Louis Spohr an Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig

Cassel am 16^ten Mai
1843.

Hochverehrter Freund,

Der junge Tivendel¹ aus Liverpool, der sich bereits als Zögling der neuen Musikschule in Leipzig angemeldet hat, bittet mich um einige Zeilen für Sie, weil er hofft, daß ihm dann vieleicht um so eher sein sehnlichster Wunsch, Unterricht bey Ihnen zu erhalten, erfüllt werden könne. Ich glaube, daß wenn Sie sich überhaupt entschließen können, Clavierunterricht zu ertheilen, sein, wie mir scheint, ganz ausgezeichnetes Talent Sie am ehesten bewegen wird, seinem Wunsche zu genügen; da indessen sein Bruder², der seit einem Jahr mein fleißiger Schüler ist, mich versichert, daß er nicht [nur ein eminen]tes Talent, sondern auch [ausdauern]den Fleiß besitze, überhaupt [nur für die] Musik lebe, so habe ich ihm [meine Für]sprache, ohne ihr ein [Gewicht be]legen zu wollen, nicht [verweigern m]ögen.
Hinzufügen muß ich noch, daß man den jungen Mann auch höchst bescheiden und liebenswürdig gefunden hat, was ich von dritten referire da ich leider, wegen Unkenntnis des Englischen mich direkt mit ihm nicht unterhalten konnte und nur mit Hülfe des Bruders, der schon recht gut deutsch spricht, einige wenige Worte mit ihm gewechselt habe. So ist es mir auch mit dem Vater³ ergangen, der mir auch ein recht würdiger alter Mann von ächt englischer Art, d.h. zuverlässig zu sein scheint. – Und da ich nun mal im Empfehlen bin, so will ich auch meinen Schüler, der während unsrer Ferienzeit den Bruder in Leipzig zu besuchen gedenkt, Ihrem Wohlwollen empfehlen.
Mit wahrer Hochachtung und herzlicher Freundschaft
stets ganz

[der Ihrige
Louis Spohr]