Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Simon Moser, Das Liedschaffen Louis Spohrs. Studien, Kataloge, Analysen, Wertungen. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Kunstliedes, Kassel 2005, Bd. 1, S. 65 (teilweise)
Inhaltsangabe: Folker Göthel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr, Tutzing 1981, S. 473

Hochgeehrtester Herr Hofkapellmeister!

Vertrauend auf Ihre Güte und die Kunst der Fürsprache meines Freundes Täglichsbeck1 erlaube ich mir, Ihnen folgende angelegentliche Bitte vorzutragen.
Schon im verflossenen Winter, als ich die Ehre hatte, Ihnen zu schreiben und Ihnen meinen Dank zu sagen für den Beitrag, welchen Sie zum Orpheon zu liefern so gütig und bereitwillig waren2, wünschte ich, daß ich einmal Ihr Portrait3 als Titelschmuck zum Orpheon beigeben möchte. Ich erlaubte mir die Frage, ob Sie das in dem musikalischen Album Orpheus (Wien)4 enthaltenen Portrait5 für ähnlich anerkennen, so daß es als Vorlage dienen könne. Ich erhielt hierauf keine Antwort u. so kam es, daß ich vorerst6 Lindpaintner’s Portrait zu geben mich entschloß, der durch reichliche Compositionen im Orpheon repräsentirt ist. Der Zeichner hielt mich sehr lange hin, auserlich war sein Portrait in Aehnlichkeit gänzlich verfehlt und mißglückt, so daß es nicht als Vorlage zu gebrauchen ist. Auf diese Weise bin ich auf einen Zeitpunkt gebracht, welchem die Vollendung des 2. Bands Orpheon bevorsteht (der 1. Band ist mit Marschner ’s höchst gelungenem u. schön ausgeführten Portrait geschmückt7), ohne daß für ein Portrait zu demselben gesorgt wäre, sonst periculum in mora8 ist.
In dieser Ihnen offen gestandenen Noth wende ich mich an Sie, mit der recht freundlichen und inständigen Bitte, mir aufzuhelfen.
Marschner lieh mir ein in seinem Besitze befindliches Oelgemälde behufs des Stichs, da er alle von ihm erschienenen Portraits für mußlungen erklären mußte. In der Aehnlichkeit liegt freilich der Hauptwerth eines Portraits, und auf Sie würden mich wohl mit einem solchen ähnlichen Gemälde unterstützen können, sofern Sie nicht etwa ein bereits erschienenes als für Vorlage genügend empfehlen können, obwohl mir die Mittheilung eines Original-Gemälde’s am liebsten wäre, da bei solchen eines die höchste Gelungenheit vorauszusetzen ist.
Aber dieß ist erst ein Theil meines Anliegens. Es ist doch auch wohl erforderlich, daß der Tonsetzer, dessen Portrait den Band schmückt, auch in demselben wenigstens durch eine Composition repräsentirt ist, da nur dadurch der Titelschmuck eine Bedeutung erhält. Also auch um noch ein oder zwei Liedchen sind Sie gebeten! Wäre diese Bitte zu erfüllen wohl zu hoffen? Ich zweifle nicht!
Noch muß ich bemerken, daß das vorletzte Heft, das 5te, des 2ten Bandes in diesen Tagen in den Satz gegeben worden, und die Einreihung der von Ihnen zu hoffenden Compositionen9 daher schleunigst zu wünschen wäre. Ich lege Ihnen diese, hochverehrter Herr Hofkapellmeister,10 Bitte nochmals an das Herz, in dem ich Ihnen das Sprüchlein in Erinnerung zu bringen mir erlaube: Bis dat, qui cito dat11.
Bisher haben Sie mich immer noch Ihren Schuldner seyn lassen für Ihren ersten Beitrag zum Orpheon, ich bitte wiederholt, mich die Größe meiner Schuld kennen12 lernen zu lassen, das empfehle mich, wünschend, daß diese Zeilen zu glücklicher Stunde eintreffen möchten.

Hochachtungsvollst und ergebenst
Karl Göpel.

Stuttgart 6. Juni 1843.

Autor(en): Göpel, Karl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Lindpaintner, Peter von
Marschner, Heinrich
Täglichsbeck, Thomas
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 106
Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 109
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843060656

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Göpel an Spohr, 25.11.1842. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. Thomas Täglichsbeck an Spohr, 04.06.1843, dem dieser Brief auch beilag.

[2] Louis Spohr, „Wolle keiner mich fragen“ [WoO 106], in: Orpheon. Album für Gesang mit Pianoforte,
Bd. 1, [Stuttgart 1842], S. 6ff.

[3] Hier ein Wort gestrichen.

[4] „(Wien)“ über der Zeile eingefügt.

[5] Orpheus musikalisches Taschenbuch 1 (1840), Porträt nach Titelblatt.

[6] Hier gestrichen: „durch“.

[7] Orpheon, Bd. 1, Porträt nach Titelblatt.

[8] „periculum in mora“ (lat.) = „Gefahr im Verzug“.

[9] Spohr steuerte bei „Liebt er mich?“ [WoO 109], in: Orpheon, Bd. 2, [Stuttgart 1844], S. 81-85.

[10] Hier gestrichen: „meine“.

[11]Bis dat, qui cito dat“ (lat.) = „Doppelt gibt, wer schnell gibt“

[12] Hier gestrichen: „zu“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.07.2021).