Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Rudolstadt, am 30 Juli 1844.

Wohlgeborner Herr Kappelmeister!

Sie werden entschuldigen daß ich es wage Sie schriftlich zu belästigen um Ihnen folgende Bitte vorzutragen.
Ich bin nämlich der Musiker Fr. Müller aus Elberfeld, studirte 1½ Jahre die Violine unter Leitung des Herrn Meier1 (ehemaliger Schüler von Ihnen) wo ich ziemliche Fortschritte machte. Allein mein Lehrer wurde von Tag zu Tag nachlässiger, so daß ich und alle seine Schüler fast gar keinen Unterricht bekamen, daher meine guten Bekannten – da ich unbemittelt bin – 150 Rth. zusammen machten und mich bei Ihrem bekannten Brandenburg nach Rudolstadt schicken. Hier angekommen hatte ich heute die erste Stunde bei demselben, worin ich aber mehr verlernte als gut machte. Obschon nun der Herr Brandenburg mir diesen Unterricht umsonst giebt, so will ich doch lieber todt sein als unrichtig zu studiren. Der Herr Brandenburg sagte mir nun ich müßte
1) den linken Ellbogen in die Seite stützen denn
2) ich müßte das Stacato in der Mitte des Bogens machen und dabei die untersten drei Finger aufheben und
3) beim Halten des Bogens den Daumen zwischen den 1 u 2“ Finger stützen und die Finger auf der Stange so weit auseinanderbreiten, daß zwischen jedem Finger ½ Finger Spielraum wäre und noch so einige falsche Lehren.
Da es mir nun nicht möglich ist diesen Unterricht zu genießen und mir und allen, wenigstens vielen Menschen, Ihre Methode nur einleuchtet, so bitte ich Sie knieend mit weinenden Augen mir einige Stunden unentgeltlich zu geben, da ich von den 180 Rth. schon 70 verreißt habe und ohne das übrige nicht in Cassel leben kann. Meine Elberfelder Freunde wollten mich gleich zu Ihnen haben; allein wie ein Sachkundiger die Antwort gab: ich käme nicht mit dem Gelde aus noch zogen Sie sich Alle zurück, da Sie befürchteten um mehr angehalten zu werden. Ich bitte Sie nun nochmals um Gotteswillen mir meine Bitte nicht ausschlagen zu wollen, da ich sonst das Geld verlebe, nichts zu hören bekommen nur also der unglücklichsten Mensch bin, die es nur gab an kann. Der Herr Brandenburg sagte mir: er hätte auch bei Ihnen Unterricht gehabt aber ganz Ihre Methode abgelegt, da Sie ihm nicht gefiel. Sie können also denken wie unglücklich ich bin da mir alle Schulen nicht so gefallen wollen wie Ihre. – Ich habe mich deßhalb noch nicht eingerichtet und logire hier im Gasthof bis ich von Ew. Wohlgeboren hoffentlich günstige Antwort bekommen.
In voller Hoffnung unterzeichne ich mich als Ew. Wohlgeboren

unterthänigen
Diener Fr. Müller

Meine Adresse: An Franz Müller, zu Rudolstadt.
er Gasthof zum Ritter.
entschuldigen Sie meine Eile.

Autor(en): Müller, Franz
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Brandenburg, Ferdinand
Mayer, C.A.L.G.
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Elberfeld
Rudolstadt
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844073040

Spohr



[1] Der Kontext legt nahe, dass es sich bei diesem Spohr-Schüler Meier um einen Einwohner Elberfelds handelt. Somit scheidet der in Ansbach tätigte August Maier aus. Daher erfolgt hier die Verschlagwortung des Elberfelder Musiklehrers C.A.L.G. Mayer (Adreß-Buch für den Regierungsbezirk Düsseldorf (1843), S. 118), für den bislang jedoch kein Schülerverhältnis zu Spohr belegt ist.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.02.2022).