Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Altenburg den 23ten Mai,
1844.

Hochgebohrner
Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Nach langen Aengstlichen Zögern ob ich es wohl wagen dürfte mich noch einmahl an Eüer Wohlgebohren mit einen Schreiben gehorsamst zu wenden ohne mir dadurch Ihren Unwillen zuzuzhien1 – indem ich weis wie sehr Eüer Hochwohlgebohren Unentbehrliche Zeit Immer in Anspruch genommen ist, und jetzt doppelt da Sie zur Großen Freude Aller Ihrer Zahlreichen Verehrer und daß sind ja Alle die nur einigermassen Sinn für Musik haben, eine Neüe Oper Komponiren. Allein endlich siegte doch in mir daß Unbegrenzte Vertrauen auf Eüer Hochwohlgebohren so Edles Herz, und in Hoffnung auf dieses Wage ich es hirmit noch einmahl mich an Eüer Hochwohlgebohren zu wenden, in der festen Hoffnung und Uberzeugung daß wen Sie Herr Kapellmeister einmahl die Gühte hatten jemand Ihr ehrehrtes2 Wohlwollen zu schenken Sie dieß dan gewiß auch nicht wieder Zurück nehmen wen man sich dessen nicht Unwürdig macht, und da ich doch wohl glauben kan durch nichts mich Ihrer mir Unschatzbahren Gühte Unwährt gemacht zu haben so bewahre ich mir auch daß volle Vertrauen auf Ihr ferneres mir Unschetzbahres Wohlwollen, und wage es hiemit Neüerdings Sie mein Hochgeehrtester Herr Kapellmeister aus tiefstem Grund meineß Herzens um Ihr Geehrtes mir Unschetzbahres gütiges Wohlwollen auch ferner dringend zu Bitten, und meine Hoffnung auf Ihren so Höchst Edlen Charackter steht so fest daß ich glaube gewiß hoffen zu dürfen dieß, wenn auch selbst Alle diejenigen Verehrten Personen wellche mir früher so viele Gühte und Theilnahme bewiesen sich jetzt von mir Zurückzhien würden (waß freylich im Höchsten Grad Schmerzlich und Peinlich für mich wäre) dennoch Eüer Hochwohlgebohren dieß gewiß nicht thun würden, sondern wen es möglich sein wird sich gewiß auch ferner Gühtigst meinen Annahmen widmen, dieß Vertrauen in Ihrem Edelmuth steht fest in meinem Herzen. Ich habe leider von den beyden Hochgeehrten Familien Pfeiffer keine tröstlichen Briefe Erhalten, im gegentheil, hatt mir sowohl die Frau CommerzienRäthin3 als auch die Frau Direcktorin4 ganz Entschieden Abgerahten wieder nach Cassel zu kommen, waß Eüer Hochwohlgebohren wird bekannt sein. Waß mich dabey Unbeschreiblich kränkte daß ist der Umstand daß diese beyden Hochgeehrten Familien befürchteten ich würde Ihnen wieder in etwaß zur Last fallen wen ich wieder nach Cassel käme, und dieß Schmerzt mich zu sehr, den wen ich jetzt während meines Urlaubs wieder nach Cassel komme so werde ich mich gewiß so Vorsehen daß ich nicht befürchten muß wieder ein eine so Schreckliche Lage zukommen wie damahls, wo ich ja auch nur dadurch so sehr ins Elend kam weil ich 8 Mohnate dort lebte beynahe ganz ohne Allen Verdienst, biß auf die Paar Stunden bey den beyden Geehrten Familien Pfeiffer. Auch machte ich noch die kostspielige Reiseweg im Sommer, und so war es wohl leider sehr Nathürlich daß es so kommen mußte. Übrigens scheinen auch diese beyden Geehrten Familien meine Lage von einem ganz Andern Gesichts Punkt zu betrachten als sie würcklich ist, und mich nicht recht so Verstanden zu haben wie ich es wünschte, den sie scheinen zu glauben daß es blos Laune und Unzufriedenheit mit meiner Lage hier ist warum ich so sehr wünsche wieder nach Cassel zurück zu kommen, allein hierin irren sie sich. Allerdings wiederhole ich es mehrmahls daß mein Aufenthalt hier mir in jeder Hinsicht Unausstehlich ist, dennoch aber würde ich daß Opfer bringen hier zu bleiben und mir daß hiesige Engagement zu Erhallten wen nämlich die Verhelltniße hier so wären wie wier es damahls Alle glaubten und hofften als ich damahls Leider daß hiesige Engagement dem in meinen lieben Cassel vorzog, Allein wir irten uns in Allem, und daß ist es eben waß mich so Unbeschreiblich Unglücklich macht, weil ich nun leider indem ich nun die Verhelltniße hier ganz kenne die gewißheit habe daß ich eine Sichere Existenz in Cassel für nichts aufgeopfert habe, den hier ist an ein Mehrjähriges oder Lebenslängliches Engagement gar nicht zu denken. Die Herzogin hatt damahls wie ich nun weis blos aus Augenblicklicher Laune nicht aus Bedürfniß eine Singlehrerin auf ein Jahr Engagiert, und schon damahls wäre beynahe nichts daraus geworden, den sie wollte schon vorigen Winter ganz in in Hannover bleiben, eine Prinzeßin ist schon ganz dort geblieben, und von denen beyden die hier sind ist die Aelteste5 sehr Schwach und – faul, Wobey sie die Äerzte unterstützen indem sie sagen daß daß Singen Ihr Schadet, die Andere6 ist noch in Kind mehr in Hinsicht ihres Charakters als deß