Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kossmaly:4

Sr Wohlgeboren
H. Hofkapellmeister
Dr Louis Spohr
in
Cassel

frei


Hochverehrter Herr und Meister!

Eh` ich zur eigentlichen Beantwortung Ihrer gütigen Zuschrift vom 24. Septbr. schreite, erlauben Sie mir, zuvor Ihnen für selbige meinen besten, herzlichsten Dank darzubringen. Die darin ausgedrückte wohlmeinende Theilnahme an meinem Mißgeschick hat meinem Herzen unbeschreiblich wohl gethan, und es aufs Neue mit Vertrauen und der Zuversicht erfüllt, daß der Himmel mich noch nicht verlassen, so lange er mir solche Freunde u. Helfer in der Noth bescheert. Wenn auch das Bewußtsein, unverschuldet u. unverdient zu leiden, bis jetzt meinem Muthe einigermaßen als Stützpunkt gedient hatte, so war doch durch das fortwährende Fehlschlagen aller meiner angestrengten Bemühungen, meinen auf den Sand gerathenen Kahn wieder flott zu machen, dieser Muth nach gerade wirklich gebrochen, so daß ich solcher freundlichen Zusprache, mehr als je bedürftig war, um nicht der Verzweiflung anheim zu fallen.–
Dem Rath meines Freundes Biberhofer zufolge wandt' ich mich wegen Engagement an H. Director Spielberger in Cöln, als ich fast gleichzeitig erfuhr, daß H. Dorn's Stelle bereits durch einen H. E. Kunz, einen mir bis dato noch unbekannt gebliebenen musikalischen Greiße, besetzt sey – ich ließ indeß mein Schreiben nach Cöln demohngeachtet abgehen, obwohl ich gleich im Voraus unter so bewandtn Umständen auf eine Antwort resignirte. Vielleicht kommt es mir für spätere dort etwa sich ergebende Veränderungen zu Statten.
An H. M. Hauptmann habe ich bereits vor längerer Zeit mit der Bitte gewandt, mir durch seine Empfehlung für einige meiner größern Kompositionen einen Verleger zuwenden zu wollen infolge seiner Stellung in Leipzig1, u. in so fern mein Name, wie ich wohl ohne alle Selbstüberschätzung sagen kann, gerade nicht zu den ganz unbekannten in der Musikal. Welt mehr gehört, – mögte das ihm durchaus nicht schwer fallen – ich habe jedoch bis jetzt keine Antwort von ihm erhalten – – – Etwa so geht es mir mit Breitkopf u. Härtel, denen ich u.a. meine Compositionen der Lord Byron'schen „Hebrew Melodies“, – die ich erwünschte Gelegenheit hatte, unserem Landesherrn, dem König von Preußen zu dediciren, – zum Verlag angeboten habe – den Leuten scheint auf einmal Zunge wie Tinte einfach abhanden gekommen zu seyn. Es muß mich befremden, daß Härtels gerade bei mir u. meinen Comp. sich difficil u. eine Prüderie u. vornehme Sprödigkeit zeigen, die doch bei so manchem ihrer neusten mir vor Augen gekommenen Verlagsartikel, die man nur unbedingt als „Schofel u. Schund“ bezeichnen kann, nicht vorgewaltet zu haben scheint – –
Mit desto lebhafterer Erkenntlichkeit mußte es mich daher erfüllen, dß2 Sie, verehrtester Herr, meinem hierüber mitgetheilten Wunsche so bald u. so werkthätig(???) entsprachen: ich meine namlich in Bezug auf Ihre gütige Verwendung bei H. Appel; – ich habe nun bereits an denselben geschrieben u. ihm zugleich die fraglichen drei zur Veröffentlichung bestimmten Manuskripte zur vorläufigen Einsicht geschickt, habe jedoch noch keine Antwort von ihm erhalten – – – Da ich annehmen kann, daß H. A. die betr. Kompositionen Ihnen vorlegen wird, so möchte ich Sie hiermit angelegentlichst u. ergebenst um gütige Mittheilung Ihres mir unendlich wichtigen u. unschätzbaren Urtheils ersucht haben, wodurch Sie mich außerordentlich erfreuen würden.
Falls H. Appel geneigt seyn sollte, den Verlag der 3 Werkchen zu übernehmen u. Honorar dafür zu zahlen, würde es mir bei meinen augenblicklich so unschönen und beschränkten Verhältnissen sehr angenehm u. erwünscht seyn3, wenn ich auf letzters nicht zu lange warten müßte, sondern es früher als vielleicht sonst üblich, erhalten könnte – Vielleicht wäre es möglich, in dieser Beziehung auf H. A. durch vernünftige Vorstellungen günstig einzuwirken, wenn das nicht vielleicht bei einem Verleger eine zu excentrische u. sanguinische Voraussetzung ist – –
Die mir von H. Biberhofer mitgetheilte Kunde, daß meine neuen letzten musikschriftstellerischen Arbeiten4 das Glück gehabt, sich Ihres Beifalls zu erfreuen, hat mich mit freudigem Stolze erfüllt und begeister mich zum unverrückten Weiter Streben u. Bessermachen, wie es denn bei der Anerkennung von Seiten eines so hoch von mir verehrten Genius nicht anders der Fall seyn kann.
Mit dem lebhaftesten Antheil habe ich in den französischen Blättern, journals des debats pp. die Berichte über Ihren Aufenthalt, Empfang u. Ihre gefeyerten Triumphe in Paris5 gelesen u. fast mit arg erhöhtem Interesse von dem unter Ihrer Leitung in Braunschweig stattgehabten Musikfest u. der Aufführung Ihres großartigen Oratoriums6. Letzteres hätte ich auf keinen Fall versäumt, wenn nicht – – Gott, was muß ich alles entbehren – es scheint, ich soll mit aller Gewalt ein Virtuos in Entsagungen werden!
Kürzlich las ich in der Leipziger TheaterChronik (23. August)7 daß ein H. Musikdir. Kupsch seine Stellung als Professor d. Musik, Director der von d. Niederl. Musikverein gestift. Akademie für Gesang u. Capellmeister u. Mitdirektor der großen Concert-Institution: „Eruditio musica“ zu Rotterdam aufgebe – Was mag das wohl für eine Stellung seyn; möchte [es sich] wohl verlohnen, im Fall die Vacanz noch nicht wieder besetzt, darum (u. bei wem dann wohl) Schritte zu thun? – –
H. A. Schindlers Abfertigung durch H. Dorn8 ist Ihnen ohne Zweifel zu Gesicht gekommen – ich denke, das war einmal im Lapidarstyl gesprochen u. sicher für l'ami de B.9 starker Tobak der ihn vielleicht noch zur Besinnung bringen dürfte – ich rufe aus voller Seele: Wohl bekomm's! –
Mich Ihnen bestens empfehlend, verbleibe ich mit aufrichtiger Verehrung

