Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Jacobson:3

Hochgeehrter Herr und Freund!

Gern hätte ich Ihren jungen Empfohlenen1, welcher sich zugleich mit seinem Vater bei mir gemeldet hatte hatte, mit Rath und That genutzt, aber er hatte sich nur wie eine flüchtige Erscheinung2 mir vorgestellt, war einmal bei mir gewesen, um mir Ihren Brief abzugeben und hatte sich dann nicht wieder sehen lassen. Später hörte ich, daß er sehr bald abgereist sei, und daran hatte er auch wohl gethan, denn gleichzeitig mit ihm, waren die Milanollos eingetroffen, und diese hatten alles concertliche Interesse des Publikums auf sich gezogen. Ihr junger Schützling, wie wohl Ihre Meisterschaft den Schüler schon ein gutes Prognostikos beim Publikum gesteltt haben würde, wäre mit seinem Concert doch nicht an der Zeit gewesen. Wie willkomen mir der junge Mann daher auch als Ihr Empfohlener gewesen ist, und wie gern ich alles für ihn getroffen hätte, so3 wäre doch auch mein bester Rath der zur Rückkehr nach Kassel gewesen, wo der Vater4 noch dazu auf einen bestimmten Tag par Ordre de Mufti eintreffen mußte, und zwar auf so strengen Befehl, daß es dabei im Nichtachtungsfall5 seinen Kopf hätte kosten können, oder mindestens doch die Stelle, um künftig sein Haupt ruhig niederlegen zu können. –
Wie haben jetzt furchtbar viel Musik hier, wöchentlich ein paar Concerte, die aber mit Ausnahme der regelmäßigen Symphonien-Soirées alle leer sind, da alles zu den Milanollos hinströmt, deren Concerte trotz der doppelten Preise überaus über voll sind.6 Die Mädchen sind aber wirklich Wunderkinder. Die Aelteste ist eine vollendete Violinspielerin, und die Zweite, ein Kind von 11 Jahren, ist noch reicher mit Talent begabt, hat aber (liegt dies nun in ihrer Natur oder in ihrer größeren Jugend) weniger tiefe poetische Ausstattung. Sie trägt mehr über die technischen Schwierigkeiten hin, die sie tadellos überwindet, und mit einer Leichtigkeit und Keckheit überspringt, als wäre es das leichteste Werk, aber7 auf Gesang und geschmackvollen Vortrag kommt es ihr weniger an.8 In beiden excellirt aber die Aelteste, und steht hier besonders über allen den neuern9 Virtuosen. Dabei überwindet sie mit Leichtigkeit und der correctesten Reinheit die Größten Schwierigkeiten. – Wenn Sie, hochgeehrter Freund, die beiden Mädchen noch nicht gehört haben, so muß es von großem Interesse für Sie sein, dieses neunte Wunderwerk mit eigenen Ohren zu hören. – Was ich Ihnen davon sage, ist zu wenig, und ich übertreibe nicht. – Es wäre gar zu schön, wenn Sie sich zu einem Besuch bei uns jetzt entschließen könnten. Nächsten Sonntag hat10 unsre philharmonische Gesellschaft ihre Jahres-Feier. Morgens um 1 Uhr gibt sie eine Musikaufführung, in der außer einer Symphonie von Felix Mendelssohn und der Ouverture zum Egmont auch Ihre Ouverture zur Jessonda gespielt wird11, auch dach dem Concert ist ein Mittagsbrodt, an welchem alle musikalische Notabilitäten und viele Freunde der Kunst Theil nehmen. Gern möchte ich Sie unter unsere Größten12 sehen. Es wäre die schönste Ueberraschung, welche der Gesellschaft werden könnte, und der Jubel würde groß sein. Wenn Sie können, so machen Sie den Spaß zu kommen mit Ihrer Frau Gemahlin, der ich mich angelegentlichst empfehle, zu unserer philharmonischen Feier her. –
Ich es wahr, daß Sie an einer neuen Oper13 arbeiten? Man erzählt es sich hier, und es soll in einer musikalischen Zeitung davon die Rede14 gewesen sein. Meyerbeer fragte auch neulich darnach. Ich konnte ihm Nichts darüber sagen. Nach dem, was Sie mir15 bei unserem letzten Zusammensein darüber sagten, muß ich es fast bezweifeln. Vielleicht waren Sie aber glücklich genug, einen guten Text zu bekommen, was hier in Deutschland schwer fält, und dann sollte es mich wahrhaft freuen, wenn das Gerücht wäre. Ein interessanter und guter Text ist jetzt aber trotz16 allen Werths der Composition17 unentbehrlich, wenn eine Oper Glück machen soll. – Wir sehen es bei den werthlosen neueren18 französischen musik.19 Werken, was der Text vermag. Er ist es vorzüglich, der die Pariser Machwerke so angenehm bringt. Was würde nun erst eine gediegene Composition mit einem interessanten, guten Text für eine Wirkung machen?! – Mendelsohn laborirt, wie ich höre, auch an einem guten Operntext, er möchte sich gern an einer Oper versuchen, wie man mir sagt. Vielleicht ruft20 die neue Bestimmung für die dramatischen Dichter, welche in der gestrigen Zeitung von Seiten der General-Intendantur veröffentich ist, auch gute Operntexte hervor. Lesen Sie dieses Gesetz. Es ist dem in Frankreich bestehenden nachgebildet, nur kärglicher zugeschnitten.
Rellstabs Reise nach Paris, welche er in drei Bänden in Briefform herausgegeben hat, wird Sie vielleicht interessieren. Der dritte Band enthält besonders21 musikalische Beurtheilungen.22 Das Buch hat mir des Stoffs und der guten Gesinnungen wegen gefallen. Da ich aißerdem mit dem Verfasser23 einen gleichzeitigen Aufenthalt in Paris gemacht habe, so wurde das Interesse an seinen Schilderungen noch erhöhet. – Haben Sie die Mystieres de Paris24 gelesen? Es ist eine bedeutende litterarische Erscheinung, die Ihnen nicht unbekannt bleiben darf, wenn Sie nicht schon kennen sollten.
Nun leben Sie wohl, nur soll mich nicht die Freude werden, Sie selbst als lebendige Antwort auf diesen Brief zu erhalten, so lassen Sie mir wenigstens die einer baldigen schriftlichen werden. Ich weiß auch gern in Ihren Andenken bewahrt.
Mit aufrichtigster Hochachtung u Freundschaft

