Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,214
Druck: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 282
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 69
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 101

Verehrtester Gönner und Freund!
 
Vor drei Tagen erhielt ich einen Brief vom Herrn Gesandten Leo Thun aus Schlan bei Prag, welcher einen halboffiziellen Antrag der Directionsstelle am Prager Conservatorium enthält. Da ich, wie aus dem Briefe zu ersehen ist, hauptsächlich Ihrer Empfehlung dieser für mich sehr schmeichelvollen Antrag zu verdanken habe, so halte ich es für Pflicht, vor allem Anderen Ihnen meinen verbindlichen Dank hiefür zu sagen, und Sie zu versichern, daß mich hauptsächlich der Umstand freut, daß Sie, mein verehrter Gönner, mich zu diesem allerdings nicht unbedeutenden Posten tauglich finden.
Da ich leider nie in Prag war und dort keine Seele kenne, so sehe ich mich zugleich gezwungen, Sie, der Sie ohne Zweifel die dortigen Verhältnisse näher kennen, um Aufschluß derselben zu bitten, wobei ich für nöthig erachte, Sie vorher sowohl von dem Inhalt des von dem Herrn Grafen erhaltenen, als auch mit dem von mir dahin abgeschickten Schreibens genau bekannt zu machen. – Der Herr Graf schreibt mir nemlich: „Obgleich er daraus, daß ich mich zu dem für diese Stelle ausgeschriebenen und mit dem 15ten d. M. abgelaufenen Konkurs1 nicht gemeldet habe, schließen müsse, daß ich keine Lust auf diese Stelle habe, so veranlaßt ihn doch ein Brief von Ihnen und die Art wie Sie sich über mich und meine Verhältnisse aussprechen, sich persönlich an mich zu wenden und mich zu ersuchen, mich womöglich nachträglich noch den Konkurrenten anzuschließen oder wenigstens ihn zu benachrichtigen. In diesem Falle schlägt er mir vor, eine Kunstreise nach Prag zu machen, um mich den Mitgliedern der Vereinsdirektion persönlich vorzustellen und hiebei mich selbst von den Verhältnissen näher zu überzeugen. Dem Erfolge solcher Schritte könne er als Einem aus einem Gremium natürlich nicht zusichern, indeß würde er nach Möglichkeit dahin streben, daß bis dahin mit der definitiven Entscheidung inne gehalten werde!
Hierauf antwortete ich bereits gestern im nachstehenden Sinne:
„Obgleich ich nicht leugnen kann, daß ich mich trotzdem, als mir meine hiesige Stellung manches Angenehme bietet, schon seit einigen Jahren einen größeren Wirkungskreis und mir und den Meinigen den ohne Zweifel angenehmen Aufenthalt in einer größeren Stadt wünsche, so konnte mich der ausgeschriebene Konkurs doch nicht bewegen, mich zu melden, indem die damit verbundenen Emolumente2 meinem jetzigen Gehalte nicht einmal gleich kämen und es überhaupt gegen meinen Grundsatz ist, mich der bei solchen Fällen gewöhnlich nicht geringen Zahl von Konkurrenten anzuschließen. Da ich aber die Wichtigkeit dieser Stellung wohl einsehe, so wäre ich keineswegs abgeneigt, mich auf jede mir passend scheinende Art, z.B. durch eine Reise nach Prag, mich darum zu bewerben, wenn ich im voraus wüßte, daß im Fall der Realisirung dieser Sache für mich und die Meinigen wenigstens kein Nachtheil daraus entstünde. – Hier bin ich lebenslänglich mit einem jährlichen Gehalte von 1500 Gulden, dessen dritter Theil meiner Frau als Wittwengehalt zugesichert ist, angestellt, wobei ich dekretmäßig einen drei-monatlichen Urlaub und noch den weiteren Vortheil habe, daß mir der Dienst viel Zeit übrig läßt, der Kunst zu leben. Die Emolumente2 der dortigen Directionsstelle hingegen bestehe nur aus 1000 Gulden C.M. und 12 Klaftern Holz, wobei ich nicht unbedeutenden Nachtheil hätte, worauf ich als Familienvater natürlich Rücksicht nehmen muß. Ich stellt nun mehrere Fragen an ihn, nach deren günstiger Beantwortung ich dann ungefähr in der Mitte des nächsten Monats (vorher könnte es deshalb nicht seyn, weil am 15ten May die Aufführung meines „Enzio” in Karlsruhe stattfindet, welcher ich gerne persönlich beiwohnen möchte) die von ihm vorgeschlagene Kunstreise nach Prag unternehmen würde. Die von mir gestellten Fragen sind folgende:
1.) Ist die Anstellung bleibend (definitiv) und wird dabei Pension und Wittwengehalt zugesichert?
2.) Könnte dem unterm 14ten Januar ausgeschriebenem Gehalt nicht auf irgend eine Art, entweder aus der Vereinskasse, oder durch Verschmelzung der beiden zugleich ausgeschriebenen Stellen (Weber und Pixis) oder durch sonstige Nebenverdienste vergrößert werden?