Ihr
ganz ergebenster
C. Kossmaly

Detmold d. 5t Octbr.
1844.

P.S. Beifolg. Schreiben9 bitte an seine Adresse gütigst gelangen lassen zu wollen.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Koßmaly, 24.09.1844. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Koßmaly an Spohr, 11.10.1844.

[1] Spohrs ehemaliger Schüler Moritz Hauptmann war seit 1842 Thomaskantor in Leipzig.

[2] Sic!

[3] „seyn“ über der Zeile eingefügt.

[4] Vermutlich Kossmaly, „Musikalische Tageblätter“, in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 20 (1844), S. 169ff., 177ff., 183-186f. und 189f.

[5] Vgl. „[Le célèbre Spohr]“, in: Journal des débats 22.07.1844, nicht paginiert.

[6] Vgl. „L. Spohr's Oratorium: Der Fall Babylons, aufgeführt in Braunschweig am 29. September 1844“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 735-741.

[7] „[Der rühmlichst bekannte Musikdirektor Kupsch]", in: Allgemeine Theater-Chronik 13 (1844), S. 406.

[8] Vgl. „[Mit der folgenden Entgegnung]“, in: Musikalisch-kritisches Repertorium aller neuen Erscheinungen im Gebiete der Tonkunst 1 (1844), S. 372ff., hier S. 373, Anm. *.

[9] Anton Schindler brüstete sich gern damit, ein Freund Beethovens gewesen zu sein.

[10] Vermutlich ein Brief Koßmalys an den Verleger Appel, noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (25.06.2019).