Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Simon Moser, Das Liedschaffen Louis Spohrs. Studien, Kataloge, Analysen, Wertungen. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Kunstliedes, Kassel 2005, Bd. 1, S. 68 (teilweise)
Inhaltsangabe: Folker Göthel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr, Tutzing 1981, S. 477

Gotha d. 2. Dezbr. 1843.

Hier, mein lieber und hochgeschätzter Freund! empfangen Sie meine Lieder. Die ersten sechs sind die für den Herzog August gedichteten1; ich habe ihnen jedoch für den Falle, daß eines oder das andere Ihnen nicht zusagen sollte, noch drei andere (bisher ungedruckte) hinzugefügt, und zwar – was jene nicht sind – humoristischen Inhalts. - Wählen Sie sich nun nach Belieben aus, und wenn Sie unter allen nur wenigstens soviele heraussondern möchten, daß Sie davon, für die Herausgabe in Druck, einen eigenen (d.h. mit Gedichten anderer unvermischten) Heftes formieren könnten, so würde mir das nur – schmeichelhaft an und für sich selbst – auch in andere Rücksichten sehr wünschenswerth und erfreulich sein.2
Daß mein Brief – wenn auch, wie Sie freundlich sagen, Ihnen erfreulich gewesen ist – doch auch zugleich in Ihnen eine wehmüthige Stimmung erweckt hat, begreife ich nur zu gut! Ist es mir doch, als ich ihn schrieb, auch nicht anders gegangen! Zu der längst vergangenen Zeit, von der ich schrieb, waren wir junge Leute; das Leben lag offen und weit vor uns; was ließ sich da nicht alles Herrliches und Großes, das innerste Gefühl durch und durch und für immer zufriedenstellendes erwarten! – Nun sind wir alte Leute geworden, blicken auf eine lange3, mit tausenderlei Erlebnissen angefüllte, Reise von Jahren hinter uns zurück, und finden am Ende, daß auch unser Loos nur das allgemeinmenschliche, überall mangelhafte, keine einzige Sehnsucht ganz, oder doch wenigstens mir rein und unverkümmert befriedigendes, gewesen ist! – Ein wie häufiges Capitel, von dem ich gern abbreche, um Sie nur noch meiner freundschaftlichsten Ergebenheit zu versichern, als ganz

der Ihrigste
vGöchhausen

NS. Zu dem Gedicht No. 2, unter dem sehr schönen, aber noch nicht dagewesenen Namen Engelmund (ad modum4: Siegmund, Edmund pp) finde ich es, um des richtigen Verständnisses willen, fast müßig,5 nur noch zu bemerken, daß dieser Engelmund eine der Hauptpersonen des Herzogl. Romans, und ein wunderbares, fast mystisches Wesen sein sollte, und daß die Aufgabe war, ein den Namen selbst bezeigendes Lied zu dichten, und so fragt, tröstes, sagt, küßt und schweigt denn der Mund des Engels!

Autor(en): Göchhausen, Emil
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, op. 139
Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 113
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843120246

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Göchhausen. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Göchhausen an Spohr, 05.04.1845.

[1] Vgl. Göchhausen an Spohr, 14.11.1843.

[2] Spohr vertonte davon schließlich zwei als WoO 113 und op. 139.1.

[3] Hier gestrichen: „Reise“.

[4] „ad modum“ (lat.) = „nach Art von“.

[5] Hier zwei Buchstaben gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.07.2021).