3.) In welchem Verhältniß steht das Conservatorium zu dem dortigen Theater? Würde mich die Stelle als Instituts-Director mancher der Schwierigkeiten, welchen gewöhnlich die Aufführung neuer dramatischer Compositionen unterliegt, überheben? – Dieses hätte für mich um so größeren Werth, als ich grade für dieses doch eine besondere Vorliebe habe und von nun an Mehreres darin zu liefern gedenke.
4.) Wie steht es mit dem Reise-Urlaub? Hat das Institut keine Vakanz-Zeit oder könnte mir sonst ein bestimmter Urlaub gewährt werden?
5.) Ist die gewissenhafte Erfüllung der auf dieser Stelle haftenden Obliegenheiten mit großem Zeitverlust verbunden? Wie viele Lectionen hat z.B. der verstorbene Weber wöchentlich gegeben? – Diese letzte Frage geschieht keineswegs aus Arbeits-Scheu, denn jeder, der mich näher kennt, wird mir das Gegentheil bezeugen, sondern blos aus dem Gedanken, weil ich eigene Arbeiten nicht gerne darüber vernachlässigen möchte, wozu bekanntlich eine gewisse ruhige Zeit unumgänglich nothwendig ist.
Ferner schrieb ich ihm, daß, da ich keinesfalls Lust habe, mich dem Konkurrenten-Haufen anzureihen, ich vorgezogen habe, den von ihm vorgeschlagenen zweiten Weg einzuschlagen und mich privatim an ihn mit der Bitte zu wenden, die übrigen Herrn der Direction von dem Inhalt meines Schreibens in Kenntniß zu setzen und mir baldmöglichst das Resultat ihrer Besprechungen mitzutheilen. –
Nachdem ich Ihnen nun den ganzen bisherigen Verlauf der Sache berichtet habe, so bitte ich Sie hiemit um Ihren Rath und frage Sie vor Allem, soll ich hingehen oder nicht? –
Natürlich erwarte ich vorderhand die Antwort des Herrn Grafen ab, bis zu welcher Zeit ich dann Ihre gefällige Nachricht haben kann. –
Obgleich mir mein hiesiger Wirkungskreis gar zu klein ist und ich mit vieler Sehnsucht größere Verhältnisse wünsche, so ist es doch ohne Zweifel meine Pflicht als Familienvater, dafür Sorge zu tragen, daß ich bei irgend einer Veränderung wenigstens keinen finanziellen Nachtheil erleide. Anderntheils muß ich, damit es nicht zu spät wird, freilich auch darauf bedacht seyn, baldmöglichst in die größere musikalische Welt, wohin der Künstler doch eigentlich gehört und wozu ich in mir Kraft und Ausdauer genug verspüre, einzutreten. – Unglücklich trifft es sich, daß ich grade Prag gar nicht kenne und deshalb auch gar keine Idee davon habe, ob sich die bewuste Stelle nicht etwa mit der Kapellmeisterstelle am Theater oder an der Kirche vereinigen ließe, wodurch sich dem Gehalt natürlich von selbst vergrößern würde; eben so wenig weiß ich, ob in Prag theuer zu leben ist, ob die Stellung als Künstler dort überhaupt angenehm ist u.s.w., weshalb ich aus vielen kleinlichen Ursachen nicht eher einen steten Entschluß fassen werde, als bis ich mit eigenen Augen gesehen habe.
Da Sie nun vermöge dieser Mittheilungen die ganze Sachen übersehen können, so bitte ich Sie hiemit, mir womöglich umgehend Ihre Meinung und Ihren freundschaftlichen Rath hierüber mitzutheilen.
Meinem schon näher gefaßten Vorsatz gemäß war mein Fürst der Erste, welchen ich davon in Kenttniß setzte, und er benimmt sich in der Sache ganz so, wie es sich von ihm erwarten ließ, nemlich gütig und theilnehmend, und obgleich ich mir schon vorher vorgenommen hatte, an Sie zu schreiben, so rieth doch auch er mir, dies zu thun und Sie um baldige Antwort zu bitten, damit ich Ihre Zeilen womöglich noch vor Antritt der projectirten Reise nach Prag in Händen habe.
Meine Frau läßt sich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin bestens empfehlen, und ich verbleibe in der Hoffnung baldiger Nachricht mit vollkommenster Hochachtung und Freundschaft
 
Ihr ergebenster
Th. Taeglichsbeck
 
Hechingen, am 26ten April 1843.

Autor(en): Täglichsbeck, Thomas
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Friedrich Wilhelm Constantin Hohenzollern-Hechingen, Fürst
Thun, Leo von
Erwähnte Kompositionen: Täglichsbeck, Thomas : König Enzio
Erwähnte Orte: Hechingen
Prag
Erwähnte Institutionen: Konservatorium <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843042643

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Täglichsbeck an Spohr, 27.11.1842. Spohr beantwortete diesen Brief am 30.04.1842.
 
[1] Vgl. die Stellenausschreibung in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 120.
 
[2] Emolumente = Amtsvorteile, Dienstzugänge (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 169).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.05.2016).