Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach England 1843
Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 2.2.01, Bl. 11v-13v

Donnerstag d. 6ten.

Endlich ward mir die Freude, die himmlische Westminster Abbey wiederzusehen, die seit fast 4 Jahren der Gegenstand meiner lebhaftesten Träume und stillen Sehnsucht war. Der Anblick des heilig erhabenen und tiefer als damals und versenkte mich in stilles ernstes Nachdenken, bis die herrliche Musik begann und ich wie damals die sanften Himmelsklänge, unmerklich das einzige „Amen“ der Chorsänger vernahm, die mein zu erregtes Gefühl in Thränen auflösten. Nachdem wir dann noch ein schönes alterthümliches Anthem v. Purcell gehört, mussten wir allzu schnell scheiden, um anderen sehr verschiedenen Genüssen zuzueilen. Oft noch nach den ehrwürdigen lieben Thürmen zurückschauend gelangten wir auf einem herrlichen Spaziergang durch den grandiosen St. James Park bald nach dem Pallast des Herzogs von Sutherland, einem wahren Zauberschloß und prächtig glänzender, zugleich im allerhöchsten Grad anmuthig wöhnlicher Einrichtung. Über alle Maßen prachtvoll besonders der grandiose Treppenaufgang, durchaus mit blendenden Scharlachteppichen belegt, in feierlichem Geschmack erbaut, mit kostbaren Kunstwerken verziert, hell beleuchtet durch große Fenster von oben. Durch die langen Reihen von Prachtsälen, erst unten dann oben hinwandelnd, den durchgängig edlen Geschmack so wie eine Menge fremder aber höchst einladender Gegenstände des Luxus und Comforts bewundernd glaubte ich wirklich, oft mehr zu träumen als zu wachen. Die in der wundervollen Bildergallerie befindlichen werthvollen Gemälde konnten wir aus Mangel an Zeit nicht gründlich genug betrachten. Von da eilten wir, M. Taylor, Miss Jaques und ich, geleitet und beschützt von H. Klingemann nach dem James Pallace, um die große Cour bei der Königinn mit anzusehen, wozu durch den Lord Chamberlain mehre 100 Zuschauerbillets ausgeteilt worden, wofür in einem ungeheuer langen, mit roten Teppichen versehenen Corridor zu beiden Seiten bequeme Bänke aufgestellt sind, auf denen wir nebst den übrigen sehr elegant in Seide gekleideten Zuschauern Platz nahmen und viel Hunderte geputzter Herren und Damen die ganze höchste Noblesse Londons dicht hintereinander her an uns vorüberwandeln ließen. Die Pracht der Toiletten, überschüttet von Gold, Diamanten, Samt, Atlas, kostbaren Federn u.s.w. übertraf die kühnsten Ahnungen und wich so sehr von der mir bisher bekannten Wirklichkeit ab, daß ich mich fast in eine ganz andere fremde Welt versetzt glaubte. Dazu schmetterte beständig die brillanteste Militärmusik aus dem Schloßhof, die zugleich zu Pferd sitzend in originellen Staats-Uniformen einen sehr großartigen Anblick gewährten. Nachdem wir den Zug ununterbrochen 1 ½ Stunden vorbeiwandeln ließen und davon ganz geblendet und müde waren, drückten wir uns mutig hindurch und hinaus durch eine Masse glänzender Dienerschaft und Equipagen und durch all die schönen großen Schloßhöfe. Die Straßen so weit das Auge reichte auch angefüllt von dem immer noch zuströmenden glänzenden Wagenzug und einer unabsehbaren Menge Menschen zum Zuschauen, wobei wir im Durchdrängen die Artigkeit und Ruhe des englischen gemeinen Volks bewunderten, das uns allenthalben in dem Gedränge ganz freundlich und still Platz machte. Den schönen James Park fanden wir wieder übergoßen von einer zahllosen Menge eleganter Spaziergänger und fuhren dann endlich in einem Cab1 die letzte Stunde bis nach Haus. – ½ 7 Diner bei Sir G. Smart, den wir sehr freundlich und seine Frau auch angenehm und sehr elegant fanden. Das Essen mit 10 Personen brillant, recht englisch. Nachher Besichtigung des Zimmers und Bettes, worin C. M. v. Weber logiert und gestorben, welches uns sehr interessierte. Abends kam noch große elegante Gesellschaft zum Thee und Musik: 4te. Gesänge, reizend vorgetragen, 2 Miss Pine sangen schön; Terzett aus Zemire, Duett aus Faust, schönes Quartett von Sir Smart etc. Es spielten: Smart, Potter, Filtsch, der berühmte Dreyschock, der zwar Wunderdinge à la Liszt ausführte, uns aber doch wegen seines gräßlichen Aufschlagens und der sehr faden eigenen Compositionen, die er spielte, nicht ansprach. In der Unterhaltung war er freundlich und angenehm, wie auch Mr. Potter, Broadwood und mehre Andere, die sich auch hübsch über Musik und über Spohr äußerten. – Von 12 bis 1 Fahrt durch die Hauptstrassen des Stadt, um die prachtvolle Illumination zu sehen, die großartig und glänzend mit Gaslichtern in tausend Farben und Gestalten uns ganz überraschten und entzückten. Besonders reizend die aus grünen Lichtern gebildeten colossalen Blätterguirlanden. Die taghellen Straßen wimmelten weit und breit von Wagen und Fußgängern. – Spohr ermüdet von allen Strapazen dieses Tages, freuten wir uns doppelt eines erquickenden Schlafes in den so einladenden großen englischen Betten.



Dieser Tagebucheintrag folgt auf den Eintrag 05.07.1843. Der nächste Eintrag ist 07.07.1843.

[1] Einspännige Kutsche mit faltbarem Verdeck.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Friedrich Frick (25.08.2017).