Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck 1: „Musikalische Briefe von Moritz Hauptmann. III. an Spohr“, in: Grenzboten 29.2 (1870), S. 177-190, hier S. 184ff.
Druck 2: Moritz Hauptmann, Briefe von Moritz Hauptmann, Kantor und Musikdirektor an der Thomasschule zu Leipzig an Ludwig Spohr und Andere, hrsg. v. Ferdinand Hiller, Leipzig 1876, S. 10-13

Leipzig, den 61. Februar 1843.

Lieber verehrter Herr Capellmeister!

{ ... } Gestern1 war Berlioz's Concert und wir sind davon noch alle etwas gliederlahm — einen ganzen Abend solche Musik zu hören ist etwas zu viel, wenn auch einige Stücke in ihrer phantastischen Eigenthümlichkeit recht interessant und unterhaltend sind. Eine solche gar zu sehr sich absondernde Originalität verlangt am allermeisten einen äußeren Gegensatz; jedes Stück irgend eines anderen Componisten, auch eines geringen, wäre gestern1 eine Erholung gewesen. Es ist eigen, daß man bei Berlioz immer meinen muß, er könnte auch ganz schöne Musik machen, wenn er wollte, oder wenn Etwas aus dem Wege geräumt würde, was ihn daran hindert; das ist wie eine Art Besessenheit, die es nicht zuläßt, wenn sich etwas zu ruhiger Schönheit ausbreiten möchte. Es wurde die Ouvertüre zu<m> K<önig> Lear gegeben, die Fehmrichter2 und die phantastische Symphonie-Episode aus dem Leben eines Künstlers, dann zwei Romanzen von einer sehr schönen Sängerin, die er mit sich führt, sehr französisch ordinär gesungen3, und ein Violinstück4 von David gespielt, {aber auch} <alles> von Berlioz. Das Orchester war zu 24 Geigen, 5 Bässen, 7 Cellos und 6 Violen verstärkt — 4 Pauken und 4 Pauker dazu, indem zuweilen 4stimmige Pauckensätze vorkommen, Ophicleiden. 4 Hörner u. s. w. verstehen sich von selbst. Harfe und Piano fehlten auch nicht. Bei den Urtheilen über Berlioz wird man immer zum Widerspruch angeregt, wenigstens geht mir's so; die Einen finden das Höchste in ihm. Andere wollen gar nichts an ihm anerkennen und meinen, so etwas könne jeder machen, der die effronterie dazu habe. Das kann ich nun ebenso wenig zugeben als jenes. Ich finde nur ein falsches tadelhaftes Wollen dann und meine, ein sehr respektables Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu verkennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich ihn, wo der Teufel ganz und.gar los ist, weit weniger im Anmuthigen, wie Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten.5 Gegen den Hexensabbath in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen.6 Einige Tage vorher war Mendelssohns „Erste Walpurgisnacht,“ Musik zu Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden7, ein Musikstück voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt umgeschrieben, nur in der Instrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht an {einschneidend Dissonantem}/<einschneidenden Dissonanzen>, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz bleibt bei der Dissonanz stehen, Mendelssohn löst sie auf. Mendelssohns neue Symphonie8 wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie gern {früher}/<frischer> gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön; großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden.
Im nächsten <Concert>9 wird die [9te]/<neunte> von Beethoven gegeben.10 Der Chor aus Thomanern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouverture ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus und gefiel uns {vorläufig gesagt,} sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen — indessen ist dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht ist oder nicht. — Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der Produktion abgesehen. — Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theilnehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den Ersten — das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer Conferenzen, die Einrichtungen und nähere Bestimmungen betreffend, es wird aber nicht immer viel bestimmt und wird erst einmal ein Anfang gemacht werden müssen. {...
M. H.}



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit nur als Inhaltsangabe überlieferten Brief Spohr an Hauptmann, 08.10.1843. Spohrs Antwortbrief vom 10.02.1843 ist ebenfalls nur als Inhaltsangabe überliefert.
Der Text ist aus beiden Textfassungen kompiliert. Ergänzungen von Druck 1 gegenüber Druck 2 sind mit geschweiften Klammern { } kenntlich gemacht, Ergänzungen von Druck 2 gegenüber Druck 1 mit dreieckigen <>.

