Autograf: Staatsarchiv Sigmaringen, Sign. N 1/72 T 1 Nr. 76 [Permalink] [direkt zum Digitalisat]

Sr. Wohlgeb.
Herrn Hofkapellmeister
Th. Täglichsbeck
in
Hechingen


Cassel den 30sten April
1843.

Geehrtester Herr und Freund,

Wenn die Böhmischen Stände Ihnen Ersatz für das, was Sie in Hechingen verlassen, zusichern können, so rathe ich Ihnen unbedingt, die Stelle in Prag anzunehmen. Mir hat es einen 3tägigen Kampf gekostet, ablehnend zu antworten, als Graf Thun bey mir anfragte, ob ich nicht Lust habe, die Stelle anzunehmen.1 Nur die Familienverhältnisse, in denen ich hier lebe, veranlaßten mich dazu.2 Sonst wäre ich gar zu gern nach dem herrlichen Prag, der musikalischsten Stadt in ganz Europa gezogen! Auch der Wirkungskreis hätte mir schon zugesagt; denn es ist keine Frage, daß der Director des Conservatoriums, wenn er sonst ein Künstler von Gewicht und Thätigkeit ist, an die Spitze des ganzen Prager Musiktreibens treten wird und dieses ist in der königlichen Stadt sehr bedeutend und kann es noch viel mehr werden. - Es läßt sich vieleicht machen, daß Sie die beyden Stellen von Weber und Pixis in Ihrem Posten vereinigen, oder man wird Ihnen noch irgend eine andere Einnahme zusichern können; nur das ist unmöglich, daß der Director des Conservatoriums zugleich Kapellmeister am Theater seyn kann.3
Prag besitzt von allen großen Städten auch noch den Vorzug, daß Sie sicher die wohlfeilste von allen ist. Ich glaube kaum, daß Ihr kleines Hechingen in dieser Beziehung mit ihr rivalisiren kann. Selbst in den dortigen Wirtshäusern habe ich es auffallend wohlfeil gefunden und ich glaube nicht, daß sich das seit 5 Jahren, wo ich nicht dort war, geändert haben wird.4
Die Lage und Schönheit Prag’s wird Sie überraschen, so wie der Sinn der Bewohner für Musik! Auch die Verbindung Prags mit Dresden durch die Dampfschiffahrt, so wie die bevorstehende mit Wien und Dresden durch die Eisenbahn gehören zu den großen Annehmlichkeiten des dortigen Aufenthalts. Mit einem Wort, Sie werden, wenn sich die Schwierigkeiten mit dem Gehalt ordnen lassen, sicher sich dort sehr gefallen und Ihre Übersiedelung niemals bereuen.
Unter herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau ganz

der Ihrig[e]
Louis Spo[hr]

NS. Was mir den Umzug n[ach] Prag sehr erleichtert haben würde, m[ei]ne Verhältnisse zum Prinzen, muß ihn Ihnen sehr erschweren, da Sie das Glück haben, einem so wohlwollenden und kunstliebenden Fürsten zu dienen! In dieser Beziehung kann ich mich freilich nicht in Ihre Lage recht hineindenken und mein obiger Rath steht damit außer aller Verbindung. 

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Täglichsbeck, Thomas
Erwähnte Personen: Friedrich Wilhelm Constantin Hohenzollern-Hechingen, Fürst
Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Pixis, Friedrich Wilhelm
Thun, Leo von
Weber, Dionys
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Prag
Erwähnte Institutionen: Konservatorium <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843043013

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Täglichsbeck an Spohr, 26.04.1843. Täglichsbeck beantwortete diesen Brief am 04.06.1843.

[1] Vgl. Leo von Thun an Louis Spohr, 29.03.1843 und Spohrs derzeit verschollenen Antwortbrief.

[2] Vgl. Spohr an Moritz Hauptmann, 25.04.1843.

[3] Die Stelle des Konservatoriumsdirektors wurde durch den Tod des Inhabers Dionys Weber am 25.12.1842 vakant. Friedrich Wilhelm Pixis, ab 1811 Violinprofessor am Prager Konservatorium, später gleichzeitig Leiter des Theaterorchesters und der Tonkünstlergesellschaft, war kurz zuvor am 20.10.1842 verstorben. Spohr meint hier wohl, dass die Stellen von Weber und Pixis am Konservatorium verschmolzen werden sollen, jedoch ohne die gleichzeitige Verpflichtung an das Theater.

[4] Zu Spohrs Pragaufenthalt 1837 vgl. Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach Prag, Wien, Salzburg, München u.s.w. im Sommer 1837, Ms., Spohr Museum (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 2.1.04; Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 176ff., Text mit falscher Paginierung auch online; Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 218ff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.05.2016).