Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 149


Seiner Wohlgeboren
An den Capellmeister L. Spohr
in
Cassel.


Frankfurt d. 1t Merz 1844.

Hochverehrter Freund!

Empfangen Sie vor allem meinen wärmsten Dank für alles Liebe und Gute was Sie mir während meines dortigen Aufenthalts erwiesen haben, und sein Sie versichert daß es niemand mit mehr Dank zu nehmen weiß als ich, was für Mühen und Opfer Sie mir brachten.1
Meine Rückreise war gefahrvoll, u kann mehr eine Wasserpartie genannt werden2 als Landparthie, denn das Drittheil des Weges war unter Wasser, u. ich werde all mein Lebelang die Stunden von 1 bis etwa 7 Uhr morgens nicht vergessen. Ein Fehltritt der Pferde und wir wären ohne Rettung verloren. Speyer, den ich gestern zufällig sprach, und ihm viel von Ihnen und Ihrer neuen Oper3 sagte, freute sich ungemein über das, was ich ihm über beides sagte. Machen Sie nur, daß Ihr Werke bald das Tageslicht erblickt; Es thut noth. Mit dem italienischenischen Klingklang ist es nicht mehr auszuhalten. Zu Ehren Guhrs u. des hiesigen Publikums muß man doch sagen, das diesem Unwesen hier nunmehr das Feld gebrochen ist. An Hofbühnen mag dies schwerer sein, denn die großen Herren lieben nur das Moderne. Ich für meine Person gedenke – so sehr auch meine Frau und Kinder dagegen protestiren – schon wieder zu reisen, und München (den Sitz der Kabale) habe ich mir als Ziel erkoren. Da ich Gottlob‘ nicht genöthigt bin, mit dem Klingelbeutel zu reisen, und für Geld Concerte zu geben (es ist dies doch als eine Art Staatsbettelei herunter gesunken) so hat es etwas sehr angenehmes für mich nehmlich: den Leuten gehörig die Wahrheit zu sagen, welches bei gewißen Ständen und oft auch bei Musikern sehr Noth thut. Was ich meine, errathen Sie, so wie Sie letztere zu Genüge kennen werden. Die Hauptsache für mich ist u bleibt jetzt: fleißg zu sein und die paar Jahre noch zu benutzen, um zu schöpfen(???) u zu schreiben. Dem Schöpfer kann ich nicht genugsam danken dafür: daß4 meine Fantasie sogar und ergiebiger ist als je; und(?) so lange es geht, will ich auch meine Pflicht treulich erfüllen, u. habe sie in den letzten 10-15 Jahren soweit erfüllt. Weit über 100 neue Manuscriptwerke habe ich mir gesammelt. Späterhin hoffe ich, daß Sie alle dies kennen lernen.
Auf Ihre Oper5 freue ich mich sehr; wenn sie nur bald erscheint, wie gesagt zum Guten thut es Noth. Ihre Ouverture die jüngst in meinem Concerte dort gemacht wurde, hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Gerne möchte ich sie jetzt wieder einmal hören, u. sollte sie gedruckt zu haben sein, so werde ich sie bald in meinem Instrumentalverein, der sehr gut ist, aufführen. Auch habe ich mich an Ihrer hohen edlen Natur wieder so recht gestärkt, u. ich sehnte mich wahrhaft nach Ihnen. Das Treiben in der Welt ist heut zu Tage von einer Art: daß man alles dessen, was man bei Ihnen findet, ganz entwöhnt wird. Um desto größern Eindruck macht es aber auf mich. Wenn ich auch von mir sagen darf: das Eitelkeit fern von mir ist, u. ich die Kunst nur um ihrer selbst willen treibe u. liebe, so habe ich doch bedauert: Ihnen nicht mein Bestes habe reichen zu können, welches das sogenannte Freifantasiren ist.
Aber Sie wissen, daß man dieß nicht immer kann, am wenigsten, wo viele Leute zugegen sind, wo man doch Rücksicht nehmen muß. Nun, auf ein andermal; Vielleicht geben Sie dort mein Osterfest, bei welcher Gelegenheit ich wohl wieder nach Cassel komme, und das Versäumte nachhole. Das Textbuch lasse ich so eben copiren, u so wie ich‘s erhalte, so sende ich‘s Ihnen.
Jedenfalls darf ich Ihnen sagen: daß meine Oper auf Ihrer Bühne mehr Wirkung machen wird wie hier, wo der Raum allzusehr beengt ist; Nun zudem will ich gar nichts sagen und sprechen.
Sollten Sie Herrn und Frau von Malsburg sehen6 und mich Ihnen empfehlen wollen, so verbänden Sie mich sehr.
Vor allem Bitte ich mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen und sehr würde es mich freuen, wenn sie das Trio wieder spielte.
Von meinem Aloys7 dürfen Sie dereinst etwas bedeutendes vielleicht Großes erwarten, wozu sein Talent und seine bedeutende Schule u Kenntnisse berechtigen. Aber nur als gemachter Mann soll er erst in der Welt auftreten. Arbeiten muß er tüchtig.
In der Hoffnung bald etwas von Ihnen zu erfahren, bin ich, und bleibe stets mit ebenso großer Verehrung als Liebe Ihr Sie

hochverehrender
Freund Aloys Schmitt.

Meine große Eile bitte ich zu entschuldigen.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 26.08.1833. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 20.03.1844.

[1] Zu Schmitts Konzert in Kassel am 23.02.1844 in Kassel vgl. Otto Kraushaar, „Cassel, im April 1844”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 321-324 und 333-337, hier Sp. 335; Spohr an Moritz Hauptmann 03.03.1844. Der Besuch bei Spohr ist erwähnt in: Heinrich Henkel, Leben und Wirken von Dr. Aloys Schmitt, Frankfurt am Main 1873, S. 61.

[2] „werden“ über der Zeile eingefügt.

[3] Die Kreuzfahrer.

[4] „daß“ über der Zeile eingefügt.

[5] Die Kreuzfahrer.

[6]„sehen“ über der Zeile eingefügt.

[7] Georg Alois Schmitt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (31.03.2020).