[1] Die beiden Drucke stimmen im Datum 06.02. überein, die restlichen Quellen jedoch im Konzertdatum 04.02. (vgl. „Leipzig”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 217-221, hier Sp. 217; „Feuilleton”, in: Neue Zeitschrift für Musik 18 (1843), S. 44). Da Hauptmann mutmaßlich gestern und vorgestern unterscheiden konnte und sich in Handschriften des 19. Jahrhunderts die Ziffern 5 und 6 häufig ähneln, gehe ich von einem Transkriptionsfehler beider Editoren und einem Briefdatum 05.02. aus.

[2] Les Francs-Juges.

[3] Marie Recio (zur Identifikation vgl. „Feuilleton”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 94). Deutlich unfreundlicher als Hauptmann urteilt ein anderer Rezensent über diese Sängerin: „Berlioz führt eine Sängerin bei sich, ein Westentaschenliederbuch, ein Reise-Necessair, ihre Stimme ist so dünne wie sie selbst” („Hector Berlioz in Leipzig”, in: Signale für die Musikalische Welt 1 (1843), S. 45f., hier S. 46).

[4] Rêverie et Caprice.

[5] Zu Seydelmann und Devrient als Bösewichtern vgl. „Stuttgart, Oktober”, in: Morgenblatt für gebildete Leser 26 (1832), S. 1019f., 1024, 1028, 1031f., 1036, 1040 und 1044, hier S. 1031f.

[6] Vgl. Allgemeine musikalische Zeitung, Sp. 219.

[7] Zum Gewandhaus-Konzert am 02.02.1843 vgl. „Sechszehntes Abonnementconcert, d. 2. Februar”, in: Neue Zeitschrift für Musik 18 (1843), S. 67f.

[8] Zum Gewandhaus-Konzert am 26.01.1843 vgl. „Fünfzehntes Abonnementconcert, d. 26. Januar”, in: Neue Zeitschrift für Musik 18 (1843), S. 59f.

[9] Diese nur in Druck 2 vorhandene Ergänzung könnte darauf hindeuten, dass beide Fassungen einen im Originalbrief vorausgehenden Satz auslassen, der „Concert“ als Subjekt enthielt.

[10] Zum Gewandhaus-Konzert am 09.03.1843 vgl. „Aus Leipzig”, in: Neue Zeitschrift für Musik 18 (1843), S. 95-98.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.11.2016).

Leipzig, den 6. Februar 1843.

Lieber verehrter Herr Capellmeifter!