Ihr ergebenster
H. Jacobson.

Berlin den 18t März 1844

Die Meinigen empfehlen sich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin bestens.
Um den freundlichsten Gruß an Fräulein Pfeiffer25 bitte ich Sie.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Jacobson, 29.06.1843. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Jacobson, 24.07.1845.

[1] Sicherlich Jean Joseph Bott, der zuvor in Leipzig konzertierte (vgl. R.†., „Leipzig, den 23. Januar 1844“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 59-64, hier Sp. 60ff.)

[2]Hier ein Wort gestrichen.

[3] Hier gestrichen: „hätte“.

[4] „Vater” über der Zeile eingefügt. – Anton Bott.

[5] Hier gestrichen: „auch“.

[6] Vgl. „Berlin, den 12. April 1844“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 315-321, hier Sp. 315f. und 321; „Berliner Opern und Concerte (Vom 1. bis 6. März)“, in: Berliner musikalische Zeitung 09.03.1844, S. [3]; C[arl] G[aillard], „[Das 11te und vorläufig letzte Concert der Milanollo‘s]“, in: ebd. 13.04.1844, S. [2].

[7] „aber“ über gestrichenem „und“ eingefügt.

[8] „an“ über gestrichenem „davon“ eingefügt.

[9] Hier gestrichen: „Virto“.

[10] „hat“ über einem gestrichenen Wort eingefügt.

[11] Vgl. „Berlin, den 12. April 1844“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 315-321, Sp. 319.

[12] Hier gestrichen: „se“.

[13] Die Kreuzfahrer.

[14] Hier gestrichen: „ge“.

[15] Hier ein Wort gestrichen.

[16] „trotz“ über gestrichenem „bei“ eingefügt.

[17] „Composition“ über einem gestrichem Wort eingefügt.

[18] „neueren“ über gestrichenem „musikalischen“ eingefügt.

[19] „musik.“ über der Zeile eingefügt.

[20] „ruft“ über einem gestrichenen Wort eingefügt.

[21] Vor „ders“ gestrichen: „ders“.

[22] Ludwig Rellstab, Paris im Frühjahr 1843. Briefe, Berichte und Schilderungen, Bd. 3, Leipzig 1844.

[23] Hier gestrichen: „die Zeit“.

[24]Eugène Sue, Les mystières de Paris, zunächst als Fortsetzungsroman im Journal de Débats 1842/43 erschienen, anschließend in mehreren Bänden und zahlreichen Auflagen in Buchform.

[25] Vermutlich Spohrs in seinem Haushalt lebende Schwägerin Caroline Pfeiffer.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.07.2021).