Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeborn
Dem Herrn Kapellmeister
Dr. Spohr
in
Cassel

s.G.


Wohlgeborner,
hochzuverehrender Herr Kapellmeister!

Ueberbringer dieser Zeilen sind zwei Gebrüder Windt, die vor einem Jahre einige Monate bei einem hiesigen Schauspieldirector engagirt waren und mir damals als Schauspieler und gute Musiker bekannt wurden. Da sie jetzt kein Engagement haben, so geben sie seit einigen Wochen an mehreren Orten Concerte. Dies geschah den letzten Sonntag auch hier, bei welcher Gelegenheit sie den lebhaften Wunsch äußerten, bei einem größern Theater ein Unterkommen zu finden, insbesondere auch deshalb, um sich weiter auszubilden, wozu sich ihnen unter den jetzigen Verhältnißen wenig Gelegenheit bietet. Beide verdienen die Empfehlung. Sie sind für den Chor und zu kleinen Rollen gut zu gebrauchen, denn sie sind unter Theater und Musik aufgewachsen. Der Vater war früher Schauspieldirector und lebt jetzt in glücklichen Verhältnißen zu Werthheim, die Mutter Sängerin. Die jungen Windt haben daher insbesondere auch eine gute musikalische Bildung, spielen mehrere Instrumente und wünschen schon deshalb vorzüglich in Cassel zu bleiben, um später das Glück zu haben, Ihren Geigenunterricht zu genießen. Wie gesagt, beide sind strebsam und haben den Trieb an sich, weiter zu kommen. Auch ihr sittliches Betragen ist nach dem, was ich gehört und gesehen habe, durchaus gut; ich muß vor Allem ihre Bescheidenheit rühmen, eine Tugend, die unter dergleichen Leuten schlecht gedeiht und schwer fortkommt. Sollte es Ihnen, hochgeehrtester Herr Kapellmeister, unter diesen Umständen möglich sein, den Brüdern Windt in Cassel zu einem Engagement förderlich zu sein, so würden sie es Ihnen ewig Dank wissen. Auch ich lege meine Bitte für sie ein, denn ich weiß nicht, es überfällt mich stets eine gewisse Wehmuth, wenn ich Menschen sehe, die Talent und Lust zu Besserem zeigen und dann es doch an Gelegenheit fehlt, das Höhere zu erreichen. Dieses mein Gefühl mag auch die Freiheit dieses Briefs entschuldigen und meine obige Bitte rechtfertigen.
Soweit über diese Angelegenheit; und nun in Eile noch ein Wort über unsere Musik. Bei dem Besuche, den ich Ihnen vorigen Herbst mit meiner Frau machte, sagten Sie uns, daß in Kürze einige Salonstücke von Ihnen in Hamburg herauskommen würden.1 Ich gab sofort bei einigen Musikhandlungen Aufträge, aber noch immer sind uns oboge sehnlichst erwartete Duetten nicht [zu] Gesicht gekommen, obschon ich glaube, daß sie längst erschienen sein müssen. – Ferner möchte ich nochmals eine letzte Bitte bei Ihnen einlegen, doch bald einmal einige Lieder mit Geigenbegleitung zu schreiben. Herr Hauptmann war so gütig, uns ein Lied der Art zukommen zu lassen, – Sie erzählten uns nemlich v[origen] Herbst von einem solchen, worauf ich mich schriftlich an ihn wandte –, indeß sind diese Compositionen noch immer selten und dennoch machen sie sich gut. Sie sprachen sich damals auch nicht ganz günstig für dieses genre aus, indeß würde sich unter Ihren Händen die Sache schon beleben, und Geige und Gesang ihre Wirkung nicht verfehlen.
Indem ich meine obige Bitte hinsichtlich der beiden Hn. Windt wiederhohle, und nochmals bitte, diesen meinen Brief zu entschuldigen, habe ich die Ehre, unter Versicherung der Hochachtung und Verehrung, zu sein,

Ew. Wohlgeborn
ergebenster Dr. Wiskemann.
Hersfeld,

d. 24sten April
1844



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wiskemann an Spohr, 02.08.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wiskemann an Spohr, 05.05.1846.

[1] Die sechs Salonstücke für Violine und Klavier op. 135 erschienen erst 1848 bei Schuberth in Hamburg.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (09.02.2018).