Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Inhaltsangabe: Folker Göthel in: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 338, Anm. 70

Mein hochverehrter theurer Freund!

Im Jahr 18. als ich von Achen zurückkam war es mir das letztemahl gegönnt Ihnen und Ihrer damahls noch lebenden lieben Frau Dorette meinen herzlichen Grus in Frankfurt a/m darzubringen, dort war es wo mir Ihre Zaubersänge, unter anderem in dem quartett op. 43. e# zum leztenmahl also seit einem Vierteljahrhundert auf Ihrer Geige erklangen, und – kaum haben Sie mich wohl noch unter den lebenden gegalubt und doch ist es so und wunderbar genug, je grauer je älter ich werde, je empfänglicher, je anverwander werde und bin ich, für die Tongebilde meines lieben phantasiereichen Freundes Spohr; und so darf es Sie nicht wundern daß ich viele Ihrer Quartette auch op. 43 spiele, auch das Doppelquartett no. I. Eben so habe ich das Doppelconcert no. I. gespielt und übe jetzt ohne es jedoch öffentlich, in den hiesigen entre nous soit dit1 – schlecht begleiteten2 concerten spielen zu wollen. das concert no. IX. laße mir es aber mit der in Ihrer Schule stehenden Stimme begleiten. daß ich aber noch Clarinet blasen kann, und wenigstens nicht verloren sondern eher zugeloren3 habe, ist eine Art physischen Wunders wenn man bedenkt daß ich seit 50 Jahren blase, und Kraft u. Zähne dazu gehören die mir der Himmel erhalten hat, obwohl ich bemerke daß es mich mehr angreift wie früher, wo ich manchen ganzen Nachmittag duetten blies.
Das war meine musikalische Geschichte nun etwas wenn Sie erlauben aus den Lebensereignissen. Carolath spielte darin eine Hauptrolle, ich verlies es jedoch. i. J. 23. nachdem ich wieder eine längere Reise an den Rhein u. nach Frankreich gemacht hatte. Herz. August wollte mich wieder in Gotha i. J. 21. fixiren, seine Minister aber im ächten Nepotismus ließen es nicht zu und machten mir Bedingungen von denen sie im Voraus wußten daß ich sie nicht einginge.4 Ich blieb nun in Dresden von 23 bis 26. wo ich in Breslau Ida. v. Troschke meinen Lebensgeleitsengel kennen lernte und d. 1. May mich mit ihr verband. Sie schenkte mir mit göttlicher Hülfe, Helenen und Diprand, später Zwillinge die wir leider nicht erhielten. Unser Wohnort war Carlsruh wo ich mit der herzoglichen Herrschaft länger bekannt war5, und den ich nur tauschte um ein i. J 30 gekauftes Gut bei Namslau zu bewohnen. Seit 39. bin ich hieher zurückgezogen, werde mich aber wohl zu weiterer Ausbildung meiner Tochter in Breslau fixiren. Sie kommt Sep. a. c.6 aus dem Herrnhuther Erziehungs-Institut zu Gnadenfrei und – wundersame Fügung, spielt auf derselben Harfe, die Pr.7 Dorothea Carolath verwittwete Fürstin Reuß bekam, der ich in Wien i. J. 15. so glücklich war, die trefliche Lehrerin8 zu engagiren.
Sie hat sie da sie nicht mehr spielt, ihrem Bruder dem Pr. Friedrich abgetreten, und der hat sie seiner Pathe meiner Tochter Helena geschenkt. Nun ist aber obwohl sie ganz hübsch Clavier spielt, der Hafenunterricht nur in Breslau zu haben, und deswegen wohne ich hier. Aber auch Noten sind sehr, sehr rar. An Sie nun spreche ich den lieben alten Freund an. Gern hätte ich um H. begleiten zu können einiges von den herrlichen leichtesten Duetten, die Sie mit der Prinzeß nach wenig Stunden schon in Carolath spielten. In jedem Fall bitte ich Sie nun um das allerleichteste damit wir – besonders Helena – nicht davor zurückschreckt. Die Phantasie die Dem. Löwe gespielt hat in Cassel von Ihren composition möchte wohl zu schwer sein obwohl ich gestehe, Phantasien auf der Pedalharfe mir das liebste sind, und da H. viel Talent hat, so wird sie schon etwas erringen. Nehmen Sie meine Bitte schon nicht übel9 und benutzen Sie die mir von dem H.M.D.10 Schön freundlich angebotenen Gelegenheit, da seine Ehegattin nach Cassel reißt und werde ich dankend alle Auslagen für Copialien u.s.w. erstatten. Sollte es Mad. Schön unmöglich sein sich zu beschweren, so bitte ich wo möglich andere vielleicht auch Buchhändlergelegenheit zu benutzen. Ich weiß nicht das schöne duo op. 51. was ich so sehr gerne spiele, auch auf der Harfe zu gebrauchen? Denken Sie wie betrübt ich mit meiner Frau i. J. 1836 war, als wir wenige Stunden nach Ihrer Abreise in der N. Gotha zu Dresden einkehrten. Wie hätte ich mich gefreut wenn wir uns gegenseitig unsere Frauen hätten vorstellen können; denn auch Sie waren däucht mich, in Gesellschaft der Ihrigen. Sie haben zum zweitenmahl wieder wie ich höre, vortreflich gewählt. Ich bitte den Himmel mir mein liebes Kleeblatt Frau Tochter u. Sohn, den [???] in Wohlstarkeit zu erhalten. Denken Sie unsrer freundlichst. Frau Ida hat eine sehr schöne Stimme, singt alle Schwierigkeiten leicht, aber nicht vom Blatt. Drey Ihrer Lieder mit Clarinette haben wir gemacht dann wurden sie, jetzt bin ich heiser.
Genehmigen Sie, das verehrte Spohrsche Ehepaar die Hochachtungsvollsten herzlichsten Begrüßungen

Ihres
ganh ergebensten
Freundes Reibnitz
und seiner Frau Ida.

Carlsruh
in Schlesien
d. 16. May 1843.

ich lese gestern zu meiner Freude: daß Sie statt Mendelsohn in Berlin componiren(???).11



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Reibnitz an Spohr, 16.03.1824. Spohr beantwortete diesen Brief am 20.09.1843.

[1] „entre nous soit dit“ (frz.) = „unter uns“.

[2] „schlecht begleiteten“ über der Zeile eingefügt.

[3] Sic!

[4] Vgl. Louis Spohr an Dorette Spohr, 13.01.1822.

[5] Anscheinend wirkte er dort auch in der Hofkapelle mit (vgl. Schlesisches Tonkünstler-Lexikon enthaltend die Biographien aller schlesischen Tonkünstler, Componisten, Cantoren, Organisten, Tongelehrten, Textdichter, Orgelbauer, Instrumentenmacher etc. etc., hrsg. v. [Carl] Koßmaly und Carlo [= Carl Heinrich Herzel], Breslau 1846, S. 181.

[6] Abk. f. „anni currentis“ (lat.) = „laufenden Jahres“.

[7] Abk. f. „Prinzessin“.

[8] Reibnitz lud 1815 das Ehepaar auf das Schloss Carolath ein (dieser Brief ist derzeit verschollen), wo Dorette Spohr den Töchtern des Fürsten Klavier- und Harfenunterricht gab (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 128 (Text mit fehlerhafter Paginierung auch online) und 194f. (online); Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1860, S. 212 und 212ff.).

[9] „übel“ über der Zeile eingefügt.

[10] Abk. f. „Herrn Musik-Direktor“.

[11] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.01.2022).