Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach England 1843
Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 2.2.01, Bl. 16v-17v

Mittwoch d. 12ten

Nach einem durch Besuche und dgl. bei uns sehr unruhigen Morgen und frühem Mittagessen nahmen wir 2 Uhr Abschied von unseren lieben Wirthinnen Kate1 und Margaret, um begleitet von Prof. Taylor unsere Reise im Lande herum anzutreten. gegen 3 kamen wir beim Eisenbahnhof an und fuhren mit derselben durch einzig schöne Gegenden sehr vergnügt nach Winchester, wo wir ½ 6 schon anlangten. Diese freundliche, interessant gebaute Stadt mit ihrer herrlichen frischen Umgebung übt einen eignen Reiz auf das Gemüth und erregte ein Gefühl, als möchte man ewig hier bleiben. Sehr abstechend gegen London fanden wir die wohlthuende Ruhe, sowie den ganz klaren Himmel und die frische, reine Luft. Zuerst besuchten wir die berühmte Cathedrale, die schon von außen in ihrer Größe und Erhabenheit, umgeben von den schönsten Anlagen, himmlisch grünen Plätzen, zahllosen Rosen u.s.w. einen ganz ergreifenden Anblick gewährt. Sie ist die Größte in England und im Innern ganz unbeschreiblich schön, mit vielen höchst kunstvoll gearbeiteten Kapellen darin, deren jede wie eine herrliche Kirche für sich in dem ungeheuren Raum da steht. Prachtvolle Orgel, auf der Mr. Long (welcher sich gleich v. Spohrs Ankunft benachrichtigen lassen) sehr schön vorspielte. Dieser sehr angenehme freundliche Mann bot uns dann alle möglichen Dienste an und zeigte uns noch viel Merkwürdigkeiten der lieblichen Stadt: Winchester College, interessantes altes Gebäude und reizende Umgebung. Kapelle, Bibliothek, Höfe und Spielplätze darin, auch die Unterrichtssäle, alles großartig und schön. Spohr ganz besonders entzückt über die wundervollen Pausenplätze mit den frischesten südlichen Pflanzen und Bäumen umgeben, einen allerliebsten Berg im Hintergrund u.s.w. Der weitere Spaziergang in der fremdartig schönen Gegend entzückte uns völlig, auch bewunderten wir noch viel schöne Gebäude, ganz besonders eine Art Hospital für alte Frauen, welches um ein liebliches Blumengärtchen rings herum so nett und einladend erbaut, in seinem stillen Frieden als ein beneidenswerther Aufenthaltsort erscheint. –
Mr. Long und Prediger Woodcock, der Spohr zu sehen wünschte, kamen zu uns ins Gasthaus zum Thee, wo wir uns gut unterhielten. Als sie fort waren, gingen wir mit recht frohen Herzen in unser höchst gemüthliches Schlafstübchen, aus dessen Fenster man in die herrliche Allee, die zur Cathedrale führt und diese selbst in der Ferne sah.

Autor(en): Spohr, Marianne
Adressat(en):
Erwähnte Personen: Long, Benjamin
Taylor, Edward
Taylor, Margaret
Whittle, Kate
Woodcock, E.
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: London
Winchester
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843071290

Spohr



Dieser Tagebucheintrag folgt auf den Eintrag 11.07.1843. Der nächste Eintrag ist 13.07.1843.

[1] Kate Taylor, später verh. Whittle.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.05.2020).