Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeboren
dem Herrn L. Spohr, Dr.
Kufhessischen Hof-Kapellmeister
in
Cassel

franco1


Sehr geehrter Herr Kapellmeister!

Wenn ich bis jetzt noch nicht so frei war über meine Stellung, die ich Dero gütiger Empfehlung verdanke, zu berichten, so geschah es, theils in der Hoffnung, Herrn Kapellmeister hier in Prag zu sehen, ein Vergnügen worauf sich das hiesige musikalische Publikum schon seit zwei Sommern freut, wo ich dann vielleicht Gelegenheit gefunden, meine Lage besser zu schildern, aber hauptsächlich weil dieses eben so unsicher war, schon seit dem ersten Jahre meines Hierseins. Schon wie ich meine Stelle antrat, hatte das Institut keinen Protektor mehr, denn der bisherige, Fürst Camille Rohan, der reichste und freigebigste Kavalier Prags, war wegen Anmaßungen des Direktor Kinderfreund zurückgetreten; so nach bestand das Institut nur noch von den freiwilligen Beiträgen des Publikums und von dem geringen Honorar der Schüler, was natürlich nicht hinreichte es aufrecht zu erhalten. Die Mehrzahl der Schüler, namentlich bei der Violin, waren schon theils noch bei Happ‘s Zeiten u theils bei seiner Abreise von hier auch ausgetreten, so daß mir nur wenige u größtentheils talentlose blieben, bei denen meine Mühen, u selbst die größten, fast ohne Erfolg blieben. Jedoch waren es waren es2 auch weder sie, bei denen ich die meinem Fache nöthigen Erfahrungen machen um so schneller machen konnte, so daß ich mir nach u nach eine Methode aneignete, welche schon im zweiten Jahre den besten Erfolg zeigte, daß selbst solch ohne besondere Anlagen, selbst solche, die fast gar keine Spuren von Gehör zeigten, eine gewisse Stufe in der Kunst erreichten. Die Zahl meiner Schüler belief sich in den letzten zwei Jahren fast immer auf 20 u noch einige, bei‘m Pianoforte waren schon weniger und bei‘m Violonzell nur immer wenige. Seit einem Jahr hat nun freilich der Fürst Ferd. v. Lobkowictz das Protektorat des Institutes übernommen, doch scheint er ausser seinem Namen, nichts für dasselbe hergeben zu wollen. So sind die Umstände, dieses, an u für sich so gemeinnützigen Institutes, so zerüttet geworden, daß wenn nicht von irgendwo eine kräftige Unterstüztung erfolgt, es in kurzem eingehen muß. Als einzige Ursache dieses Uebels wüßte ich nichts anzuführen, als den Charakter des Direktors. Die Worte Gemeinnützigkeit, Wohlthat u Aufopferung schweben ihm immer auf der Zunge, u derweil sind das niedrigste Intresse u die Eitelkeit fast immer die Triebfedern seiner Handlungen. Mein jetzt verstorbener Freund Happ3, hat mich genug vor ihm gewarnt, als vor einem im höchsten Grade unordentlichen Menschen; ich habe es nicht früher eingesehen bis ich selbst ein Opfer dieser Unredlichkeit geworden. Ich habe jetzt schon eine Forderung an ihn von 200 Fl. CM, u keine Aussichten etwas zu bekommen, selbst wenn ich mich an die Gerichte wende, denn er hat nichts worauf man ihn pfänden könnte. Diese Unsicherheit meiner Existenz verbunden mit den Anstrengungen des Unterrichts hat nun schon sehr nachtheilig auf mein Gemüth u meinen Körper gewirkt, u ich wäre herzlich froh, wenn ich irgendwo anders ein Unterkommen finden könnte. Im Falle Ew. Wohlgeboren etwas hören sollte, so bitte ich sich meiner gütigst erinnern zu wollen.
Mit dem herzlichen Wunsche für Dero Wohlergehen u der innigsten Hochachtung

Ew. Wohlgeboren
ergebener
H. Herdtmann
Prag den 21ten October
1844.

Ich bin so frei meine Addr. noch beizufügen; ich wohne in der: Schwefelgasse No 467 im 4ten Stock.

Autor(en): Herdtmann, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Happ, Wilhelm
Lobkowitz, Ferdinand von
Rohan, Camille
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Prag
Erwähnte Institutionen: Musikinstitut Kinderfreund <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844102140

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Herdtmann an Spohr, 19.11.1841. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Herdtmann an Spohr, 14.04.1846.

[1] Rechts oben befindet sich auf dem Adressfeld der Poststempel „PRAG / 21 Octo.“, links neben dem Adressfeld der Stempel „25OCTO184[4]“.

[2] Wortdopplungen im Original.

[3] Wilhelm Happ war Herdtmanns Mitschüler bei Spohr und Vorgänger an der Kinderfreundschen Musikschule. Zu seinem Tod vgl. Johann Adam Happ an Spohr, 05.02.1843.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.04.2021).