Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:8

Lieber Herr Kapellmeister!

Wenn Sie dieß rothe Papier erblicken, so wissen schon, was es bedeuten soll. Roth ist die Farbe des Schamgefühls; ich bin davon aufs lebhafteste durchdrungen. Wollte ich überhaupt denselben durch Äußerlichkeiten darstellen, so müßte selbst noch rothe Dinte herbei. Denn in Wahrheit, ich schäme mich, denke ich daran zurück, welch liebe Tage Sie mich haben in Cassel verleben lassen, ohne daß ich bisher Ihnen noch einmal brieflich meinen Dank dafür ausgesprochen. Aber so geht‘s mir nun einmal, grade wenn das Herz überströmen will, so versagen mir die Worte oder die Schreibfedern den Dienst, zumal wenn sich dazu eine so allgemeine Faulheit gesellt, wie sie seit meiner Rückkehr meine ganze Person überzogen hat. So will ich denn den Himmelfahrtsmorgen benutzen, Ihnen ein Paar freundliche Dankensworte zuzurufen.
Zwar weiß ich, Sie verzichten auf solche Förmlichkeiten. Ich kann mir den Namen Spohr gar nicht mit dem Sammtskleide u Haarzopfe der Etikette denken. Aber behüte, da sey Gott vor, daß sie allesamt in solcher Scenerie einherzuschreiten brauchten. Ich hätte Ihnen u Ihrer lieben Frau mit Fug u Recht ja die theilnehmende Frage zuschreiben müssen, ob ich gut übergekommen, ob bis jetzt das vermaledeite Wahrsagebuch Recht gehabt u darum ist’s und bleibt’s eine Sünde wider die Freundschaft, welche Sie mir gezeigt; u ich kann mir nur mit der großen Sünderschuld, von der ich belastet bin, erklären, daß ich dabey doch ganz ruhiger u guter Dinge geblieben bin.
Also ich bin unverletzt, wie eine Kiste mit Gläsern bepackt, von dem hiesigen Postbureau an meine Wohnung abgeliefert worden, bin bereits von dem Vergnügungsrausche, dem ich in Cassel Wochenlang meinen ohnehin schwachen Körper dargebracht hatte, wieder zu Nüchternheit zurückgekehrt u hier wieder so heimisch, daß mirs gar nicht recht ist, schon Ende des nächsten Monats meine Landreise nach Ems antreten zu müssen. Dahin ist jetzt meines Arztes unbeugsamer Tyrannenwille, dahin soll ich, meine Gesundheit zu stärken. Ich will wünschen, daß mir das Bad vor dem Erfolge sey, wie Ihre letzte Badereise. Denn mit Vergnügen gedenke ich Ihres so muntern und heitern, in sich gekräftigten Aussehns. Es hapert mit mir allerdings an manchen Orten, namentlich ist’s die Kehle und ihre Umgebung; erreiche ich eine Befreiung derselben von momentaner Heiserkeit, so ist der Tribut, den ich der Aufrechterhaltung eines Talents darbringe, das mir nicht allein so vielen Genuß, sondern auch so gute Freunde verschaft hat, stets gering anzuschlagen, müßte ich selbst außerordentliche Anstrengungen machen.
Vor meiner Badereise hoffe ich dagegen noch Sie zu sehen. Wenigstens wiederhole ich die alte Bitte, daß Sie mich durch einige Zeilen wissen lassen, wann Sie nach Frankfurt kommen u wo man Sie dort finden kann. Ich fliege dann auf sehnsüchtigen Flügeln zu Ihnen hinüber.
Meine beiden Aussichten, meine Stellung zu verändern, sind bis auf diesen Augenblick, nur Aussichten. Entschieden ist weder in Wiesbaden noch in Cassel irgend etwas, jedoch habe ich meine Fühlfäden nach beiden Orten hin noch immer mit derjenigen Anstrengung ausgestreckt, welche, aber weil sie groß ist, ohne deßhalb einen günstigen Erfolg verdiente. Nun! wir werden sehen! Ich bin merkwürdig ruhig bei dem Allen.
Haben Sie denn schon das Uhlandsche „Gestorben war ich vor Liebeswonne“1 angefangen? Wie vielmal habe ich in der schönen Frühlingswonne, wo ich jeden Nachmittag zu Excursionen benutzte u mit einem gleichgesinnten Freunde die Blüthen der neuen Dichtkunst unter den Blüthen der Natur pflückte, Ihrer gedacht! Es thut mir stets so leid, wenn Ihr Genius sich einer Poesie bemächtigt, welche desselben unwerth ist. Wie manches der Heyneschen Lyrik möchte ich durch Ihren Grifel belebt sehen oder ganz zum Leben gebracht. Ich bin augenblicklich wieder ganz ein Heinescher Narr u das ist um so rein[e]re Begeisterung, als ich den Menschen tief verabscheue u gegen ihn täglich das Sündenlied ei so schlagt den Juden kaputt anstimmen könnte. Kann da nicht eine der vielen Sammlungen der neuen Lyriker Ihnen die Auswahl leichter machen?
Doch genug! Ist auch von dem Danke, welchen ich in diesem Briefe ausdrücken wollte, noch eben nichts geschrieben, so ist derselbe Dank eine2 viel zu geringfügige Sache, als daß ich Ihre kostbare Zeit damit in Anspruch länger nehmen sollte.
Ich wünsche Ihnen u Ihrer lieben Frau die schönsten Pfingsttage, die schnellste Urlaubs-Gewährung3 – können Sie den nicht bei den Ständen einreichen? die gewähren ja alles was vorkommt, – u wie Ihr fortgesetztes Andenken, das mich wahrhaft begleitet

Ihren
treuergebenen
Firnhaber

Hanau Himmelfahrtstag 1843.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Heine, Heinrich
Spohr, Marianne
Uhland, Ludwig
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843052548

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 04.04.1843. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 24.09.1843, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Firnhaber erschließen lässt.

[1] Vgl. Ludwig Uhland, Gedichte, 5. Aufl., Stuttgart und Tübingen 1831, S. 32.

[2] „eine“ über der Zeile eingefügt.

[3] Für Spohrs London-Reise im Sommer.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.11.2020).