Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,20
Abschrift: British Library London, Sign. RPS 364, Bl. 180 [kostenpflichtiger Zugang zum Digitalisat] (engl. Übers., teilw.)

Professor Taylor
Red Lion Court
Fleet Street
London.
über Hamburg.
 
 
Cassel den 7ten
Mai 1843.
 
Hochgeehrter Freund,
 
Herr Tivendel hat alles was Sie ihm mitgegeben haben, richtig überbracht und große Freude dadurch bereitet. Haben Sie herzlichen Dank sowohl für den Brief wie auch für das Glee, begleitet von dem witzigen und spaßhaften Schreiben an Ihr Töchterchen.1 Meine Frau wird, damit wir es singen können, versuchen ihm einen deutschen Text unterzulegen denn ein solches Lied muß nicht gelesen, sondern gesungen werden. Sollten wir damit nicht zu Stande kommen, so hoffe ich es wenigstens in London zu hören.
Die Zuschrift2 der Londoner Künstler hat mich sehr überrascht. Haben Sie die Güte bey erster Gelegenheit den Herren und Damen meinen innigsten Dank für ihr freundliches Anerbieten auszudrücken und fügen Sie gefälligst hinzu, daß mich ihre zuvorkommende Güte sehr überrascht habe; daß ich mich nun aber doppelt darauf freue, mein Werk nun doch noch von ihnen aufgeführt zu hören, worauf ich im vorigen Herbst so ungern verzichten mußte.
Seit Ihr liebes Töchterchen nun bey uns wohnt, ist das Frühjahr herangekommen und wir freuen uns, sie nach und nach mit der schönen Umgegend von Cassel bekannt machen zu können. Wir leben mehr im Garten wie im Hause und haben schon eine ganze Reihe von Tagen im Freien frühstücken und zu Mittag essen können. Nur heute wo wir in Gesellschaft von Herr und Frau von Malsburg den ganzen Tag in Wilhelms Höhe verleben wollten, ist plötzlich Regenwetter eingetreten. Wir hoffen aber, daß es nicht lange anhalten werde und daß wir die heute aufgegebene Parthie in einigen Tagen nachholen können. - Die vielen Musikparthien, die wir in den lezten Monathen, theils bey uns, theils in andern, uns befreundeten Häusern hatten und an welchen unser lieber Gast so lebhaften Antheil nahm, haben nun zwar mit dem Beginn des Frühjahres aufgehört und wir überlassen das Musiciren jezt größtentheils den Nachtigallen; doch besucht unser Gast noch häufig das Theater und lernt so manche neue Oper kennen. Auch interessirt sie sich für das Schau- und Lust-Spiel, seit sie anfängt alles so gut zu verstehen. Ihre Fortschritte im Deutschen sind jetzt recht bemerklich und bis wir sie Ihnen wiederbringen, wird sie sich recht gewandt ausdrücken können.
Der Tod des Herzogs von Sussex3 hat mich recht betrübt, nicht nur, weil ich ihm persönlich sehr zugethan war, sondern auch, weil es zu beklagen ist, daß es einen Liberalen und zwar einen von großem Einfluß, weniger in der Welt giebt. Die Bestrebungen der Reactionaire werden immer kühner und so muß man wohl den Verlust eines jeden beklagen, der Ihnen entgegen wirkte. Auch an dem Unglück Brunnel's hat man hier den allgemeinsten Antheil genommen und wir sehen mit Ungeduld nähern Nachrichten entgegen, ob es den Bemühungen der Ärzte gelungen ist, ihn zu retten!4
Den lieben Ihrigen die herzlichsten Grüße. Wir sehen mit Ungeduld der Zeit entgegen, wo wir Sie persönlich werden begrüßen können. Von Herzen der Ihrige
 
Louis Spohr.
 
NS. Werden Sie wohl wieder einen Freipass für meine Violine und meine Musikalien für das dortige Zollamt erreichen können?

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Taylor, Edward
Erwähnte Personen: Augustus Frederick Sussex, Herzog
Brunel, Isambard Kingdom
Malsburg, Caroline von der
Malsburg, Wilhelm von der
Taylor, Margaret
Tivendell, Henry
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
Wilhelmshöhe
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843050704

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 26.04.1843. Der erhaltene nächste Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Taylor, 01.06.1843.

[1] Margaret Taylor, die zu dieser Zeit bei Spohr in Kassel zu Besuch war.
 
[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
 
[3] Vgl. „London, Mai“, in: Morgenblatt für gebildete Leser 37 (1843), S. 471f.
 
[4] „Wie die Bristol Gazette meldet, ist der berühmte Ingenieur Hr. Brunel – wie es scheint, nicht der Erbauer des Themsetunnels, denn dieser heißt Sir Isambert Brunel, sondern dessen Bruder – von einem eigenthümlichen Unglück betroffen worden. Er unterhielt die Kinder eines Freundes mit dem Gaukelstücken, eine Münze vom Mund an‘s Ohr zu bringen; dabei gerieth ihm ein halber Sovereign, den er in den Mund genommen, unglücklicherweise in die Luftröhre, und konnte, trotz aller angewandten Mittel, nicht entfernt werden. Man fand den gefährlichen Luftröhrenschnitt nöthig, welchen der geschickte Wundarzt Sir B. Brodie vornahm. Das Ergebniß war noch nicht bekannt“ („London“, in: Allgemeine Zeitung <München> 1843, S. 987; vgl. auch G.B. Günther, Lehre von den blutigen Operationen am menschlichen Körper, Bd. 5, Leipzig und Heidelberg 1864, S. 181).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (28.01.2019).