Autograf: Yale University New Haven, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Sign. GEN MSS VOL 244
Druck 1: Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 272ff.
Druck 2: Wilhelm Tappert, Richard Wagner. Sein Leben und seine Werke, Elberfeld 1883, S. 15 (teilweise)
Druck 3: „Wagneriana”, in: Allgemeine deutsche Musik-Zeitung 10 (1883), S. 360f.
Druck 4: „Ein Brief Richard Wagner’s“, in: Wiener Allgemeine Zeitung 18.09.1883, Abendblatt, S. 1
Druck 5: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 69 (teilweise)
Druck 6: Autographensammlung Ignaz Moscheles und Reserve Alfred Bovet bestehend zum größten Teil aus wertvollen Musikmanuskripten und Musikerbriefen. Versteigerung am 17. u. 18. November 1911 (= Katalog Liepmannssohn 39), Berlin 1911, S. 140 (teilweise)
Druck 7: Richard Wagners Gesammelte Briefe, hrsg. v. Julius Kapp und Emerich Kastner, Bd. 2, Leipzig 1914, S. 51-54
Druck 8: Catalogue of Valuable Printed Books, Illuminated & Other Manuscripts, Autograph Letters & Historical Documents […] (= Katalog Sotheby & Co.], London 1930, S. 76 (teilweise, engl. Übers.)
Druck 9: Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 2, hrsg. v. Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 1980, S. 270-273
Mein hochverehrtester Herr und Meister!
Von der Freude, ja von dem Entzücken, das mir Ihr so außerordentlich liebenswürdiger Brief bereitete, mußte ich mich wirklich erst etwas erhloen, ehe ich daran gehen konnte, Ihnen zu schreiben und mein dankbares Herz gegen Sie auszuschütten. Ich war untröstlich, meine Frau bereits in das Bad nach Teplitz geschickt zu haben, denn – sie in der Freude über Ihren Brief nicht umarmen zu können, war mir stets schmerzlich; so faßte ich wirklich auch schon den Gedanken, sogleich zu ihr zu reisen, blos um Ihren Brief gemeinschaftlich mit ihr durchlesen zu können. Jetzt habe ich denn zunächst gegen Alles, was mir in die Nähe kam, meinem Herzen Luft gemacht1, und hoffe dann endlich zu der nöthigen Faßung gelangt zu sein, um mit möglichster Besonnenheit, wie Sie es verdienen, und nicht blos im Freudenrausche, Ihnen die Gefühle an den Tag legen zu können, mit denen ich Ihnen für Ihr großes Verdienst um mich zu ewigem Danke verpflichtet bin. -
Um Sie in den Stand zu setzen, sich die außerordentlichen Bewegungen erklären zu können, die Ihre Nachrichten in mir hervorbrachten, muß ich Ihnen zunächst kaltblütig auseinandersetzen, welche meine Erwartungen auf den Erfolg dieser Oper waren. Bei den großen u. ungewöhnlichen Schwierigkeiten, die sie darbietet, konnte ich mir nur wenig davon erwarten, sobald bei einer Bühne, möge sie nun auch die beßsten musikalischen u. dramatischen Kräfte aufweisen können, nicht an der Spitze des Ganzen ein Mann stünde, der mit besonders energischer Fähigkeit u. gutem Willen sich von vorn herein meines Interesses gegen alle Hinderniße annähme. Daß Sie, mein hochverehrter Meister, wie kein anderer die Eigenschaften zu so energischer Ueberwachung besaßen, wußte ich, - ob aber meine Arbeit Ihnen würdig erscheinen konnte, sich ihrer mit solch entscheidendem Interesse anzunehmen, dieß war der gewiß sehr natürliche Zweifel, der, je näher die Zeit der mir angekündigten Vorstellung rückte, mich immer entmuthigender einnahm, so daß ich es gestehe, wie ich in meinem Kleinmuth nicht wagte, nach Cassel zu gehen, um mich nicht persönlich u. zu meiner Beschämung von der Wahrheit meiner Befürchtungen überzeugen zu müßen. Nun sehe ich aber wohl, daß ein Glückstern über mir aufgegangen ist, da ich in all meinem Unverdienst die Theilnahme eines Mannes gewinnen konnte, von dem schon eine nachsichtige Beobachtung mir zum Ruhm gereicht hätte: - ihn selbst mit der fördernsten u entscheidensten Thätigkeit sich meiner Sache annehmen zu sehen, das ist ein Glück, welches mich gewiß vor vielen auszeichnet u. welches mich denn wirklich zum ersten Male mit einem Gefühle des Stolzes erfüllt, das bis jetzt noch nie, durch kein Zujauchzen des Publikum‘s, in mir hervorgerufen werden konnte. Wenn mir z.B. hier in Dresden das Publikum Ehren- und Beifalls-Bezeugungen in vollstem Maaße zu Theil werden ließ, so mußte ich doch immer darauf bedacht sein, daß die selben Bezeugungen schon an Leute u. für Leistungen ausgetheilt worden sind, denen ich meine künstlerische Achtung unbedingt versagen mußte: - aber zwei Worte von Ihnen, ja jetzt der thätigste u. erfolgreichste Beweis Ihrer Theilnahme! da muß ich mich wehren und auf meiner Huth sein, nicht eitel zu werden u. den Kopf nicht zu verlieren. Gott laß mich ehrlich bleiben!
