Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.3 <Zahn 18431205>

By the first Steamer to New York
A
Madame Emilie Zahn
née Spohr.
Nro. 83 Walker Street
Newyork


Cassel den 5ten Dec:
1843.

Geliebte Emilie,

Dein Brief vom 15ten September, der aber erst vor wenigen Tagen in unsere Hände gekommen ist, hat uns Freude und Kummer gebracht, Freude, daß Ihr wohl seyd und Du wieder völlig zu Kräften gekommen bist, Kummer, daß es mit Zahns Geschäft immer noch nicht besser geht und Ihr von Neuem mit Noth und Sorgen zu kämpfen habt. Auf Deine Versicherung, daß eine Summe von 1000 Rth dem Geschäft dauernd aufhelfen könnte, habe ich mit Idas Hülfe nochmals Rath geschafft, da der Versuch von Zahns Eltern etwas zu erhalten fruchtlos war. Du erhälst demnach einliegend die genannte Summe mit einem Wechsel auf Herrn Faber1 nebst dem Avisobrief, dem Du mit dem Wechsel zu übergeben hast. Den beyliegenden Schuldschein, von Euch beyden unterschrieben und mit dem Datum des Empfangs der Summe versehen, schicke mir bey nächster Gelegenheit zurück. Da du von der genannten Summe als Erbteil, bey dem jetzigen Stande meines Vermögens, kaum die Hälfte zu empfangen hättest, wenn ich binnen kurzem stürbe, so hat sich Ida für die andere Hälfte verbürgt und sie als zu ihrem Erbteil gehörig anerkannt. Ich hoffe, daß dieser Umstand Euch zu um so größerer Vorsicht bey Anlegung des Geldes bestimmen wird und halte es für unnötig in dieser Beziehung noch ein Wort hinzuzufügen.
Die erfreulichste Nachricht in deinem Briefe war mir die, daß sich bey unserem lieben Talchen2 eine gute Stimme und ein musikalisches Gehör entwickelt. Versäume ja nichts um sie nach allen Richtungen zu einer guten Sängerin auszubilden und bedenke, daß dies nicht bloß Ihr eigenes Lebensglück begründen, sondern auch zu dem Deiner Schwester und dem meinigen beytragen kann, wenn dadurch unser einstiges Wiedersehen erleichtert wird. Schreibe mir hierüber recht ausführlich, so wie überhaupt über Dein Musiktreiben, ob Du Unterricht gibst, öffentlich singst, wie es mit deiner Kirchen-Anstellung steht u.s.w.
Das traurigste was ich dir zu melden habe ist der Tod deines Großvaters.3 Er verschlief ganz sanft am 1ten December. Die letzten 3 Monate seines Lebens wurde er von Wilhelm4 verpflegt und er war im Kreise von dessen Kindern und unter der liebevollen Pflege von Louise und Wilhelm Krämer5 noch einmal so heiter geworden, wie er es überhaupt nach dem Tod der Mutter6 werden konnte. Seine körperlichen und geistigen Kräfte nahmen aber von Tage zu Tage immer weiter ab, so daß er zuletzt ohne allen Todeskampf ganz ruhig eingeschlafen ist. Wie werden sein Andenken, so wie daß unserer guten frommen Mutter ehren, so lange wir athmen.
Die hiesigen Ereigniße behält sich Ida vor Dir zu schreiben, so bald sie eine Gelegenheit auffindet, Dir ein dickeres Paquet zusenden zu können. Dann werde ich ein neues Porträit von mir in Stahlstich beylegen, welches wenn auch noch nicht ganz gut, doch besser wie alle früheren ist. Auch ein paar neue Lieder werde ich Dir mitschicken. Den Verlauf unserer englischen Reise haben Dir die Londoner Blätter erzählt; ich füge daher nur noch hinzu, daß wir von London aus in Gesellschaft des Herrn Taylor eine höchst interessante und lohnende Reise ins Land bis nach Wales machten und in dem kurzen Zeitraum von nur 8 Tagen mit Hülfe der Eisenbahnen unglaublich viel Schönes und Merkwürdiges sahen.7 Nach der Rückkehr hierher begann ich mit erneuter Lust zu arbeiten, schrieb erst mehreres für Pianoforte und Violine8 und um für den Winter eine größere Arbeit zu haben, entschloß ich mich nochmals zu einer Oper. Da alle die zahlreichen Texte, die mir zur Ansicht zu geschickt wurden, nichts taugten, so kam ich auf den Gedanken mir mit Mariannes Hülfe aus einem alten Kotzebue'schen Schauspiele, welches vom Repertoire verschwunden ist, selbst ein Opernbuch zurecht zu machen. Es ist dies das zu seiner Zeit sehr beliebte Schauspiel „die Kreuzfahrer“ woraus wir eine 3 aktige Oper gemacht haben. Sie ist ohne Dialoge und bietet eine Menge für Musik höchst dankbare Scenen. Das Buch ist fertig und der 1ste Akt, mehr wie ein Drittheil von der ganzen Oper komponiert. Diesen lasse ich zu[r Zeit] in den Singstimmen ausschreiben, um ihn mit den Dilettanten vorläufig einmal bey mir am Claviere zu probiren.9 Ich denke im Laufe des Winters das ganze Werk zu vollenden. Ob hier oder Auswärts eine erste Aufführung davon zu Stande kommen wird, weiß ich noch nicht.
Lebe wohl meine gute Emilie und schreibe uns nur recht bald und ausführlich. Der Himmel gebe, daß es nun mit Hülfe der übermachten Summe mit Zahns Geschäft besser gehe und die drückenden Sorgen los wirst! Ida und ihre Familie, sowie Marianne und alle ihre Angehörigen grüßen auf das herzlichste. Wie immer dein Dich herzlich liebender Vater Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Zahn, Emilie
Erwähnte Personen: Faber, Conrad Wilhelm
Krämer, Louise
Krämer, Wilhelm
Spohr, Carl Heinrich
Spohr, Ernestine
Spohr, Louise
Spohr, Marianne
Spohr, Wilhelm
Taylor, Edward
Wigand, Nathalie
Wolff, Ida
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Duos, Vl Kl, op. 127
Spohr, Louis : Die Kreuzfahrer
Erwähnte Orte: Kassel
London
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843120500

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Zahn an Spohr, 15.09.1843. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Zahn, 06.06.1845.

[1] Der kurhessische Konsul in New York, Conrad Wilhelm Faber (vgl. Spohr an Zahn, 04. und 05.081846).

[2] Zahns Tochter Nathalie, später verh. Wiegand.

[3] Spohrs Vater Carl Heinrich Spohr.

[4] Spohrs Bruder Wilhelm Spohr.

[5] Neffe von Louis Spohr und Enkel von Carl Heinrich Spohr.

[6] Spohrs Mutter Ernestine Spohr.

[7] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 12.-18.07.1843.

[8] Op. 127.

[9] Vgl. Karl Traugott Goldbach, „Louis Spohrs Quartettverein und andere musikalische Geselligkeiten in Kassel“, in: Spohr Jahrbuch 2 (2018), S. 47-62, hier S. 58f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Neele Nolda (05.05.2020).