Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Mein hochverehrtester Herr Kapellmeister!
Ich kann nicht umhin, Sie schon wieder mit einer Bitte um guten Rath zu belästigen; es ist einmal in den Sternen beschlossen, daß ich nur von Ihrer Hand, unter Ihrer Leitung etwas Ordentliches zu leisten vermag. Das ist mir zur festen Überzeugung, ja zur fixen Idee geworden. Und wahrhaftig! ich habe Gründe genug, des Glaubens zu sein; denn ohne Ihr Urtheil, was Sie vor 10 Jahren über meine Oper1 fällten2, existirteich jetzt in der Kunstwelt nicht, sondern ginge in dem Dorfe, wo ich das Licht der Welt erblickte, hinter dem Pfluge drein, da ich vor 10 Jahren in so schrecklichen Verhältnissen lebte, daß ich eben nur durch meine gegenwärtige Stelle gerettet werden konnte. Ich wurde es u. zwar durch Ihr Zeugniß3 über einige meiner Compositionen, die das hiesige Constirium Ihnen zur Beurtheilung vorgelegt hatte. So ist es fortgegangen bis jetzt, u. wird auch so bleiben; denn auch die Idee, die mich gegenwärtig beschäftigt, kann nur dann realisirt werden, wenn Sie sich, mein hochverehrter Meister, für dieselbe interessirten. So wollen Sie denn gütigst meinen Gedanken ein geringes Gehör schenken.
Mein ganzes Streben ist – das darf ich wohl gestehen, ohne die Grenzen der Bescheidenheit zu überschreiten – dahin gerichtet, auch ein tüchtiger Mensch zu sein, mich wenigstens über die Grenzen der Mittelmäßigkeit zu erheben. Das kann aber in den jetzigen Lebensverhältnissen, in denen die Concurrenz zu ungeheuer ist, nur geschehen, wenn es mir möglich wird, auf das große Publikum zu wirken u. es auf mich aufmerksam zu machen. Zur Erreichung dieses Zwecks wollte ich im Juli oder August dieses Jahres hier in Eisenach ein großes Concert oder eigentlich Musikfest veranstalten u. an demselben a.) eins Ihrer Oratorien u. die Weihe der Töne von Ihnen b.) mein Oratorium4 u. meine zweite Symphonie und c) eine Symphonie von Beethoven, vielleicht die Eroica zur Aufführung bringen, so daß 2 Tage ausgefüllt würden. Das Ganze muß aber freilich unter der Hauptleitung eines Mannes von Europäischem Ruf stehen, u. dieser Mann sind nur Sie mein hochverehrter Meister. Ich bin fest überzeugt, der Plan gelingt u. würde in der ganzen Gegend hier, wo so sehr lange5 Etwas Thätiges in der Art nicht6 angekommen ist, Sensation erregen, wenn Sie ihm Ihre Theilnahme nicht versagten. Sie würden auch in Eisenach mit Jubel empfangen werden. Und ich würde es mir zur besondern Aufgabe machen, Ihnen ein paar recht heitere Tage zu verschaffen. Was nun das Orchester und das Sängerpersonal betrifft, so wäre es natürlich wünschenswerth und das Beste, wenn das von Cassel die Hauptmacht, das Centrum bildete, namentlich in Bezug auf die Solopartien in den Oratorien; zur Verstärkung bekäme ich wohl noch einen Haupttheil des Personals von Weimar dazu, wenn Sie es für nöthig hielten. Wie nun ein solches, doch bedeutendes Unternehmen dem Äußern u. Innern nach einzurichten sei, daß das Ganze zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeführt werde, und keine Nachwehen habe, darüber habe ich leider Erfahrung zu machen Gelegenheit gehabt.
Sollten Sie, hochverehrter Hr. Kapellmeister, dieser Idee Ihren Beifall nicht versagen, so würde ich einmal u. so bald wie möglich spätestens in den Osterferien zu Ihnen nach Cassel kommen, um mich über das Alles belehren zu lassen. Ich fühle wohl daß dabei viel auf dem Spiele steht u. das Risico bedeutend ist. Auf der andern Seite könnte mir ein solches Unternehmen, glücklich ausgeführt, einen sehr großen Vorschub leisten; selbst in pecuniärer Hinsicht dürfte es nicht7ohne erspriesliche Folgem sein, obgleich ich diesen Gewinn am wenigsten jetzt im Auge habe. Zu jetziger Zeit muß man aber wagen, ja oft alles aufs Ziel setzen. Wer nicht wagt, gewinnt nicht, ist ein altes Sprichwort. Und ich kann nicht leugnen, daß ich neben dem allgemeinen noch einen besonderen Zweck damit verbinde, nämlich: mich bei dem Weimarschen Hof8, der sich im folgenden Sommer in Eisenach aufhalten wird, in ein gutes Licht zu setzen. Es könnte mir dies einmal die Kapellmeisterstelle verschaffen, da allem Anschein nach Chelard nicht lange mehr Kapellmeister bleiben, sondern bald pensionirt werden wird9. – Die Idee so ein Musikfest zu veranstalten trag' ich schon längere Zeit mit mir herum; die Sache war mir aber an sich zu gewagt, dann scheute ich mich auch Sie zu bitten, die Oberleitung zu übernehmen; u. ohne Sie konnte und kann ich so was nicht unternehmen. Allein da der hiesige Stadtmusikus Rose vor einiger Zeit merkwürdigerweise auf denselben Einfall gekommen ist, so sehe ich mich genöthigt, meinen schon halb u. halb aufgegebenen Gedanken, ernstlicher zu verfolgen. Doch was sagen Sie, mein lieber Meister, dazu? Das ist Hauptsache.
Wegen der Eiligkeit meines Briefes um Nachsicht bittend
bin ich mit alter Liebe und Verehrung
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster
F. Kühmstedt
Eisenach am 12ten März
1844.
Autor(en): | Kühmstedt, Friedrich |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Chelard, Hyppolyte Rose, Friedrich Wilhelm (Eisenach) |
Erwähnte Kompositionen: | Beethoven, Ludwig van : Sinfonien, op. 55 Kühmstedt, Friedrich : Die Schlangenkönigin Kühmstedt, Friedrich : Der Sieg des Göttlichen Kühmstedt, Friedrich : Sinfonien, Nr. 2 Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden Spohr, Louis : Die letzten Dinge Spohr, Louis : Die Weihe der Töne |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844031240 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 06.03.1844. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Kühmstedt an Spohr, 03.04.1844, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Kühmstedt erschließen lässt.
[1] Die Schlangenkönigin.
[2] Vgl. Zeugnis von Spohr für Kühmstedt, 12.06.1834.
[3] Ebd.
[4] Der Sieg des Göttlichen.
[5] Hier gestrichen: „nicht“.
[6] „nicht“ über der Zeile eingefügt.
[7] „nicht“ über der Zeile eingefügt.
[8] „Hof“ über der Zeile eingefügt.
[9] Tatsächlich wurde Chelard erst 1851 vom Dienst suspendiert, nachdem bereits 1842 Franz Liszt zum außerordentlichen Hofkapellmeister in Weimar ernannt worden war.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (15.07.2020).