerzt, welche für den Augenblick wohl der Augenblick bei Ihnen entschuldigt haben mag, nicht aber für die Folge entschuldigen kann, und erlaube mir nun die Bitte: nach Empfang der beigehenden Exemplare alle in Ihren befindlichen zu vernichten. So komisch Ihnen das vielleicht auch scheinen mag, so glaube ich es doch, wenn auch nicht mir und noch weniger dem Gedichte, doch desto mehr Ihnen schuldig zu sein.
Rungenhagen habe ich geschrieben, daß Ihre und, nach der zweiten Aufführung des Oratoriums1, auch unsere Noten für die Berliner Akademie bereitliegen. Erstere würde schon 14 Tage nach dem Musikfest vor sich gegangen sein, wenn der Herzog nicht die Mitglieder des Militairmusikinstitutes, einen Hauptbestandtheil des2 Orchesters, mit nach Blankenburg genommen hätte. Sollte indessen Witterung und besonders das Theater uns nicht zu großen Hindernissen den Weg legen, so hoffe ich die Aufführung noch zu stande zu bringen, zu welcher die Solisten (auch Pöck, welcher erst vor kurzem wieder aufgetreten ist,) mir3 auch bereits zugesagt haben.
Ist aber erst auch diese Aufführung vorüber, alsdann – wollen wir zu nächsten Ihre Oper denken, welche mich schon deshalb sehr interessirt, weil dabei meine hochgeehrte Frau Collegin4 besonders betheiligt sein soll, Ich wünsche sehnlichst, daß wir so bald auf unser Repertoire bekommen mögen, welches, wie Sie schon während Ihres kurzen Aufenthalts selbst erfahren haben, nicht immer zu den Glanzparthien unseres Theaters gehört und für unseren Capellmeister so wenig, als für den Intendanten ein Rosenbett ist. In dieser Beziehung meine eigenen Dienste auch nur indeirect anzubieten, möchte, nach dem früheren Hergange, etwas gewagt scheinen. Dennoch, sollte ich Ihnen oder uns auch in dieser Hinsicht vielleicht nützlich werden – und jedenfalls für Ihre Zwecke überhaupt auf irgend eine Weise hier ferner wirken können, so bitte ich, unbedingt, auf mich zu zählen!
Ihrer Frau Gemahlin meine angelegentlichsten Empfehlungen und für die mir gütig geschenkte Nachsicht meinen aufrichtigsten Dank.
Vor allem aber: Kehren Sie beide recht bald zu uns zurück, um das nachzuholen, was Ihr diesmaliger, zu kurzer Aufenthalt nicht gestattete, und zugleich Ihr Allerneustes auf der Bühne uns vorzuführen! Für diesen Fall halte ich schon Ihren Commandostab bereit, – zugleich als Erinnerung an Ihre herrliche Symphonie, welche das Fest so glänzend (zu meiner besonderen Genugthuung!) schloß. Und nochmals tausend Dank für alles Schöne, womit Sie uns alle und besonders mich erfreuet haben!
Mit unveränderlicher Ergebenheit

Ew Hochwohlgeboren
gehorsamster
EOtto.

Autor(en): Otto, Eduard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Rungenhagen, Carl Friedrich
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Sinfonien, op. 102
Erwähnte Orte: Braunschweig
Erwähnte Institutionen: Musikfeste <Braunschweig>
Singakademie <Berlin>
Singakademie <Braunschweig>
Verein für Konzertmusik <Braunschweig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844102246

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Otto an Spohr, 30.09.1844. Der nächste eschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Otto, ab 11.07.1845.

[1] Der Fall Babylons.

[2] Hier gestrichen: „Concertes“.

[3] „mir“ über der Zeile eingefügt.

[4] Marianne Spohr (vgl. Otto an Spohr, 23.08.1844).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.05.2022).