Daß Sie aber auch so schön Kräfte zu Ihrer Verfügung hatten, das ist nun auch ein Glück, welches ich in seinem vollen Werthe erkenne. Alle Einzelheiten, die Sie mir so gütig mittheilten, überzeugen mich, daß auch den Kräften nach die Casseler Hofbühne gerade diejenige war, die sich vorzüglich zu einer glücklichen Vostellung dieser meiner Oper eignete, und besonders dankbar muß ich dafür sein, daß sich ein so vortrefflicher Bassist, wie Herr Biberhofer, zu der so schwierigen Hauptparthie vorfand; dies war namentlich die nicht ganz starke Seite der hiesigen Aufführung: - die beiden Bassisten, denen der mit Handlung so wenig ausgestattete erste Aufzug ausschließlich übergeben ist, waren hier matt, u. den eigentlichen Erfolg meiner Oper hatte ich hier hauptsächlich nur der Schröder-Devrient zu verdanken. Sind aber die beiden Baßisten, u. zumal der Sänger der Hauptparthie so, daß das Publikum von vorn herein ihnen sein Intereße schenkt, so läßt sich in den wichtigsten Punkten auf eine gelungene Aufführung schließen. Auch daß der Maschinist herausgerufen wurde, ist ein sicherer Beleg für die entsprechend richtige Darstellung der Scenerie, denn diese muß in dem letzten Acte wirklich von ungewöhnlicher Bedeutung und sehr phantasievoll aufgefaßt sein, um meinen Intentionen Wirkung zu verschaffen. Vor allem aber sei in meiner dankbarsten Beachtung das Orchester nicht vergeßen, dem ich, wie Sie mir zu schonend zu bemerken geben, Schwierigkeiten aufgebürdet habe, deren so schöne Lösung wohl einer bessern Sache werth gewesen wäre.
Da Sie, mein hochverehrtester Meister, mich so glücklich machen, mir Ihre so wahr gemeinte Theilnahme auch dadurch an den Tag zu legen, daß Sie mir Ihre Wünsche in Bezug auf meine zukünftigen Arbeiten aussprechen, so muß ich Ihnen dankbar erwidern, daß mir jede Ihrer Lehren von gediegenem, goldnen Werthe erscheint u. von mir um so mehr beherzigt werden wird, als ich von deren Wahrheit innnigst durchdrungen bin. -
Wenn ich nun dies Alles zusammenfaße, sehe ich eine solche Häufung mir erwiesenen Guten vor mir, daß ich wahrlich nicht weiß, woher den Ausdruck für die Dankbarkeit nehmen, zu den ich Ihnen verpflichtet bin! Gebe der Himmel daß mir bald das Glück zu Theil wird, Sie zu sehen, um Ihnen Auge in Auge bezeugen zu können, wie ich Ihnen ganz angehöre u. Ihre Güte mich Ihne auf immer unterthan gemacht hat! - Und doch komme ich sogleich noch mit einer Bitte: an wen soll ich mich wenden, um dem vortrefflichen Vereine von künstlerischen Kräften die sich so hoch um mich verdient gemacht hat, meinen Dank aussprechen zu laßen? Durch weßen Mund wird das für einen Jeden eine erfreuliche Bedeutung erhalten können, als durch den Mund des Meisters, den sie alle so hoch verehren? Ja, ich bitte Sie, allen den Künstlern, die durch ihre Leistungen mich so beglückt haben, meinen herzlichsten und gefühltesten Dank zu erkennen zu geben. Und so, indem ich neue Verpflichtungen gegen Sie auf mich lade, scheide ich von Ihnen, mein theurer, hochverehrter Meister, mit dem Gefühle eines Sohnes, der ja weiß, daß für das Geschenk seines Lebens er zwar nie im Stande sein wird zu danken, der sich aber im Bewußtsein starker u. liebevoller Abhängigkeit unendlich wohl u. glücklich fühlt. Immer u. ewig bleibe ich mit innigster Verehrung
Ihr
dankbar ergebener Schüler,
Richard Wagner.
Dresden, 10 Juni. 1843.
Autor(en): | Wagner, Richard |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Biberhofer, Eduard Schröder-Devrient, Wilhelmine |
Erwähnte Kompositionen: | Wagner, Richard : Der fliegende Holländer |
Erwähnte Orte: | Dresden Kassel |
Erwähnte Institutionen: | Hoftheater <Dresden> Hoftheater <Kassel> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843061043 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Wagner, 06.06.1843. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
[1] Vgl. Dazu Richard Wagner an Minna Wagner, 09.06.1843 (in: Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 269f., hier S. 269; Richard Wagner an Minna Wagner, Bd. 1, 3. Aufl., Berlin und Leipzig 1908, S. 13f.).
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.08.2017).