. . . . Gestern war Berlioz's Concert und wir sind davon noch alle etwas gliederlahm — einen ganzen Abend solche Musik zu hören ist etwas zu viel, wenn auch einige Stücke in ihrer phantastischen Eigenthümlichkeit recht interessant und unterhaltend sind. Eine solche gar zu sehr sich absondernde Originalität verlangt am allermeisten einen äußeren Gegensatz; jedes Stück irgend eines anderen Componisten, auch eines geringen, wäre gestern eine Erholung gewesen. Es ist eigen, daß man bei Berlioz immer meinen muß, er könnte auch ganz schöne Musik machen, wenn er wollte, oder wenn Etwas aus dem Wege geräumt würde, was ihn daran hindert; das ist wie eine Art Besessenheit, die es nicht zuläßt, wenn sich etwas zu ruhiger Schönheit ausbreiten möchte. Es wurde die Ouvertüre zum König Lear gegeben, die Fehmrichter und die phantastische Symphonie-Episode aus dem Leben eines Künstlers, dann zwei Romanzen von einer sehr schönen Sängerin, die er mit sich führt, sehr französisch ordinär gesungen, und ein Violinstück von David gespielt, aber auch von Berlioz. Das Orchester war zu 24 Geigen, 5 Bässen, 7 Cellos und 6 Violen verstärkt — 4 Pauken und 4 Pauker dazu, indem zuweilen 4stimmige Pauckensätze vorkommen, Ophicleiden. 4 Hörner u. s. w. verstehen sich von selbst. Harfe und Piano fehlten auch nicht. Bei den Urtheilen über Berlioz wird man immer zum Widerspruch angeregt, wenigstens geht mir's so; die Einen finden das Höchste in ihm. Andere wollen gar nichts an ihm anerkennen und meinen, so etwas könne jeder machen. der die effronterie dazu habe. Das kann ich nun ebenso wenig zugeben als jenes. Ich finde nur ein falsches tadelhaftes Wollen dann und meine, ein sehr respektables Können sei für Einen, der so etwas zu beurtheilen weiß, gar nicht zu verkennen. Er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen; das sind nun freilich oft sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten finde ich ihn, wo der Teufel ganz und.gar los ist, weit weniger im Anmuthigen, wie Einem bei Seydelmanns und Devrients Bösewichtern viel wohler zu Muthe war, als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten. Gegen den Hexensabbath in der gestrigen Symphonie ist Webers Wolfsschlucht ein Wiegenlied; es wäre gar nicht übel, jenes Stück einmal in den Freischützen einzulegen. Einige Tage vorher war Mendelssohns „Erste Walpurgisnacht,“ Musik zu Goethe's Gedicht im Abonnementsconcert gegeben worden, ein Musikstück voller Frische und Schönheit; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt umgeschrieben, nur in der Instrumentation, so viel ich weiß, verändert hat. Da kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht an einschneidend Dissonantem, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz bleibt bei der Dissonanz stehen, Mendelssohn löst sie auf. Mendelssohns neue Symphonie wird Ihnen, glaube ich, sehr gut gefallen. Ich hätte sie gern früher gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorausgegangen und ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön; großartiger jedoch habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden.
Im nächsten wird die 9te von Beethoven gegeben. Der Chor aus Thomanern und Dilettanten bestehend ist bei solchen Aufführungen sehr gut und stark besetzt, nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouverture ist neulich zweimal durchprobirt worden und ging das zweitemal so gut, daß sie sogleich hätte gegeben werden können, nur wenige Erinnerungen Mendelssohns waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus und gefiel uns vorläufig gesagt, sehr gut. Mir war's auch lieb, wieder einmal ein neues Musikstück zu hören, was nichts als sich selbst bedeuten sollte; die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen — indessen ist dagegen nichts zu thun; soll die Instrumentalmusik im Ganzen diese charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es Einem Recht ist oder nicht. — Mir scheint das nun wie Genremalerei gegen historische und daß das Höchste jener seiner Natur nach auf einer tieferen Stufe steht und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der Produktion abgesehen. — Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theilnehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den Ersten — das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer Conferenzen, die Einrichtungen und nähere Bestimmungen betreffend, es wird aber nicht immer viel bestimmt und wird erst einmal ein Anfang gemacht werden müssen. — M. H.
