Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Braunschweig, den 23. August 1844.

Hochzuverehrender Herr Hofcapellmeister!

Vor allen Dingen habe ich Ew. Hochwohlgeboren um so mehr wegen der scheinbar verzögerten Beantwortung Ihrer beiden geehrten Schreiben vom 3. und 9. dieses Monats um Entschuldigung zu bitten, weil diese mir wiederum gezeigt haben, wie sehr Ew. Hochwohlgeboren mit dem Künstlergenie auf eine bei diesem sonst so seltenen Weise die Pünctlichkeit des Geschäftsmanns zu verbinden verstehen. Die Verzögerung ist indessen wirklich nur scheinbar und wir mir wohl zu Gute gehalten werden. Während Ew. Hochwohlgeboren, nach den Verhandlungen mit dem Kurprinzen, auf welchen ich von nun an nichts mehr komme lasse; – nur mit Sich selbst und Frau Gemahlin zu berathen und zu beschließen brauchten, hatte ich leider! mit fast 1000 verschiedenen Köpfen und mit mehr als 1000 verschiedenen Sinnen zu verhandeln. Und das war diesesmal besonders nöthig, weil erst jetzt, nach glücklich erlangtem Urlaube, zu dem ganzen Feste eigentlich der Grundstein gelegt, wie für seine einzelnen Theile der Plan entworfen werden konnte und mußte. Alles ist aber auch diesesmal fast über mein Erwarten gelungen, und ich beeile mich nun, Ihnen darüber zu berichten.
Das Musikfest – denn das soll es nun im vollsten Sinne werden! – wird Donerstag Abends mit einer Aufführung der Jessonda beginnen. Der Intendant, Kammerherr von Münchhausen ist zwar schon deshalb nicht im Stande: Sie Namens des Herzogs zu der Direction der Oper (wenigstens schon jetzt) einzuladen, weil es noch ungewiß ist, ob der Herzog in jener Zeit überhaupt hier sein, oder statt dessen nicht dem Manöver des 4. Preußischen Armeecorps, zu welchem auch das ihm von Könige geschenkte Aschensleber Husarenregiment gehört, in der Gegend von Merseburg beiwohnen wird, worpber wahrscheinlich erst kurz vor Michaels gewißheit erlangt wird. (Auch Meyerbeer, Kreutzer und Netzer sind übrigens zu der Direction ihrer Opern nicht vom Herzoge eingeladen.) So hat mich denn der Intendant gestern gebeten, Ihnen anzuzeigen, daß er, Ihnen zu Ehren, wenigstens eine Aufführung der Jessonda veranstalten werde, und ich freue mich um so mehr, daß dieses schon am Donnerstage geschehen wird, weil die Festwoche für das große Pubicum nicht passender begonnen werden kann. Nur unser Capellmeister, welchen ich diese Nachricht sogleich mittheilte, schin sich darüber nicht sehr zu freuen, daß er nun die Oper vor Ihnen dirigiren soll und läßt Sie auf’s Dringendste ersuchen, einen Tag früher, also Mittwochen, und so zeitig zu kommen, daß Sie an diesem Tage, und wäre es auch erst Abends, eine Probe im Theater halten und alsdann Donenrstags die Oper selbst dirigen können. Mittwoch ist zwar Theatertag, er will jedoch schon für Abänderung sorgen. Ließe sich Ihr Urlaub wohl nicht um einen Tag verlängern? Wir bitten alle dringend darum!!
Was sodann den Fall Babylon’s betrifft, so habe ich , – bis jetzt freilich, mir bei allen wichtigerren Puncten, noch ganz im Stillen; – sogleich nach Empfang Ihres erst erwähnten Briefes auf eine Verbesserung des Locals, in welchen seit der Aufführung des Messias nur das Orchester etwas niedriger angelegt ist, übrigens aber das Schallen und Hallen sich wenig vermindert hat, ernstlichst Bedacht genommen, einige Sachverständige zu Rathe gezogen, Kostenanschläge machen lassen, mich sodann unmittelbar (wie ich hoffe, nicht ohne Erfolg) an die Regierung (zunächst an1 den Minister von Schleinitz) gewandt, und glaube, wenn anders nur die Versuche einen wirklich günstigen Erfolg versprechen, welche sogleich nach Beendigung der Kunstausstellung im Anfange Septembers mit Coulissen, Vorhängen pp. in der Kirche angestellt werden sollen, Ihnen schon jetzt die Versicherung geben zu können, daß alle dabei zur Dämpfung des Schalls zweckmäßig befundenen Anstalten, wenn sie auch beträchtliche Summen kosten sollten, doch noch zeitig2 genug für unser Musikfest eingerichtet werden sollen. Die Vorschläge gehen hauptsächlich dahin: die Seitenarme des Kreuzes a & b abzusperren, die Nischen c und d zu schließen und die Capelle & in der Höhe durch einen Vorhang zu verdecken.

