Autograf: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (D-Dl), Mus. Schu. 293
Druck 1: Wolfgang Boetticher, Briefe und Gedichte aus dem Album Robert und Clara Schumanns, Leipzig 1979, S. 182f.
Druck 2: Julia M. Nauhaus, Musikalische Welten. Clara und Robert Schumanns Verbindungen zu Braunschweig, Sinzig 2010, S. 157f.
Sr. Wohlgeb.
Herrn Doctor R. Schumann
Redacteur d. n. Musikalischen
Zeitung
in
Leipzig.
Nebst einem
Paquet Musika-
lien, gez: H.D.S.
frei.
Cassel, den 20sten
Januar 1843.
Hochgeehrtester Herr Doctor,
Vorgestern in unserm 4ten Concert haben wir endlich Ihre schöne Sinfonie zur Aufführung gebracht; sie sollte schon in dem vorhergehenden gegeben werden, doch trafen die Doublierstimmen1 zu spät für die nöthigen Vorproben ein, und so mußte ich sie für das nächstfolgende zurücklegen. Die Sinfonie hat sowohl unsern Musikern und Kennern, wie auch dem zwar nur kleinen, aber für diese Musikgattung sehr empfänglichen Publiko außerorndtlich2 gefallen und sich daher auch hier als ein tüchtiges Werk bewährt, zu welchem man dem Verfasser Glück wünschen muß, besonders, da es der Erstling dieser Gattung ist. Auch mich hat das Werk außerorndtlich erfreut und mit jeder Probe, deren ich drei sehr ausführliche gemacht habe, immer mehr angezogen. Soll ich nun ein Detail3 näher bezeichnen, was ich besonders schön gefunden habe, so ist es zuerst die herrliche Durchführung der Themafigur im Anfange, aber 2ten Theils, dann das ganze Scherzo mit seinem eigenthümlichen, hinreißenden Schluß, und die Lebendigkeit und Originalität des letzten Satzes. Ist es mir erlaubt, etwas auszusetzen, so ist es zuerst, daß das Adagio mit dem Scherzo zusamenhängt, wofür ich keinen Grund habe auffinden können; ferner, daß im Adagio der kra[u]sen Begleitungsfiguren zu viele sind u[nd] meistens den Gesang zu sehr einwickeln (was mir, als dem Clavierspieler und Clavierkomponisten eigenthümlich erscheint,) und endlich ein Satz im letzten Allegro, der mit dem Tenorposaunen-Solo Pag. 172 beginnt und mit dem Charakter des Übrigen nicht recht harmoniren will und deshalb wohl zu der Einleitung zum Thema für Hörner und Flöte Solo geführt hat, die mir auch nicht recht sinfoniemäßig vorkommen will. Doch sind das nur Ansichten von mir, und mein Gefühl kann sich dar[in] leicht4 irren!
Empfangen Sie nun unsern herzlichsten Dank für die gefällige Mittheilung des Werks und den Genuß, den es uns gewährt hat, und senden Sie uns doch für nächsten Winter wieder etwas Ihrer Arbeiten dieser Gattung.
Ich bin so frei, dem Paquet meine neue Ouverture beyzulegen und bitte, daß Sie die Güte haben wollen, sie an Freund Mendelssohn abzugeben. Ich werde ihm in diesen Tagen selbst schreiben.5
Ihrer Frau Gemahlin unsre herzlichsten Grüße! Wir haben nachträglich noch einmal bedauert, Sie nicht zu Haus getroffen zu haben, nachdem wir aus Ihrem Schreiben ersehen, welche Kunstgenüsse unserer erwarteten!
Mit wahrer Hochachtung und Ergebenheit
der Ihrige
Louis Spohr.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Schumann, Robert |
Erwähnte Personen: | Mendelssohn Bartholdy, Felix |
Erwähnte Kompositionen: | Schumann, Robert : Sinfonien, op. 38 Spohr, Louis : Konzert-Ouvertüre im ernsten Stil, op. 126 |
Erwähnte Orte: | Kassel Leipzig |
Erwähnte Institutionen: | Hofkapelle <Kassel> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1843012011 |
Dieser Brief folgt auf Spohr an Schumann, 01.12.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schumann an Spohr, 27.08.1850.
Schumann empfing diesen Brief am 26.01.1843 (vgl. Robert Schumann, Tagebucheintrag vom gleichen Tag, in: ders., Haushaltsbücher Teil I. 1837-1847, hrsg. v. Gerd Nauhaus (= Robert Schumann Tagebücher 3), Basel und Frankfurt am Main 1982, S. 236).
[1] Woher die Doublierstimmen kamen ist unklar, da auch die Gewandhauskonzerte sie nicht besaßen (vgl. Ferdinand David an Spohr, 30.11.1842).
[2] Druck 2 transkribiert hier „außerord[en]tlich“. Die Schreibung „außerorndtlich“ findet sich auch in Spohr an Friedrch Rochlitz, 21.09.1817.
[3] Druck 1 und 2 transkribieren hier „mein Urteil“.
[4] Druck 1 und 2 transkribieren hier „vielleicht“ statt „dar[in](?) leicht“.
[5] Spohr an Felix Mendelssohn Bartholdy, 23.01.1843.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.11.2018).