28.02.1843
„Musikalische Briefe von Moritz Hauptmann. III. an Spohr“, in: Grenzboten 29.2 (1870), S. 186f.
Leipzig, 28. Februar 1843.
Lieber Herr Capellmeister!
Ich komme eben aus einem Concert des Parish Alvars des Harfenvirtuofen, vielleicht des größten, den es gibt, aber wir sind doch nach dem ersten Stück des zweiten Theils, der Ouvertüre „Ossiansklänge" von Gade, herausgegangen; über das Instrument kann er doch nicht hinaus und an dem haften, um Alles darauf machen zu wollen, zu viele Mängel. Je besser der Triller auf der Harfe gemacht wird, desto deutlicher wird es, daß man keinen machen soll. Ausklingende Piano-Accorde in Arpeggien möchte allenfalls etwas sein, was die Harfe eigentümlich schöner als das Pianoforte hat, (die Harfencompositionen müßten gegen die Claviercompositionen einfacherer Natur sein, mehr im Charakter der Palme als des Eichbaums), in allem andern steht sie im Nachtheil, und der reiche complicirte Mechanismus, nicht um etwas schön spielen zu können, nur um die Möglichkeit zu erlangen, etwas zu spielen, ist gerad recht ihre Armuth und es ist kein Wunder, wenn sich so wenige damit befassen wollen. Dabei ist es wieder das einzige von allen unsern modernen Instrumenten, was an sich eine gute Gestalt hat, dem Spieler eine gute Gestalt gibt und anmuthige Bewegung gestattet, das einzige, was keine kleinliche oder keine Unform hat und zu dem ein idealeres Costüm noch besser stehen würde als unser verzwicktes. Man könnte sich einen Sarastro, die Pedale abgerechnet, recht gut mit der Harfe, viel weniger mit der Geige oder Oboe denken. — Im nächsten Concert wird die Symphonie von Gade gegeben, die Ouvertüre ist recht hübsch, aber noch lange kein Meisterstück, sie hört sich noch etwas stückweis an und hat in ihrem Verlauf keinen rechten dominanten Höhepunkt, etwas näher schwer zu bezeichnendes, das guten Sachen nicht fehlt, ohne sich hier sehr bemerkbar zumachen, aber den Mangel fühlt man deutlich. So scheinen die Bach'schen Fugen und Motettensätze in einem ganz gleichartigen Stimmgeflechte fortzugehen vom Anfang bis zum Ende, so sieht es auf dem Papier aus, aber wenn man sie hört und Anderes dagegen hört, dann ist das eine ein herrlicher Baum, das andere ist Gesträuch und Gestrüpp, was nicht von der Erde weg will, nur in die Breite, nie in die Höhe geht und es nirgends zu einem Gipfel bringt. So war neulich der 5stimmige Psalm „Du bist's etc.“ von A. Ramberg (der auch im Cäcilien-Verein gesungen wird) in der Thomaskirche als Motette, gegen jene grundkräftigen Sachen von ganz kümmerlicher Wirkung, so hübsch er auch von vornherein klingt; aber es wird eben nichts daraus, und vom zweiten Theil, von der Fuge möchte ich wiederholen, was ich eben vom Harfentriller gesagt habe, es ist eine mühevolle Stückelei, die nie in den Zug kommt und sich eben so mühsam anhört, als sie gemacht ist. Dagegen war ein Stück von Giov. Gabrieli, was ich am Sonnabend singen ließ, sechsstimmig, von der schönsten Wirkung, die Thomaner hatten selbst ihre große Freude daran. — Neulich war Berlioz wieder hier von Dresden und führte das Offertorium eines Requiems aus, eine Art Instrumentalfuge oder fugirter Satz in langsamem Tempo in d-moll, wozu der Chor unisono nichts als a und b zu singen hat. Das kommt an die hundertmal, immer mit Zwischenpausen, länger oder kürzer, ohne selbständige Bestimmung, nur wie es gerade die Harmonie zuläßt, nach einander vor, zuletzt löst sich's in einen harmonischen Dur-Schluß auf, bei dem nach der langen Pein den Leuten so wohl wurde, daß viele nach dem Ende glaubten, etwas Schönes gehört zu haben; es ist aber ein ganz gesuchtes und innerlich unmusikalisches Ding und macht höchstens den Eindruck, als wenn es eine Kirchenmusik vorstellen sollte, etwa einen Mönchszug auf dem Theater oder so etwas. Dazu wärs wieder besser als wenn einer eine wirkliche auf's Theater bringen wollte, die sich wie alles blos wahre, da ausnimmt wie die lebendige Eule im Freischützen oder des Kurprinzen Zapfenstreich im Wasserträger. Mit der wirklichen Kirchenmusik, so weit man das Feld auch stecken mag, hat es aber bei den Franzosen keine Gefahr, sie haben nie eine gehabt, was daran ächtes in Cherubini ist. hat er als Italiener zugebracht. Kirchenmusik haben nur die alten Niederländer, die Italiener und Deutschen . .
M. H.