[Zeichnung]

Das Verhängen der Fenster (die nach der Sonnenseite haben bereits Rouleaus) dürfte dagegen weniger Erfolg haben. Freilich bleibt es sehr zweifelhaft, ob nicht das Uebel theil inden Pfeilern der Kirche, theils in der enormen Höhe des Kreuzgewölbes seinen Sitz hat, und alsdann würde ihm nicht abzuhelfen stehen. Zu bedauern ist es, daß wir bei den Probeversuchen Ihres Rathes und Ihrer Erfahrung entbehren müssen. Von dem Ergebnisse werde ich indessen so gleich Nachricht geben.
Ihr gütiges Erbieten, uns mit Ihren Orchesterstimmen und zwar den Geigen und Bässen 4 mal und den Violen 2 fach, aushelfen zu wollen, nehmen wir dankbar an, und erlaube ich mir nur noch die Anfrage: wie viele Pulte (auf das Pult 2 Instrumentalisten gerechnet) Ew. Hochwohlgeboren zur Begleitung der Soli für nöthig halten, und ob die Stimmen, welche Sie uns mitzubringen, die Güte haben wollen,3 das Arrangement der Solo mit enthalten, weil erst hiernach sich bestimmen läßt, ob und wie viele vollständige Stimmen und wie viele Ripienstimmen noch zu copiren sind.
Uebrigens wird das Streichorchester noch durch einige auswärtige, recht tüchtige Geiger, Cellisten und Bässe verstärkt werden.
Der Singakademie war früher von Ihrer persönlichen Direction absichtlich nichts gesagt. Da ich ihr letztes Schreiben gerade während einer Versammlung derselben erhiet, so benutzte ich diesen Umstand, um ihr die wichtige Nachricht welche er enthielt, auf der Stelle mitzutheilen, was den günstigsten Eindruck hervorbrachte. An Ermahnungen habe ich es dabei auch nicht fehlen lassen. Denn die Masse ist dem Einstudiren sehr hinderlich gewesen, und die Chöre lassen noch immer gar manches zu wünschen übrig, weshalb ich bitte, besonders von ihnen nicht zu viel zu erwarten.
NS. Nach Einsicht der Partitur hat sich in dem Chore Nr 4, „der Löwe“, eine Differenz zwischen dieser und dem Clavierauszuge herausgestellt. Dort ist der Tact [punktierte Viertel] = 69, hier dagegen: [punktierte Viertel] = 96 angegeben. Was soll gelten? Das Allegro moderato macht die Anfrage eigentlich schon überflüssig.
Die Soli werden nun übernehmen: Fischer (Belsazar und 2. Jude), Pöck (Cyrus), Schmetzer (Daniel und 1. Jude), Madam Müller (Nikotris), und Madam Fischer, so wie Fräul. Heinze, eine Schülerin Schmetzers und seiner Frau, welche an Stärke und Fülle in großen Localen der Fischer überlegen sein soll, und zwischen welchen die Sopranparthien noch nicht getheilt sind. Ueber den Wahrsager und die Soldaten ist noch nichts bestimmt.
Hiernächst hat mich die Capelle betauftragt, Ihnen, Hochgeehrtester Herr, noch eine Bitte vorzutragen, welche sie Ihnen, nöthigenfalls, auch in einer besonderen Zuschrift selbst noch vorzulegen sich vorbehält:
am Montage, den 30. künftigen Monats, Morgens 11 Uhr, im Medicinischen Saale noch ein großes Instrumentalconcert zu leiten.
Da Sie an diesem Tage noch bleiben werden, so findet sie eine Ehrensache darin, die Hände nicht vor der Zeit in den Schoß zu legen, sondern auch ihrerseits das Fest durch einen recht würdigen Schluß zu feiern, und wir würden natürlich das Arrangement nicht bloß mit größter Freude übernehmen, sondern auch alles aufbieten, um diesem Tage noch einen besonderen Reiz zu verleihen.
