Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,22
Professor Taylor
Red Lion Court. Fleet
Street.
London.
frei bis Rotterdam.
Cassel den 9ten
August 1843
Mein geehrter Freund,
So sind wir denn zur altgewohnten Häuslichkeit zurückgekehrt1 und von der herrlichen Reise, ist uns nur die Erinnerung geblieben! Bevor ich mich dem Genuß von beyden hingeben konnte, hatte ich jedoch erst noch einen Berg von Geschäftsbriefen zu beantworten, der sich während unserer Abwesenheit angehäuft hatte und mich von neuem in meine Theaterarbeiten einzuleben. Dieß ist nun geschehen und nun kenne ich keine dringendere Pflicht, als Ihnen und den lieben Ihrigen nochmals unsern herzlichsten Dank zu sagen für alle die Freundlichkeiten und Afmerksamkeiten, womit Sie uns überschüttet haben. Ihnen müssen wir aber noch besonders danken, daß Sie mit Aufopferung von Zeit und Geld uns unsern Ausflug in's Land durch Ihre Führung so genußreich zu machen wußten. Nie werden wir die schönen Tage unsres Zusammenseyns vergessen! Hoffentlich wird Sie dieser Brief nun von Ihrer Unpäßlichkeit völlig wieder hergestellt finden! Sie können nicht glauben, wie schmerzlich es uns war, nicht persönlich von Ihnen Abschied nehmen zu können und wie gern ich Ihnen noch ein Mal die Hand gedrückt hätte! Besonders war es mir leid, daß Sie sich höchst warscheinlich dieß Unwohlseyn auf der Reise, die Sie nur unseretwegen machten, zugezogen haben und daß wir so die Veranlassung dazu waren! Doch hoffentlich ist nun jede Spur davon verwischt und Sie haben längst Ihre gewohnten Geschäfte wieder antreten können.
Nun einiges von unserer Rückreise: Auf dem Dampfschiff war meine erste Beschäfftigung wieder Stambuchblätter zu beschreiben, denn einige Herren machten die Reise bis Gravesand nur mit, um für sich und andere meine Handschrift zu erlangen. Später spielte ich mit Staudigl, der unser Reisegefährte war, Schach; wir hatten aber kaum die zweite Parthie begonnen, als das Schiff zu tanzen anfing und sich bey mir die ersten Vorboten der Seekrankheit meldeten.2 Dieß erinnerte mich an den letzten Zuruf unsres lieben Kindes3, die mich ermahnte:, mich sogleich niederzulegen. Dieß that ich nun eiligst und wirklich gelang es mir dieses Mal, obgleich die See sehr unruhig war, über die fatale Krankheit glücklich hinauszukommen. Um 8 Uhr waren wir schon vor Antwerpen, wurden aber von den Visitatoren fast noch eine Stunde aufgehalten, bevor wir landen durften. Den Rest des Tages mußten wir Herrn Rimenans widmen, der eine Musikparthie veranstaltet hatte. Ich spielte einige meiner Quartetten mit recht guter Begleitung und hatte ein empfängliches und dankbares Publikum.4 In Aachen5 und Frankfurt6 mußten wir unsern Bekannten viel von London erzählen, denn die deutschen Zeitungen hatten schon manches darüber gemeldet.
Auch hier waren viele Auszüge aus englischen Zeitungen erschienen und die ganze Stadt war voll davon. Selbst dem Prinzen7 der mich sehr freundlich empfing, mußte ich viel erzählen und er schien selbst die Nachricht, daß ich vor der Königin spielte, da es nun einmal nicht mehr zu ändern war, gut aufzunehmen. - So haben wir denn noch viel in der Erinnerung geschwelgt und werden diese Reise stets als einen der herrlichsten Lichtpunkte unsres Lebens betrachten! -
Mit den herzlichsten Grüßen an alle die lieben lhrigen mit wahrer
Freundschaft ganz
der Ihrige Louis Spohr.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Taylor, Edward |
Erwähnte Personen: | Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst Rymenans, Eugène Staudigl, Joseph Taylor, Margaret Victoria, Großbritannien, Königin |
Erwähnte Kompositionen: | |
Erwähnte Orte: | Aachen Antwerpen Frankfurt am Main London |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843080904 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz, Taylor an Spohr, 12.06.1843, entstand vor Spohrs in diesem Brief erwähnten Londonaufenthalt. Taylor beantwortete diesen Brief am 19.08.1843.
[1] Das Ehepaar Spohr traf am 30.07. wieder in Kassel ein (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 30.07.1843).
[2] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 22.07.1843.
[3] Vermutlich Taylors Tochter Margaret, die bis zu Spohrs London-Reise in Kassel zu Besuch war.
[4] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 30.07.1843.
[5] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 25.07.1843.
[6] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 27.07.1843.
[7] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (28.01.2019).