Alters, sie ist erst 13 Jahr Alt, aber so Wild und Unberdig ist daß sie nichts lernen will, und es eine Unmöglichkeit da mit Vortrag und Ausdruck Singen zu lernen, die thut in der Stunde nichts als Schwatzen Lachen und dummes Zeug machen, da kan Niemand lernen daß ist hier Allgemein bekannt, Auch kan es deßhalb kein Lehrer und keine Erzhierin bey ihr aushalten, und es ist schon mancher sehr Achtungswährte Lehrer wegen ihr fortgekommen, so wie auch erst neuerlich eine sehr Achtungswährte Erzieherin, und der jetzigen wird es wohl auch nicht besser gehen. So steht es hier mit meinen Schühlerinnen, Sie Hochgeehrtester Herr Kapellmeister können am besten Beurtheilen wie mir dabey zu Muthe sein muß – statt daß ich in Cassel der Kunst noch hatte nützlich sein können kann ich7 hier mit dem besten Willen nichts nützen. Die Herzogin ist mit meinem Unterricht sehr zufrieden, Allein bey so bewerten Umständen werden diese Beyden demnach NIe mit Vortrag und Ausdruck Singen lernen. Ubrigens geht aus Allen dem unumstößlich von selbst hervor daß ich jetzt schon hier Unnütz bin, den die eine singt gar nicht und die Jüngste sucht Alle nur erdenklichen Ursachen hervor um so wenig als möglich zu Singen. Also versteht es sich von selbst daß mein Engagement hier Uberflüßig und Unnütz ist, und daß daher für die Zukunft oder wenigstens auch ein Mehrjähriges Engagent gar keine Hoffnung ist, Hofconcerte sind gar nicht, und daß8 mich die Herzogin nun doch auf Ein Jahr von künftigen Januar ab Engagiert daß geschieht blos aus Rücksicht für mich weil sie weis daß ich daß in Cassel aufgeopfert habe wegen hier, So Stehen hier die Sachen, und die Bürger schimpfen jetzt schon genug über mein Unnützeß Engagement wie über so Viele Andere Dinge, den der Hof ist Arm und macht viel zu viel Aufwand in Allem und deßhalb sind sie von den Unterthanen so sehr Verhaßt, und weil der Hof dies weis darum sind sie so Ungern hier und Reisen so viel als möglich. Unter sollchen Umständen nun werden Sie mein Hochgeehrter Herr Kapellmeister wohl nur zu guht einsehen daß es meine Pflicht ist darauf zu denken mir wen möglich irgendwo Anders als hier Existenz für die Zukunft zu Sichern, und zwar entschlüselich vom bieligsten in meiner Existenz für die Zukunft zu Sichern, und zwar Nathürlich am liebsten in meinem Cassel. Und da man damahls daß Bedürfniß einer Lehrerin beim Theater fühlte9, so wie ich auch daß Versprechen hatte die Contessen zum Unterricht Später zu bekommen, so hoffe ich noch immer daß vielleicht demnach wo ich wieder hinkomme sich eins oder daß Andere vielleicht doch noch wieder zu Stande bringen lasse wen nehmlich sich wieder Neuerdings Alle diejenigen Hochgeehrten Personen sich wieder für mich deßhalb Verwenden wie damahls. Sollte aber davon sich keineß von beyden mehr Gelingen, und ich auch mich noch eine Privatstunden bekommen, nun den müßte ich Leider freylich wieder noch einmahl hierher Zurück in mein Gefängniß, waß aber dan jedenfalls erst biß zu Ende deß künftigen Januar 1845 zu geschehen brauchte. Ich bin nun so frey Sie mein Hochverehrter Herr Kapellmeister nur noch auf das Innigste Bitte gehorsamst zu beläßtigen sich doch gühtigst für mich verwenden zu wollen bey Ihnre Hoheit wen es möglich ist, und dan also bey denen beyden Hochgeehrten Familien Pfeiffer damit dieselben wieder bey mir Unterricht nehmen, den dort gillt wie ich Weis Ihr Wort Alleß, und da ich mir wohl glaube Schmeicheln zu dürfen daß dermahlen doch wohl keine Andere beßer wie ich wird im Stande sein können jungen Damen Unterricht zu Ertheilen, daß Sie mein Hochgeehrter Beschützer ja selbst so häufig waren Auszusprechen, was auf ich Stolz bin, so wird da wohl Ihr Hochgeehrteß Wort gewiß befolgt werden. Nahmentlich muß Fräulein Miller sehr behutsam behandelt werden da die Stimme erst im Werden ist, doch dabey hatt sie sehr viel Tallent, Faßungsgabe, Gehör und Fleiß. Doch ich Sehe mit Schrecken daß ich wieder gegen meinen Willen in meinem Alten Fehler gerathen bin und Eüer Hochgebohren10 mit einem sehr langen Brief belästigt habe, weßhalb ich tausendmahl um Verziehung bitte und Schnell Schließen muß. Indem ich mich nun nochmahls Eüer Wohlgebohren mir Unschätzbahrer Gühte so sehr als möglich Empfehle und Dringend doch gühtigst sich auch nun neuerdings so viel als möglich zu Verwenden, wpfür Gott Sie und Ihre Hochgeehrte Familie gewiß Segnen wird, habe ich die Ehre mich Euer Hochwohlgebohren und der Liebenswürdigen Hochgeehrten Frau Kapellmeisterin gehorsamst zu Empfehlen, habe ich die Ehre mit der Größten Ausgezeichnetesten Hochachtung und Dankbarkeit zu Verharren Hochverehrtester Herr Kapellmeister

