Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

In der Ueberzeugung, daß Euer Wohlgeboren schon öfter jungen Künstlern durch Empfehlng ihrer Werke (wenn sie deren würdig wären) Eingang in die größere musikal. Welt zu verschaffen sich bewogen gefunden haben, faße ich den Muth – gestützt auf das freundliche Entgegenkommen, welches Sie unter anderm durch ein, bei Ihnen vor drei Jahren hier stattgefundenen und uns seitdem unvergeßlichen Anwesenheit zu Theil werden ließen – Ew. Wohlgeb. beiligend eine für Anfänger verfaßte Violinschule1 zu übersenden, mit der Bitte: genanntes Werk gefälligst zu durchlesen, und, wenn es sich Ihres hochgeschätzen Beifalls zu erfreuen haben möchte, mir ein gedrängtes Urtheil hierüber gütigst zukommen laßen zu wollen, das dann dem Werke, welches ich herauszugeben beabsichtige, angedruckt werden dürfte.
Es ist nichts Geringes, um was ich Ew. Wohlgeb. bitte; indem das Werk ziemlich volüminös veworden; jedoch die sichere Uiberzeugung, daß Sie einen jungen Künstler und Familienvater, deßen bereits erschienenen Werke sich der ehrenvollsten Anerkennung zu erfreuen hatten – und wovon ich nur mein bei Breitkopf u. Haertl erschienenes Streichquartett Op. 3. und mein bei Julius Wunder (nun Hofmeister) erschienens Concertino für die Violine, Op 5, welches Ersteres in der Leipziger Allgemeinen Musikal. No 30. v. Jahre 1833.2 und Letzteres in demselben Blatte vom Jahre 1841. No 3.3 besprochen wurde, zu erwähnen erlaube – gewiß diese Bitte nicht abschlagen werden, giebt mir Hoffnung auf einen günstigen Erfolg meines Gesuches, worin ich durch die Meinung meines gnädigsten Fürsten u. Herrn bestärkt wurde.
Ew. Wohlgeb. werden im „Vorwort“ den Plan meines Unterrichtswerkes vorgezeichnet finden, welche namentlich die ist, hierdurch auf Ihr hochgeschätztes Werk – die Violinschule – vorzubereiten, indem Sie, wie Sie sich in der Einleitung selbst auszudrücken belieben: nie Gelegenheit hatten, den ersten Unterricht zu ertheilen, und daher auch in der Ausarbeitung Ihres ausgezeichneten Werkes mehr die höhere Ausbildung im Auge hatten.4
Da ich mich schon seit vielen Jahren mit dem Unterrichte der Jugend beschäftige, so konnte ich daher den Stufengang derselben um so leichter wieder geben, wozu mir namentlich meine verfaßte und bei Carl Erhard in Stuttgart erschienene: „Theoretisch-practische Anleitung zum gemeinschaftlichen Gesangunterrichte in Volksschulen u. andern Lehranstalten“5 welche von unserer Regierung in den Schulen des Fürstenthums gesetzlich eingeführt wurde, die Richtschnur gab. Auch haben sich über dieses Werk bereits sehr anerkennend öffentlich ausgesprochen: Lindpaintner, Kalliwoda, Taeglichsbeck, von Poissl pp.
Sollte nun meine Violinschule dennfals die außerordentlich Ehre zu Theil werden, von dem ersten deutschen Geiger, dem Repräsentaten der deutschen Schule, dem klassischen Komponisten, welchen wir in Ew Wohlgeb. zu verehren haben, günstig aufgenommen zu werden, so möchte meinem Werke die günstigste Aussicht verausgesagt werden dürfen.
Indem ich Ew. Wohlgeboren nun noch herzlich bitte, die Durchsicht meines Werkes in gefälligster Bälde gütigst vorzunehmen, und mir dieses dann wieder durch die Post zukommen laßen zu wollen, zeichnet sich mit ausgezeichneter Hochachtung und Verehrung

Ew Wohlgeboren
ergebenster
G. Wichtl

Hechingen den 7ten Juni 1844.

Autor(en): Wichtl, Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kalliwoda, Johann Wenzel
Lindpaintner, Peter von
Poißl, Johann Nepomuk von
Täglichsbeck, Thomas
Erwähnte Kompositionen: Wichtl, Georg : Der junge Geiger
Wichtl, Georg : Konzerte, Vl Orch, op. 5
Wichtl, Georg : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 3
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844060744

Spohr



Das von Wichtl in diesem Brief erbetene Zeugnis Spohrs ist derzeit nur im Entwurf und im Druck erhalten.

[1] Georg Wichtl, Der junge Geiger oder der erste Unterricht im Violinspiel. 100 fortschreitende Uebungsstücke in der ersten Lage durch alle Intervalle und Tonarten mit einer begleitenden zweiten Violine für den Lehrer, Offenbach [1850].

[2] G[ottfried] W[ilhelm] Fink, Rez. „Quatuor pour deux Violons, Alto et Violoncelle composé – par G. Wichtl. Oeuv. 3“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 35 (1833), Sp. 485ff.

[3] Ders., Rez. „Premier Concertino pour le Violon avec acc. d’Orchestre ou de Pianoforte composé oar – G. Wichtl. Ouev. 5“, in: ebd., 56f.; vgl. Rez. „G. Wichtl, erstes Concertino für Violine m. Orch. oder Pfte. Op. 5“, in: Neue Zeitschrift für Musik 15 (1841), S. 121.

[4] Louis Spohr, Violinschule, Wien [1833], S. 4.

[5] Georg Wichtl, Theoretisch-practische Anleitung zum gemeinschaftlichen Gesangunterrichte in Volksschulen u. andern Lehranstalten, Stuttgart 1843.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.05.2022).