Eine Ihrer Symphonien würde den Hauptbestandtheil bilden. Wenn ich gleich, zumal bei dieser Gelegenheit, dem „Irdischen und Göttlichen“ den Vorzug geben möchte, schon wegen der Violinsoli, welche zu der Bedeutung dieses Tages besser passen würde, und weil4 diese Symphonie überhaupt, wie ich vermuthe, Ihre Lieblings- und Lebenssymphonie ist, so räume ich dem Capellmeister Müller doch gern ein, daß die Capelle, von den tagtäglichsen Anstrengungen in der Messe sehr erschöpft, nur mit großen Opfern die nothwenidgste Zeit zum Einstudiren derselben erübrigen würde. Deshalb schlägt er die 4te (die Weihe der Töne) vor, welche vor mehreren Jahren mit ausgezeichneter Präcision, wenn auch wahrscheinlich nicht mit der im5 Conservatorium, gegeben wurde, nur welche sich mir überdieß durch Wiegenlied, Tanz, Schlachtgetümmel pp. dem Oratorium sehr passend anzureihen scheint.
Daneben denke ich es mir aber besonders interessant, an diesem Tage die berühmtesten Geiger Norddeutschlands um Sie, als unseren Geigerfürsten, zu versammeln und so diesen Tag zugleich zu einem wahren Virtuosenfeste zu machen. Wenn Sie auf den Plan überhaupt einzugehen geniegt sein sollten, würden wir also zu unserem Concertmeister Müller noch namentlich die Herrn Lipinsky von Dresden, David von Leipzig, Ulrich von Magdeburg, auch wohl Zimmermann von Berlin für die Violine einladen. So gern alle diese Herrn indessen sich Ihnen auch in jeder Hinsicht unterordnen werden, so können wir sie zum bloßen Ripienspiele doch wohl nicht allein engagiren, sondern würden auch auf irgend eine Weise sie auch als Solospieler beschäftigen müßen. Deshalb erlaube ich mir ganz unmaßgeblich den Vorschlag: Sie erfreuen uns vor allen durch irgend ein Solo, (wer wird sich hier bnicht stets u.a. Ihres wunderschönen Adagio’s erinnern, durch welches Carl Müller am Tage nach der Aufführung des Paulus den Sieg davon trug6, und erst kürzlich Lvoff in Dresden wieder so große Sensation gemacht hat7?), und außerdem wird ein vielstimmiges Geigenconcert vorgetrage, (mir sind in dieser Art bis jetzt nur das Quadrupel- und das Sextiupelconcert von Maurer bekannt) und zwar, nbach Ihrem Gefallen, entweder von jenen Herrn allein, oder weit besser noch von Ihnen mit, an der Spitze. Daneben würde etwa von Hannover der berühmte Flötist Heinemeyer, welcher Fürstenau weit übertreffen soll, eingeladen, und eine oder zwei Gesangpiecen von Schmetzer und seiner Schülerin übernommen werden können [eine vielleicht aus unseres Capellmeisters Oper8, welche, des Textes wegen, weit weniger Beifall gefunden hat, als sie verdient.9
Der Intendant hat seine Zustimmung zu einem solchen Concerte ebenfalls schon ertheilt, mit dem Versprechen, daß Abends keine Oper, zu welcher eine Probe nöthig sein würde, gegeben werden soll, weil sonst die Sache nicht ausführbar ist, da es alsdann zu Concertprobe an Zeit fehlen würde, für welche nur noch der Sonnabend Morgen übrig bleibt, wenn Sie nicht früher, als Donnerstag Mittag sollten eintreffen können.
