Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:9

Lieber Herr Capellmeister!

Von einer Lieblingsidee abzugehen, zumal wenn man daran nicht denn Eile hat, ist immer ein recht schwierig Geschäft. Ich hatte seit Weyhnachten den Plan bei mir genährt, Sie zu Ihrem Geburtstage zu überraschen: hatte selbst den dazu nöthigen Urlaub bereits erhalten: ich dachte mir‘s recht, in den Familienkreis, den der Festtag stets zu versammeln pflegt, so plötzlich einzutreten, oder mit Ihrer lieben Frau im Bunde ein feines Lied urplötzlich zu singen, so ein Vöglein1, oder wolle keiner mich fragen2 der dann Ihnen den herzlichsten Glückwunsch Ihres aufrichtigsten Verehrers in Ihre treue Rechte zu drücken u dann einen ganzen schönen Abend in aller Kreise zu verleben im Vorgeschmacke aller weitere Genüße, die mir von Ihrer Güte auch die folgenden Tage bereitet werden würden: da – gottlob daß die lange Periode zu Ende ist – ruft sich der Ausführung dieses Planes ein Hinderniß entgegen, an welches der größte Scharfsinn nicht hätte denken können. Das klingt sehr mysteriös, muß es auch noch bleiben: das Schweigen ist von jeher dem Glücke zum Hüter gesetzt u „rasch entfliegt es, wenn Geschwätzigkeit voreilig wagt, die Decke zu erheben.“3 Also Sie müssen glauben an die Wahrheit meiner Rede u können‘s wahrhaftig auch eher, als die Preußen an gewisse Verheißungen.4
So will ich denn meinen Glückwunsch in Worte kleiden, was freilich schwerer wird als ein Händedruck u Blick von Aug zu Aug. Wer weiß, wie viel schöne Gedichte Ihnen überreicht werden, wieviel Briefe vorzulesen sind, die dem meinigen sämtlich den Rang ablaufen, ich bin dazu außerdem durch die Geisttödtende Schulmeisterei der letzten Examenstage völlig abgestumpft: aber mein Herz ist dabei unverändert geblieben. Was sollen alle Wünsche: Sie wissen es, daß ich Ihnen u Ihrer lieben Familie nur Gutes wünschen kann. Alles was Sie sich selbst wünschen, daß was in noch erhöheten Maßstabe steht, auf dem Kerbholze meiner Gesinnung gegen Sie. Nun damit Basta!
Aber Worte! Keine Geschenke? als Gegengabe für die süßen Lieder dargebracht, die ich Ihnen zu danken habe? Was wöge nur einigermaßen solche ein Geschenk auf? Und kaufte ich die Caßler und Frankfurter Messe zusammen, das könnte jeder reiche Jude ebenfalls, u solche Menschen dürfen sich doch nicht einbilden, Equivalente für die Erzeugnisse des höchsten Genius geben zu können. Da will ich mich denn selbst in ganz eigner Person zum Geschenke anbieten. Sie lächeln u meinen, wie lange liegt da schon mein Sclave? Läuft da nicht eine neue Spohrsche Symphonie bei dunkler Nacht zu Fuß nach Wilhelmshöhe, selbst auf die Gefahr eines hohen u abermals hohen Mißfallens? Faße(?) ich nicht Seine tiefsten Tiefen, wenn sie überhaupt vorhanden, mit Schatten die denen, welche die lieblichen Gluten umschließen, nicht zu vergleichen stehen? Hältst du nicht gutwillig her, wenn ich den Nachal(???) meiner Lieder, mit Süßigkeiten überdacht, die so ins Herz rannen(???), daß das Herzblut daraus tropfenweise rinnt? Ja! Amen, Amen, so ists. Aber ich biete augenblicklich etwas anderes: nicht bloß nur geistige Sclaverey, eine Leibeigenschaft auf etliche Tage. Sie sollen mich in Ihrem Hause gefeßelt halten dürfen u mir alle möglichen Lieder vorlegen u ich will singen, singen, singen, bis mir der Athem aussezt. Ja! mögen die oben angedachten Hinderniße auch diese Woche noch andauern, darüber hinaus geb‘ ich nichts zu, da ziehe ich das Schwert u zerhaue den Gordischen Knoten, ich will durchaus in der Charwoche endlich mein Versprechen erfüllen u zu Ihnen eilen, will dann selbst im Conzerte, seys Solo, seys Tutti singen, überhaupt mich Ihnen total zu eigen machen. Können Sie über ein Plätzchen in Ihrem Hause für mich disponiren, so melde ich mich hiemit an für die ersten Tage der nächsten Woche. Ich verspreche mir sehr viel von einem endlichen Wiedersehen u will mich beeifern, forsche Laune, eine gute Stimme u vierlerlei pikante litterarische Dinge mitzubringen, welche die Nähe von Frankfurt mir suppeditirt5 hat.
Sehr würde es mich freuen, könnte ich in jener Zeit auch mal wieder eine schöne Oper von Ihnen hören. Steht es gar nicht zu machen, daß Jessonda grade aufs Repertoire kommt? Nun, dann singen wir den gewichtigen Pietro v. Abano.
Aber das Schwitzen nimmt kein Ende. Ich will also nur noch bemerken, daß es keiner Antwort bedarf, alls Sie meine Anmeldung gut heißen, daß Sie dadurch auf keine Weise genirt werden dürfen, daß ich mich beeilen werde, so früh wie mögl. in der nächsten Woche zu kommen und daß ich höchst glücklich in dem Gedanken bin, mit Ihnen einmal wieder geistig u herzlich zu verkehren.
Mit herzlichen Grüßen an Ihre Frau u – falls dieser Brief grade zur Zeit der Geburtstagsgesellschaft ankommen sollte, an die Gesamtheit derselben

Ihr treu ergebener
GFirnhaber

Hanau 4t April 1843.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, WoO 106
Spohr, Louis : Lieder, Sopr Klar Kl, op. 103
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Hanau
Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843040448

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 15.12.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 25.05.1853.

[1] Das Lied „Zwiegesang“ op. 103.2 beginnt „Im Fliederbusch ein Vöglein saß“.

[2] „Wolle keiner mich fragen“ WoO 106.

[3] Friedrich Schiller, Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder. Ein Trauerspiel mit Chören, Tübingen 1810, S. 30.

[4] Noch nicht ermittelt.

[5] „suppeditiren, l. unter den Fuß geben, unterlegen, darreichen“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörtebuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 447).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.12.2020).