Leipzig, den 6. Febr. 1843.

Lieber verehrter Herr Kapellmeister.

Gestern war Berlioz's Concert und wir sind davon noch alle etwas gliederlahm — einen ganzen Abend solche Musik zu hören, ist etwas zu viel, wenn auch einige Stücke in ihrer phantastischen Eigenthümlichkeit recht interessant und unterhaltend sind. Eine solche gar zu sehr sich absondernde Originalität verlangt am allermeisten einen äußern Gegensatz, jedes Stück irgend eines andern Componisten, auch eines geringeren, wäre gestern eine Erholung gewesen. Es ist eigen, daß man bei Berlioz immer meinen muß, er könnte auch ganz schöne Musik machen wenn er wollte, oder wenn etwas aus dem Wege geräumt würde was ihn daran hindert, das ist wie eine Art Besessenheit, die es nicht zuläßt, wenn sich etwas zu ruhiger Schönheit ausbreiten möchte. Es wurde die Ouvertüre zu K. Lear gegeben, die Vehmrichter und die phantastische Symphonie „Episode aus dem Leben eines Künstlers", dann zwei Romanzen, von einer sehr schönen Sängerin, die er mit sich führt, sehr französisch ordinair gesungen, und ein Violinstück von David gespielt, alles von Berlioz, Das Orchester war zu 24 Geigen 5 Bässen 7 Cellos und 6 Violen verstärkt— 4 Pauken und 4 Pauker dazu, indem zuweilen vierstimmige Paukensätze vorkommen, Ophicleiden 4 Hörner u. s. w. verstehen sich von selbst, Harfe und Piano fehlen auch nicht. Bei den Urtheilen über Berlioz wird man immer zum Widerspruch angeregt, wenigstens geht mir's so; die einen finden das Höchste in ihm, andere wollen gar nichts an ihm anerkennen und meinen so etwas könne jeder machen der die effronterie dazu habe. Das kann ich nun ebensowenig zugeben wie jenes. Ich finde nur ein falsches tadelhaftes Wollen dann, und meine ein sehr respectables Können sei für einen der so etwas zu beurtheilen weiß gar nicht zu verkennen, er spielt sein großes Instrument mit großer Virtuosität und weiß die beabsichtigten Effecte sehr wohl hervorzubringen. Das sind nun freilich oft sehr ungefällige und absurde. Am behaglichsten und anmuthigsten sinde ich ihn wo der Teufel ganz und gar los ist, weit weniger im Anmuthigen, wie einem bei Seydelman's und Devrient's Bösewichtern viel wohler zu Muthe war als wenn sie Liebhaber vorstellen wollten. Gegen den Hexensabbath in der gestrigen Symphonie ist Weber's Wolfsschlucht ein Wiegenlied, es wäre gar nicht übel jenes Stück einmal in den Freischütz einzulegen. Einige Tage vorher war Mendelssohn's Erste Walpurgisnacht, Musik zu Goethes Gedicht, im Abonnementconcert gegeben worden, ein Musikstück reiner Frische und Schönheit ; es ist eine frühere Arbeit, die er jetzt umgeschrieben, nur in der Instrumentation, soviel ich weiß, verändert hat. Da kommt auch der Blocksberg mit allem Zubehör darin vor und es fehlt nicht an einschneidenden Dissonanzen, aber erstens ist es nicht so toll und dann ist auch das andere Element dabei, was bei Berlioz gänzlich fehlt. Berlioz bleibt bei der Dissonanz stehen, Mendelssohn löst sie auf. Mendelssohn's neue Symphonie wird Ihnen glaub' ich sehr gut gefallen. Ich hätte sie gerne frischer gehört, es war an jenem Abend gar zu viel vorgegangen und ich kann nicht viel Concertmusik vertragen, aber mir schien sie sehr schön. Großartiger habe ich noch immer seine Gesangsachen gefunden. Im nächsten Concert wird die neunte von Beethoven gegeben. Der Chor, aus Thomanern und Dilettanten bestehend, ist bei solchen Aufführungen sehr gut und stark besetzt; nur leidet dabei die Wirkung der Instrumente etwas, indem der Chor auf demselben Boden vor dem Orchester steht. Ihre neue Ouvertüre ist neulich zweimal durchprobirt worden, und ging das zweitemal so gut daß sie sogleich hätte gegeben werden können; nur wenige Erinnerungen Mendelssohn's waren nöthig beim erstenmal. Sie nahm sich sehr schön aus und gefiel uns sehr gut. Mir war es auch lieb wieder einmal ein neues Musikstück zu hören was nichts als sich selbst bedeuten sollte, die dürften doch nicht ganz aus der Mode kommen — indessen ist dagegen nichts zu thun, soll die Instrumental-Musik diese charakteristische Richtung nehmen, so wird sie sie nehmen, ob es einem recht ist oder nicht. Mir scheint dies nun wie Genremalerei gegen historische und daß das Höchste jener, seiner Natur nach, auf einer tiefern Stufe steht und sich nicht zu dieser erheben kann, von der relativen Vollkommenheit der Production abgesehen.
Zu unserer Musikschule haben sich schon viele Theilnehmer gemeldet, sie soll im April ihren Anfang nehmen, aber nicht den Ersten — das fand Mendelssohn ominös. Vor der Hand sind noch immer Conferenzen, die Einrichtung und nähere Bestimmungen betreffend, es wird aber nicht immer viel bestimmt und wird erst einmal ein Anfang gemacht werden müssen.