Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Innsbruck am 8/144
 
Hochverehrtester Herr Doctor!
 
Reine, uneigennützige Liebe zur wahren Kunst, und tiefe Verehrung vor Ihren Meisterschöpfungen, welche Alles hinter sich laßen, was ich in dem von1 Ihnen bebauten und von mir bereisten Kunstfelde noch antraf, mögen mich in Ihren Augen entschuldigen, wenn ich als Unbekannter Sie, Hochverehrter! Vater der deutschen Muse! in Ihrer heiligen der Kunst geweihten Ruhe störe, und mit einer Bitte belästige. Noch ein paar Worte zu meiner Rechtfertigung: ich bin ein leidenschaftlicher Musikliebhaber, und habe es durch meine Freude zur Kunst in den wenigen Stunden der Muße dahin gebracht, Ihre Meisterwerke für die Violine leidlich zu spielen. Ich war in München abonnirt und habe in Wien Korrespondenz; ungeachtet dieser Hülfsquellen aber ist es mir nie gelungen, immer das Werk von Ihrer Meisterhand zu erhalten, was ich gerade gewünscht hätte; und wenn ich wieder so glücklich war, eine Komposition von Ihnen in die Hände zu bekommen, immer neue Schönheiten, immer neue Stachel für für meine Leidenschaft!! Mein Durst, alle Ihre Werke zu besitzen, ist unstillbar. Da ich aber kein Vermögen besitze, und meine kleine Besoldung als angehender Beamte kärglich zur physischen Existenz erkleckt2, so vermag ich meinen obenausgeschmückten Wunsch nur nach und nach zu erfüllen.
Meine Bitte an Sie, hochverehrter! besteht daher darin, daß Sie mir die Freundschaft erweisen möchten, ein vollständiges Verzeichnis aller Ihrer Konzerte, Quartetten, Quintetten, Sextetten, Septetten, Octetten, Nonetten, Trios und Duos, kurz aller Ihrer Kompositionen für Kammermusik (mit Ausschluß der Harfe jedoch, weil es hier an Harfenspielern gänzlich gebricht) gefälligst mitzutheilen. Ich belästige Sie gewiß nicht ohne Grund, denn kein Katalog, den ich noch in die Hände brachte, weder von München noch von Wien, war vollständig; und in Wien, wo Donizetti, Lanner und Strauß hausen, ist schon ganz und gar nichts zu kriegen. Wenn Sie daher die Liebe haben wollten, mir meine Bitte nicht abzuschlagen, so wage ich es die neue Bitte damit zu verbinden, zu jedem Stücke noch das opus und den Namen und Ort des Verlages anzugeben, dadurch wäre ich dann in den Stand gesetzt, alles nach Wunsch vom Verleger selbst zu bestellen. Meinen Gefühlen der Verehrung und Bewunderung würden sich dann noch die der Dankbarkeit beygesellen. Auch würde mich, ich muß es schon offen bekennen, ein Schreiben von Ihrer Künstlerhand, wenn Sie mich nur einiger Zeilen würdigen wollten, beglücken, und stolz machen. Den Muth zu diesem Schreiben hat mir mein Jugendfreund3 Herr Jos. Netzer eingeflößt, welcher mir von Ihrer großen Menschenfreundlichkeit und Herablaßung, als er das Glück hatte, Ihnen seine Mara vorzuspielen4, alles Erdenklich gute mittheilte. – Gegenwärtig studire ich an Ihrem onzième Concerte in g dur, eine wahre Fundgrube für Schönheiten der Violine, nur einen Zweifel habe ich dabei, ob Sie nämlich die Passage im 3ten Satze, beiläufig: [Nbs] mit fest anliegendem Bogen spielen, oder ob dieser nach der modernen Streichart etwas aufspringen darf. Mit fest aufgedrücktem Bogen würde ich diese Passage, da sich das Tempo dem Allo ziemlich nähern dürfte, äußerst schwer einstudiren. Hierüber bitte ich um Belehrung. Ich hätte noch einige Zweifel, welche daher rühren, weil ich nie einen gründlichen Unterricht erhielt, und mich daher nur nach höchst mittelmäßigen Mustern richten mußte; und wenn schon Ihre Violin-Schule, eine wahre Oase in meiner Kunstwüste, über Alles mögliche Aufschluß enthält, so ist, wie Sie am besten wissen, Violin, wenn man seinem Selbstunterrichte ganz5 überlassen ist, ein höchst schwieriges Instrument; allein ich wage es nicht, Sie noch mehr zu belästigen, und schließe mit der Versicherung, daß ich es mir zur besonderen Ehre machen6 würde, Ihnen mit einer Gegengefälligkeit dienen zu können, um daß ich alle meine Kräfte aufbiethen würde, einem allfälligen Wunsche von Ihnen vollkommen zu entsprechen. Ich zeichne mich mit aller Hochachtung als
 
Ihren
Verehrter u. bereitwilligsten Diener
Anton Gröber Dr der Rechte.

Autor(en): Gröber, Anton
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Netzer, Joseph
Erwähnte Kompositionen: Netzer, Joseph : Mara
Spohr, Louis : Konzerte, Vl Orch, op. 70
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1844010849

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 03.02.1844.
 
[1] „vor” über der Zeile eingefügt.
 
[2] „erklecken“ = genügen, helfen, nützen (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 3, Sp. 876 [Online-Version]).
 
[3] „mein Jugendfreund” über der Zeile eingefügt.
 
[4] Spohr setzte Netzers Mara auf den Kasseler Spielplan (vgl. Joseph Netzer an Spohr, 25.04.1844).
 
[5] „ganz” über der Zeile eingefügt.
 
[6] Hier ein Wort unleserlich gestrichen.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.09.2019).