Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:11

Lieber Herr Kapellmeister!

Es thut mir herzlich leid, daß ich die zur Prüfung Ihrer gütigen Vorschlage mir anberaumte Zeit in einige Tage habe ausdehnen müssen, Sie also in Ungewißheit über meinen Beschluß geblieben sind. Ich hoffe wohl, ich könnte diese Verzögerung nur durch einen zusagenden Entschluß wieder gut machen. Indeß ich mag überlegen, wie ich will, ich komme stets auf meine alte Ansicht zurück, es ist für einen Philologenverein in Kassel kein Pflaster, u ich würde nur Tage des Ärgers dort haben u der Beschämung, als einstweiliger Hessischer Unterthan die Kümmerlichkeit gewisser hoher Herren anzuschauen.1 So muß ich also auf das Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuseyn, für jetzt verzichten, auf die Antigone-Musik und den köstlichen Babylons Fall, muß auf den Ruhm u das Vergnügen resigniren, das mir aus der Ehre entsprossen seyn würde, unter Ihrer Direction die Solopartie des Tenors zu übernehmen. Es ist mehr sehr leid, daß sich augenblicklich an den Namen Cassel so manches2 mich Genirendes knüpft. Was wollten denn die Herrn sagen, die mir so fest die Erzieherstelle versprochen u nicht gehalten haben? Ihrer lieben Frau Weissagekunst hat doch ganz richtig gesehen: es ist dieß Jahr ein schlechtes. Sonst gewohnt, überall in meinen Bemerkungen zu siegen, bis ich jetzt innerhalb dreier Monde(???) zweimal besiegt. Da fühlt man, daß man alt wird.
Die Stücke, die Sie mir gesandt, sind leider! zu kurz geraten, als daß sie mir nicht nachher wer weiß wie viele Fragen wieder aufgerufen hätten über Einzelheiten Ihrer englischen Reise. Auch in dieser Beziehung die Lücken meiner Erkenntniß auszufüllen, würde mir jetzt Sie Gelegenheit werden können; indeß die Tage würden doch sicherlich zu geräuschvoll seyn!
Ich schiebe meine Hoffnung, Sie alle wiederzusehen, auf die Zeit auf, wo ich zu meinem Kinde wieder reisen werde.3 Der arme Sohn ist leider! fortwährend an dem Gebrauche seines rechten Beines verhindert, so daß ich trotz den entgegengesetzten Meinungen u Versprechungen der Ärzte der Befürchtung kaum zu geben geneigt bin, er werde für sein ganzes Leben ein gebührendes Bein behalten. Mit welch einer Betrübniß mich in solcher Gedanke erfülle, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Das Schicksal scheint mich wirklich allseitig grüßen zu wollen.
Anber genug für heute! Ich werde heut Abend noch einen köstlichen Genuß haben. Die Frankf. Oper hat Ihren Faust angekündigt; da hat sich sogleich eine große Anzahl Ihrer Verehrer aufgemacht, um den Genuß zu theilen. Wie viele Menschen sagen Ihnen wohl alltäglich Dank für Ihre herrlichen Schöpfungen!
Meine musikal. Beziehungen in hiesiger Stadt sind augenblicklich auf die Liedertafel beschränkt, welche unter meiner Leitung sich der beßten Fortschritte erfreut, so daß ich zuweilen keinen größeren Wunsch habe, als Ihr Urtheil über die Leistungen einzuhohlen.
Unter den herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau, u der Bitte, mir dieß freundliche mich beglückende Andenken zu bewahren

Ihr
treu ergebener
Firnhaber

Hanau 24st Septbr. 1843.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Firnhaber, Wilhelm
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Mendelssohn Bartholdy, Felix : Antigone
Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte: Hanau
Kassel
London
Erwähnte Institutionen: Liedertafel <Hanau>
Stadttheater <Frankfurt am Main>
Verein deutscher Philologen und Schulmänner
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843092448

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Firnhaber. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 19.11.1843.

[1] Wie von Firnhaber vorhergesagt, untersagte der Kurprinz Friedrich Wilhelm die Mitwirkung der Hofkapelle bei den von Spohr geplanten Aufführungen (vgl. Spohr an Moritz Hauptmann, 06.10.1843).

[2] Hier gestrichen: „für“.

[3] Der verwitwte Firnhaber hatte seinen Sohn Wilhelm in Verden untergebracht (vgl. Firnhaber an Spohr, 08.03.1842).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.11.2020).