Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach England 1843
Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 2.2.01, Bl. 15r-16v

Dienstag d. 11ten.

Lange Verhandlungen bei uns mit den Direktoren v. Exeter Hall.1 Dann begleitet vom jungen Taylor große Tour in der Stadt gefahren, wobei wir sahen: Newgate, die ungeheure Feuersäule, d. Mansion House, d. Paulskirche, London Bridge, wo wir ausstiegen und lange uns an dem unerhörten Leben und Treiben v. Menschen, Equipagen aller Art durcheinander oben und den unaufhörlich kommenden und gehenden Dampf- und anderen Schiffen unten höchlichst ergötzten. Endlich dann bei dem so unendlich interessanten Tower angelangt, bewunderten wir zuerst das einzig großartige alterthümliche Gebäude mit seinen Höfen und eigenthümlichen Gängen von außen; dann innen den ungeheuren Saal mit den Rüstungen aller englischen Könige, wundervollen Verzierungen und Rosetten von Waffen etc., ferner viel interessante Trophäen, d. Block und die Axt von Maria Stuart’s Enthauptung, die Kammern, wo die Gefangenen alter Zeit gesessen und noch eine Masse der merkwürdigsten geschichtlichen Erinnerungen. Die Kronjuwelen ganz von Glas umschlossen reizend aufgestellt und in einem beständig geheizten aparten Saal aufbewahrt, von ganz entzückender strahlender Pracht und geschichtlich unendlich interessant, die Kronen und Waffen mit kostbarsten Steinen verziert von verschiedenen Königen und Königinnen aller Zeiten. Zuletzt besahen wir auch noch den noch in Thrümmern und Schutt liegenden großen Teil des Gebäudes, der vor einigen Jahren leider abgebrannt war. -
Von da fuhren wir nach dem Tunnel, diesem nun vollendeten Wunderwerk der Welt.2 Einzig großartig schon die Thürme (mit den reizend angelegten Treppen) zum Ein- und Ausgang; der Durchgang unter der Themse her höchst interessant und schön, 2800 Fuß lang mit 64 Bogen, deren jeder mit 2 Gaslampen beleuchtet und darin 60 allerliebste glänzend ausgestattete Läden sowie auch eine Druckerei, von wo wir eine eben daselbst vollendete Beschreibung des Tunnel mitnahmen. Zu Hause bei Tisch mit den liebenswürdigen Taylors angenehme Unterhaltung über alles Erlebte. -
Abends große Gesellschaft von 160 Personen bei Horsleys, höchst elegant aber etwas steif und gar zu voll gedrängt, selbst in dem dazu ausdrücklich eingerichteten recht großen Malerzimmer des John Horsley. Spohr spielte auf allgemeinen Wunsch wieder das erste Trio mit Moscheles und Hausmann, Horsley ein hübsches Trio von sich, Glees gesungen und war alles schön, aber furchtbare Hitze. Alle Damen wehten sich fortwährend mit ihren Fächern Luft ins Gesicht, was in der Londoner Gesellschaft allgemein üblich ist, und uns immer sehr komisch vorkommt. Zwischendurch konnte man hinunter gehen, sich Eis und andere Erfrischungen geben lassen, was aber bei der dicht und voll gedrängten treppe eine wahre Kunst war. –
Als wir gegen 2 Uhr nach haus kamen, fanden wir wie nach jeder Abwesenheit eine große Menge Karten und Briefe für Spohr, unt. and. auch englische Zeitungsblätter, wo besonders im Examiner3 eine so über-enthusiastische Betrachtung über seinen Besuch in London, daß wir beim Lesen laut lachen mußten.

Autor(en): Spohr, Marianne
Adressat(en):
Erwähnte Personen: Brunel, Isambard Kingdom
Hausmann, Georg
Horsley, Charles Edward
Horsley, John
Horsley, William
Moscheles, Ignaz
Taylor, John Edward
Erwähnte Kompositionen: Horsley, Charles : Trios, Vl Vc Kl
Spohr, Louis : Trios, Vl Vc Kl, op. 119
Erwähnte Orte: London
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843071190

Spohr



Dieser Tagebucheintrag folgt auf den Eintrag 10.07.1843. Der nächste Eintrag ist 12.07.1843.

[1] Sacred Harmonic Society.

[2] Der Ingenieur des Themse-Tunnels war Isambard Kingdom Brunel, bei dem das Ehepaar Spohr zwei Tage zuvor zu Besuch waren (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 09.07.1843).

[3] „Philharmonic Concerts. Eight Concert, Monday, July 3“, in: Examiner (1843), S. 421f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.05.2020).