Autograf: Royal College of Music London (GB-Lcm), Sign. 2220
Inhaltsangabe: Catalogue of the Library of the Sacred Harmonic Society, London 1862, S. 220

Mr. J.A. Stumpff
44 Great Portland Street
Portland Place
in
London.
 
Via France.
 
 
Cassel den 12ten Mai
1844.
 
Geehrter Herr u Freund,
 
Ihre Geige mit der neuen Erfindung ist unversehrt in meine Hände gekommen; auch Ihr Schreiben habe ich einen Tag später erhalten, die Antwort aber von einem Tage zum andern verzögert, weil ich hoffte, ich würde bey wiederholten Probiren der Geige zu einem günstigern Resultat gelangen; leider muß ich Ihnen aber gestehen, daß ich die Erfindung für eine verfehlte halte. Schon der Theorie nach kann Ihre Verrichtung unmöglich den Klang und die Reinheit des Tons befördern, da bekanntlich vom Mittelpunkte der Decke aus, durch den Steeg, die Vibrationen derselben ausgehen müssen, weshalb sie hier auch am dicksten ist und nach den Zargen zu immer dünner wird. Wird nun, wie bey Ihrer Verrichtung, die Decke noch von einem andern Punkte in Schwingung gesetzt, so müssen sich diese nothwendig mit denen vom Steege ausgehenden Schwingungen kreuzen, wodurch der Ton, statt verstärkt, geschwächt werden muß, wie denn Ihre Geige auch wirklich viel schwächer klang als alle die, die ich neben ihr probirt. Nun hat zwar Ihre Geige, besonders auf den beyden hohen Saiten viel Klang, aber es ist ein Klang der aus dem Innern der Geige nicht herauswill und gar nicht die Ferne geht. Auch ist es ein Metallklang ohngefähr so als wenn man eine messingerne Sordine, wie sie in allen Zeiten gebäruchlich waren, auf den Steeg setze, diesen hat man nun auf alle Weise bey der Geige als unangenehm zu beseitigen gesucht, deshalb auch schon längst den Saitenhalter nicht mehr wie ehemals mit Messingdraht, sondern mit einer Darmsaite befestigt. Auch klingt Ihre Geige gedrükt, fast so, als wenn man eine Sordine aufsetzt. Das schlimmste ist aber, daß jeder Ton gar nicht in die Ferne geht, wovon ich mich überzeugt habe, indem ich sie gegen andere Geigen probiren ließ und in weiter Ferne zuhörte.
Es ist mir sehr leid, da Sie großen Werth auf Ihre Erfindung zu setzen scheinen, daß ich kein günstigeres Urtheil darüber fällen kann. Allein ich kann mich irren und rathe Ihnen daher, die Erfindung von mehreren Geigern prüfen zu lassen. Ich sehe daher Ihrer gefälligen Bestimmung entgegen, ob ich Ihnen die Geige zurücksenden oder zu Ihrer Disposition noch länger verwahren soll.
Mit wahrer Hochachtung und [Freund]schaft ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Stumpff, Johann Andreas
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844051214

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Stumpff an Spohr, 24.04.1844. Stumpff beantwortete diesen Brief am 10.10.1844.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.09.2017).