Bevorworten muß ich jedoch, daß der Vorschlag, zum Besten des Lessing-Denkmals ein Concert zu geben, sich für dieses Mal nicht realisiren läßt, weil – die Capelle selbst größtentheils so besoldet wird, daß wir dieses Concert auch in ihren pecuniairen Interesse veranstalten müssen, – wie denn auch das Instrumentalconcert nach der Aufführung das Theater deshalb zu ihrem Besten gegeben wurde, – und weil für das Denkmal demnächst ein besonderes Concert in der Kirche wegen des weit größeren Raumes erspießlicher erscheint.
Das artistische Arrangement des Concerts (insbesondere auch die1 Wahl der Ouvertüre) hängt übrigens bedinglich von Ihrer Entscheidung ab und nur hinsichtlich der Symphonie bitte ich die obigen Vorschläge nicht ganz unberücksichtigt zu lassen.
H. Schade, welchem ich Ihren Brief so gleich zugestellt habe, ist bald darauf verreist und noch nicht zurückgekehrt.
Für die interessanten Nachrichten aus Paris meinen herzlichsten Dank, so wie für die gewogentliche Mittheilung der Uebersetzung aus den Englischen Blättern, welche mich zu einer ferneren Bitte an Frau Gemahlin erdreistet:
auf dem anliegenden Blatte neben den aus jenen gezogenen Stellen die Originalworte, welche ich bei einer Rückübersetzung doch nicht sicher treffen würde, noch freundlichst beizufügen. Die Uebersetzung werde ich auf das Gewissenafteste aufbewahren. –
Mit wie mancherlei Bitten ich nun aber Ew. Hochwohlgeboren auch wieder habe behelligen müssen, – von der Gewährung zweier hängt hauptsächlich der Plan des Festes ab, und deshlab darf ich wenigstens auf diese wohl ein wenig rechnen. Jessonda und ein zweites Concert sind zu demselben so nothwendig, wie zu jedem guten Dinge Anfang und Ende. Das gilt von allen Fällen, also auch von dem Falle Babylon’s, und meine hochgeehrteste Frau Collegin, welche sich so vortrefflich auf das Englische versteht, wird mir gewiß bezeugen, daß insbesondere Jessonda stets mit Ja anfängt. Also dürfen Sie schon auf dieses Mal nicht Nein sagen, sondern erfreuen mich wohl recht bald mit einer bejahenden Antowort! Mit vorzüglichster Hochachtung und bekannter Verehrung.

EOtto.



Dieser Brief ist die Antwort auf die derzeit verschollenen Briefe Spohr an Otto, 03. und 09.08.1844. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Otto, 27.08.1844.

[1] „an“ über der Zeile eingefügt.

[2] Hier gestrichen: „für“.

[3] Hier gestrichen: „auch“.

[4] Hier gestrichen: „ich“.

[5] „im“ über gestrichenem „des“ eingefügt.

[6] Vgl. „Schreiben aus Braunschweig (27. Septbr.)“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 41 (1839), Sp. 791-797, hier Sp. 796.

[7] Vgl. Lyser, „Alexis Lvoff in Dresden“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 440ff.

[8] Pino di Porto von Georg Müller.

[9] Audruck in Klammern am unteren Seitenrand eingefügt.

[10] Hier über der Zeile gestrichen: „Wahl der“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.05.2022).