Autograf: Bodleian Library Oxford (GB-Ob), Sign. GB 17: 62
Abschrift: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. MA Nachl. 7,64/1,13
Druck: John Michael Cooper und R. Larry Todd, „'With True Esteem and Friendship'. The Correspondence of Felix Mendelssohn Bartholdy and Louis Spohr“, in: Journal of Musicological Research 29 (2010), S. 171-259, hier S. 248f.; englische Übersetzung S. 207f.

Sr. Hochwohlgeb.
Herrn General-Musikdirektor
F. Mendelssohn-Bartholdy
in
Leipzig

frei

hierbei ein Paquet
Musikalien, gez:
H.M.B.1


Cassel den 30sten Januar
1843.

Geehrtester Freund,

Sie werden sich wundern, schon wieder eine Zusendung von mir zu erhalten; diesmal ist es aber im Namen eines Andern, daß ich mich an Sie als Bittender wende. Der Musikdirector Kühmstedt in Eisenach, ein recht begabter und gebildeter junger Künstler hat eine Sinfonie geschrieben und wünscht sehnlichst, daß sie in einem Ihrer Concerte aufgeführt werde. Er hat mich um meine Fürsprache bey Ihnen deshalb gebeten2 und ich konnte ihm dies nicht gut abschlagen. Finden Sie die Sinfonie würdig und haben Sie in einem Ihrer Concerte noch einen Platz frei, so schließe ich meine Bitte der seinigen an.
Wir gaben die Sinfonie in unserm ersten Concerte und Kühmstedt, der bisher noch keins seiner Orchesterwerke gehört hatte, kam dazu herüber. Er war nach der Probe sehr unglücklich, weil der Efekt fast durchaus seinen Erwartungen nicht entsprochen hatte und beschloß gleich, sie anders zu instrumentiren und manches umzuarbeiten. Nachdem er sie nun noch am Abend bey der Aufführung3 gehört hatte, stand sein Plan dazu fest und ich konnte ihn, indem ich die Partitur mit ihm durchging, noch allerley Winke und Vorschläge dazu machen. Diese Umarbeitung ist nun fertig und die, die ich Ihnen in dem beyfolgenden Paquet nebst den neuen Orchesterstimmen übersende. Ich habe sie aber nicht gesehen, weil ich das Paquet nicht öffnen mögte. Doch mögte ich sie gern hören, da mir das Werk in seiner ersten Gestalt schon sehr gefiel. Nur in etwas scheint er meinen Rath nicht befolgt zu haben, wenigstens erwähnte er dessen in seinem Briefe nicht. Dies war der Rath, ein neues Adagio zu schreiben und die Singstimme daraus wegzulassen. Ich habe ihm meine ästhetischen4 und andern Gründe gegen diese Singstimme auseinander gesetzt; sie scheinen ihn aber nicht überzeugt zu haben! – Vieleicht ist sie aber doch weggeblieben und er hat nur vergessen es mir zu schreiben.
Schlüßlich freue ich mich der Gelegenheit Ihnen noch für ihr freundliches Schreiben, so wie die gütige Gewährung meiner Bitte den herzlichsten Dank sagen zu können. Die Sonate wird nun in wenigen Tagen fertig seyn und ich freue mich schon im Voraus des Genusses, sie einmal von Ihnen spielen zu hören.
Sollten Sie Hauptmann sehen, so bitte ich ihn zu grüßen und ihm zu sagen, daß die Orchesterstimmen zur Bach’schen Passion sich hier gefunden haben und wir schon fleißig an den Chören des Werks üben.
Mit herzlicher Freundschaft ganz

der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Mendelssohn Bartholdy, Felix
Erwähnte Personen: Hauptmann, Moritz
Kühmstedt, Friedrich
Erwähnte Kompositionen: Kühmstedt, Friedrich : Sinfonien, Nr. 1
Spohr, Louis : Sonaten, Kl, op. 125
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Gewandhaus <Leipzig>
Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843013011

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Mendelssohn an Spohr, 26.01.1843. Mendelssohn beantwortete diesen Brief am 24.03.1843.

[1] Rechts oben auf dem Adressfeld befindet sich ein Poststempel „CASSEL / 30 / 1 / 1843“, rechts darüber „MÜHLHAUSEN / 30 1“, rechts unten der Stempel „Stadt-Post / Pack-Ausg. / 3 FEB“,

[2] Friedrich Kühmstedt an Spohr, 27.01.1843.

[3] Zum Konzert am 04.11.1842 mit Schwerpunkt auf Kühmstedts Sinfonie vgl. „Friedrich Kühmstedt”, in: Allgemeine musikalische Zeitungi 45 (1843), Sp. 87-90, hier Sp. 87ff.

[4] Hier im Wort ein „t“ gestrichen („ästhet[h]ischen“).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.06.2020).