Eüer Hochwohlgebohren
ganz gehorsamste Dienerin
Caroline Willmann.

P.S.
Biß Ende Juny k.M. werde ich längstens in Cassel eintreffen, wahrscheinlicher aber auch schon zum 10ten Juny k.M.

Autor(en): Willmann, Caroline
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Alexandra, Russland, Großfürstin
Amalie, Sachsen-Altenburg, Herzogin
Elisabeth, Oldenburg, Großherzogin
Miller, Friederike (Tochter von E. Miller)
Pfeiffer, Susanne
Pfeiffer, Susette
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Altenburg
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844050443

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Willmann an Spohr, 03.12.1843.

[1] Sic!

[2] Sic!

[3] Susanne Pfeiffer, die Frau des Kommerzienrats Georg Pfeiffer (vgl. Casselsches Adreß-Bich (1844), S. 179).

[4] Susette Pfeiffer, die Frau des Landeskredit-Kassen-Direktors Franz Pfeiffer (vgl. ebd., S. 178).

[5] Wohl Elisabeth, die spätere Großherzogin von Oldenburg.

[6] Alexandra, die spätere Großfürstin von Russland.

[7] „ich“ über der Zeile eingefügt.

[8] Hier gestrichen: „sie“.

[9] Vgl. „Mad. Willmann […] gab hier vor Kurzem ein Concert […] Diese erwarb sich durch ihren in der besten Schule gebildeten herrlichen, seelenvollen Vortrag die allgemeinste Anerkennung und es wurde derselben ein mehrjähriges Engagement bei der churfürstlichen Hofth. als Gesangslehrerin angetragen, um jug. Talente auszubilden, was hier höchst wünschenwerth und nothwendig wäre. Da indessen Mad. Willmann schon früher ein Engagement in Altenburg als Hofsängerin und Gesangslehrerin der Prinzessinnen anogenommen hatte, so kam der hiesige Antrag leider zu spät [...]“ („Cassel“, in: Allgemeine Theater-Chronik 13 (1844), S. 78).

[10] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.08.2022).