Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Seiner Wohlgeb
dem Herrn Kapellemeister Spohr
in Cassel
 
Nebst 1 Päckchen in Papier
B.K. sign
frei
 
 
Gotha, 18 Juni 1844.
 
Hochverehrter Herr Kapellmeister!
 
In der Hoffnung Verzeihung meiner genommenen Freiheit von Ihnen zu erhalten, übersende ich Ihren beikommend die Probe einer Sorte raffinirter Geigen-Colophonie mit der gehorsamen Bitte, daß Sie gnädigst Ihr Kenner-Urtheil darüber aussprechen möchten.1
Dieser Colophonie ist durch chemische Scheidung aller Oel- und Kleber-Stoff entzogen, solche mithin ganz rein, welches gewiß jeder Violin- und Cello-Spieler durch die vorzügliche Wirkung beim Gebrauch ersehen und anerkennen wird. Ein sehr kenntnißreicher Dilletant2 der Chemie hat solche raffinirt und auf diesen Grad von Vollkommenheit gebracht.
Die Geiger unserer Kapelle äußern sich voller Entzückung über diese neue Erfindung und solche so sehr zum Vortheil derselben entfallenden Urtheile veranlassen mich Sie, verehrtester Herr Kapellmeister, damit bekannt zu machen.
Darf ich gehorsamst bitten, die Colophonie einer Prüfung zu unterwerfen und mir Ihr Kenner-Urtheil darüber offen und wahr (wenn es auch zum Nachtheil derselben ausfallen sollte, – gleichviel! denn ich liebe die Wahrheit;) gelegentlich gnädigst mitzutheilen? – Sie würden mich dadurch zu großem Danke verpflichten. – Noch erlaube ich mir die ergebenste Anfrage: ob, in dem Fall, daß Ihr Urtheil gnädig und empfehlend für die Colophonie ausfiele, ich mir erlauben dürfte solches in einem lithographirten Umschlag, worin die Tafeln gewickelt werden sollen, mit anzuführen? – Die Geiger sind gar zu oft schon mit hochangepriesener Colophonie getäuscht worden, bei der mühsamen, zeitraubenden und wirklich sehr kostspieligen Raffinirung der in Rede stehenden, findet aber in der That die größte Rechtlichkeit statt. Ein gutheißendes, empfehlendes Urtheil von Ihrem gefeierten Namen würde natürlich zur Bekanntmachung und Verbreitung dieser Colophonie unendlich viel beitragen, müßte mir natürlich sehr erwünscht seyn, und ich würde Ihnen für diese Ihre Güte höchst dankbar verbunden bleiben. – Wünscht man der Tafel den wunderschönen Glanz zu erhalten, so ist natürlich nothwendig, daß man solche niemals mit bloßen und besonders warmen Fingern angreife.
Vor längerer Zeit frug ich Herrn Schramm auf Sie in meinem Namen gehorsamst zu bitten, mir bei einem dortigen Mechanicus einen Violinsaiten-Messer von Messing fertigen zu lassen, der genau die Weite habe, die die Abbildung in Ihrer Violinschule angibt3, und wodurch das richtige Verhältniß der Quinte, Quarte, Terze und der G Saite zu einander, angegeben ist. Aber Herr Schramm muß meinen Wunsch nicht so ausgesprochen haben, als ich meinte, denn ich habe, zu meinem großen Bedauern denselben bis heute nicht erfüllt gesehen. Die gewöhnlichen Saitenmesser, mit denen ich selbst handele, und andere, die ich gesehen habe, sind nur in willkürliche Grade abgetheilt, ohne daß im Geringsten die Stärke der Quinte, Quarte, Terze und des G darauf angegeben it. Ein Saitenmesser aber, worauf dies Verhältniß angedeutet, ist doch gewiß bei weitem vollkommener, und würde, für mich als Saitenhändler, von großen Nutzen seyn, da ich noch immer mit der vorzüglichsten Sorte Saiten, die im Italien gefertigt werden, handele. Will man z. Exempel einen schwachen Geigenbezug ausgewählt haben, so messe ich die Quinte, wohin der Saitenmesser am schwächste zeigt und wähle sie; die Quarte, das D, das G möchte ich ebenfalls auf ihrer schwächsten Stelle des Saitenmessers, und ich erhalte auf die Art gewiß einen passenderen Bezug, im Verhältniß der Stärken der Saiten zu einander, als jetzt, wo ich bloß nach meinem trüglichen Augenmaß gehen muß und öfters Fehlgriffe thue. Einen solchen richtigen Saitenmesser finde ich für mein Geschäft höchst brauchbar, und ich hege noch immer den Wunsch einen solchen durch Ihre gütige Vermittlung zu erhalten. Nach der Zeichnung in der Violinschule einen fertigen zu lassen, finde ich zu unsicher, denn ich halte es für rein unmöglich z.B. ein Dutzend solcher Instrumente ganz genau überein nach einer Scala fertigen zu lassen. Nach meiner Ansicht muß (wie beim Thermometer) die Scala auf jedem einzelnen Saitenmesser besonders gesucht und eingravirt werden, wenn man es genau nimmt. Die schwächste Quinte muß auf dem neuen Saitenmesser gemessen und der Platz genau angedeutet werden, so wie auch die stärkste Länge, und der Zwischenraum zwischen diesen beiden Punkten muß nun mit dem Winkel in so viele Grade abgetheilt werden, als die in Ihrer Violinschule bestimmten. Daß manche Geige manchmal einem nach dem auf dem Saitenmesser angegebenen Verhältniß abgeänderten Bezug braucht, um Quinten rein zu machen (einzelne Saiten stärker oder schwächer, wie es die Eigenthümlichkeit des Instruments verlangt), ist mir sehr wohl bekannt, aber das sind doch meistens nur Ausnahmen; und die meisten Geiger werden gewiß mit einem Bezug Saiten, die nach dem Verhältniß Ihres in der Violinschule angegebenen Saitenmessers gewählt worden sind, sehr zufrieden gestellt werden.
Wenn es Ihnen daher, verehrtester Herr Kapellmeister, nicht zu viele Mühe macht mir ein solches Instrument bei einem dortigen Mechanikus zu bestellen, so würde ich durch den Empfang desselben sehr erfreut werden; und da mir Ihre wohlwollende Gefälligkeit und Weise jedermann gern zu dienen, aus frühern Zeiten habe(?), schon bekannt ist, und ich der Hoffnung lebe eine gnädige Antwort von Ihnen zu erhalten, so werde ich den Kührenden(?) beauftragen, bei seinem öftern Dortseyn manchmal nach einer solchen bei Ihnen anzufragen, hoffend, daß Sie mir meine Freiheit gütigst verzeihen werden.
Schließlich bitte ich noch um Entschuldigungen meines langen Schreiben und empfehle mich mit der vorzüglichsten Hochachtung beharrend
 
ganz ergebenst
Bernhard Keil.

Autor(en): Keil, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Violinschule
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Gotha>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844061845

Spohr



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Keil, 17.05.1852, aus dem sich ein vorhergehender, derzeit verschollener Brief von Keil an Spohr erschließen lässt.
 
[1] Eine Anzeige Keils mit positivem Urteil von François Prume in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 726.
 
[2] Noch nicht ermittelt.
 
[3] Vgl. Louis Spohr, Violinschule, Wien [1833], Fig. IV auf Tafel 1, vgl. S. 13.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.09.2016).