Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 3ten Juli 1844.

Bey der Nachricht, mein innigst verehrtester Gönner! daß Sie bereits am 21sten d.M. von Ihrer interessanten Pariser Reise heimgekehrt seyen, welche auch erst am 18ten v.M.1 angetreten war, drängte sich mir die [???]volle Hoffnung auf, daß Sie diese Abkürzung Ihrer Ferien-Reise beschlossen haben mögten, um den Rest der Ihnen contractlich zustehenden 6 wöchigen Abwesenheit dem Braunschweiger Musikfeste im September zuzuwenden! –
Mögte es doch so seyn!! – Um Ihre der ganzen Welt angehörende kostbare Zeit nicht für einige Zeilen darüber in Anspruch zu nehmen, bitte ich den liebenswürdigen Jaen Bott, mir dessen hoffentliche Bestätigung umgehend nach seiner morgenden Dortkunft mitzutheilen; da ergeblich in Zeiten meine Zeiteintheilung dahin zugeschnitten werden muß, daß solcher Hochgenuß auch mir als denn nicht entgehe! – Vielleicht genemigen Sie jenem Ihrer genialen Schüler zugleich zu sagen, an welchem Tage Sie in Braunschweig einzutreffen gedenken! –
In den Pfingstagen war ich daselbst zwey Mahl auf 12 Stunden, – (NB. ein Mahl vergeblich) – um die Milanollo zu hören, was ich am 29sten May auch erreichte; nachdem ich die Bekanntschaft der Familie schon am 25sten bey der ersten vergeblichen Fahrt gemacht hatte.
Die Gebrüder Müller waren damahls schon auf Reisen. Obristlieutenant v. Graebe theilte mir aber die höchst interessante Nachricht mit, daß für Sptbr.2 ein grandioses Musikfest projectirt werde, für Aufführung des „Fall ‘s von Babylon“ für dessen Direction die Committée um Ihre geneigteste Uebernahme Sie gebethen habe; worauf aber Ihre Erwiederung noch nicht eingegangen war.
Ich gestehe, daß bey dieser enthusiasmierenden Notiz mich gleichwohl die leidige Kenntniß der dortigen Zustände wie der Alp drückte! – Da meine Wünsche sich nicht bis zu der Hoffnung mehr zu schwingen wagten, daß Sie diesen Feste und dem allerdings heißen Wunsche so vieler eifriger Musikfreunde das Opfer der Abkürzung der Sommer-Reise würden bringen mögen, um Ihr Zugeständniß gegen allerhöchte Launen zu sichern! –
Um so größer dann die Freude, wenn meine Deutung Ihrer früheren Heimkehr, wie ich sehnlich hoffe und wünsche, die richtige ist!! –
Und dabey würde denn auch uns vielleicht ein Mahl wieder die so lange entbehrte unendliche Freude zu Theil, Ihnen und Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin für einige Tage bey uns aufwarten zu dürfen, deren geniales Spiel hier denn auch einen der neuen Rittmüllerschen Flügel à la Erard würde verherrlichen können, den ich wohl als den großartigsten betrachten darf, welcher der Werkstatt dieses eben so unermüdlich fleißigen als scharfsinnigen ehrlichen(???) Mannes bis jetzt gelungen ist. –
Leider erhielt ich dieses, besonders für Ensemble-Musik sehr geeignete, Piano erst Gestern; nachdem es mich unter Freder. Tivendells ganz reitzender Behandlung im Quartett-Spiel am 23sten bey Rittmüller wahrhaft entzückt hatte. – Dessen schon früherer Besitz würde allerdings die musikalischen Freuden noch erhöht haben welche der Besuch Ihrer gar trefflichen Casseler jungen Künstler diese Ferien-Wochen hindurch uns in reichem Maaße schenkte; wobey wir uns sehr zu beklagen hatten, daß die auch im häuslichen Umgang ungemein liebenswürdigen Tivendell‘s nicht ebenfalls die ganze Ferien-Zeit über hier seyn konnten; wogegen der 10tägige Besuch des genialen Rudolph Willmers und seiner unendlich3 interessanten jungen Frau unerwartet das Interesse der ersten Epoche dieser musicalischen Verherrlichung unseres [???] allerseitig noch um vieles steigerte.
[Wahrhaft glücklich machte mich vor allem, hier gar bald die Gesundheit des so gar lieben genialen Jean Bott wiederum gefestigter zu erkennen! in glücklichster Widerlegung der schweren Beschwernisse(???), mit denen ich ihn Ostern dort verließ! –]4
Ueber die Milanolli schrieb mir Marschner bey der Notiz, daß ich sie Pfingsten in Braunschweig werde hören können würklich: „Denn Ihre Leistungen besonders die der Therese, sind das noch nicht erlebte! Therese ist die personifizirte Gottwerdung! Da kann von einer Critik gar keine Rede mehr seyn, denn alles ist vollendet. Man muß hören und anbethen!“
Wenn gleich ich das denn doch nicht mit unterzeichnen kann: so haben sie mich ebenfalls allerdings doch sehr entzückt, und besonders die wehmüthige Therese auch mannigfach gerührt.
Mit hervorstechendem Triumphe erzählten mir diese, daß sie in Berlin mit ganz besonderem Beyfalle Ihr Solo-Quartett Opus. 43. gespielt, u dann wiederholt habe spielen müssen – Mir würde es so gut nicht! – ich habe nur Vieuxtempssche, Bériotsche, u Ernstsche Pieçen von ihnen gehört. – Mündlich gelegentlich mehr darüber; wenn nicht etwa Sie Selbst diese Wunderkinder auf dieser Reise nun auch bereits gehört haben. –
Wie gespannt ich dann auf gelegentliche5 Erzählung auch anderer Details dieser Ihner neuesten Reise bin, werden Sie leicht erachten!
Mit meiner Frau Ihnen wie Ihrer innigst verehrtesten theuren Frau Gemahlin mich erneuert auf das herzlichste empfehlend für nun u immerdar mit Herz u Mund

Ihr wärmster Verehrer
CFLueder.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrerspondenz ist Lueder an Spohr, 01.04.1844. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Lueder, 10.08.1844.

[1] „v.M.“ über der Zeile eingefügt.

[2] Abk. f. „September“.

[3] „unendlich“ über der Zeile eingefügt.

[4] Ausdruck in Klammern am linken Seitenrand eingefügt.

[5] Hier ein Wort gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.03.2021).