Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 13t Januar 1843.

Erlauben Sie, mein innigst verehrtester Freund und Gönner, daß wir alle die Ihnen wie Ihrer so talentreichen liebenswürdigen Frau Gemahlin, wenn auch etwas1 verspätet ausgedrückt, doch nicht minder innig und herzlich bey dem Eintritte in das neue Jahr gewidmeten guten Wünsche aller Tonarten und Mensuren2 zunächst mit der Hoffnung u mit dem herzlichsten Wunsche beginnen, daß die beygehenden frischen Würstel Sie beyderseits bey frischem u fröhlichem Apetite für diese etwas derbe ländliche Speise antreffen!
Je erheiternder die Anklänge der wahrhaft begeisternden Genüße mich noch auf Schritt u Tritt begleiten, welche Ihrer so großen Freundlichkeit ich vom 13t bis 17t des Christ-Monathes vorigen 4 Tage hindurch wiederum zu verdanken hatte, desto mehr beunruhigt mich die wenige Wahrscheinlichkeit, daß ich zu der nach neulichen Äußerung für das nächste Abonnements-Concert bestimmter Aufführung Ihrer neuen Ouvertüre und der Schumannschen Symphonie eine ähnliche Kunst-Wallfahrt mir werde aneignen dürfen! – so ungemein interessant mir auch beyde Aufführungen, und mit entschiedener Gewißheit in hohem Grade genußreich besonders die erstere mir auch seyn würden! –
Sehr gespannt bin ich darauf, ob auch Ihnen – in Uebereinstimmung mit Hauptmann’s Urtheile3, – die Schumannsche Symphonie selbst noch interessanter seyn wird, als die neuliche Schubertsche – ? – ich gestehe, außer Ihren großartigen Meisterwerken der Art, seit recht langer Zeit nichts mir noch unbestimmtes gehört zu haben, was mich von Anfang bis zu Ende so gefesselt u ergötzt hätte, als dieses ungebunden geniale, u doch dem inneren u äußeren Ohre niemahls Zwang anthuende großartige Werk das leider so früh dahin geschiedenen Schubert! –
Der Richard Wagner ist ja, – um mit Hrn Wiele zu reden, – „ein Mord-Kerl!“ – schon wieder eine neue u in Dresden mit gleichem Beyfallststürmen aufgenommenen großen Oper zugleich eigener Dichtung! – Das heißt guten Zulauf nehmen in so jungen Jahren, um auch der Zahl nach den Italienern Rossini u Donizetti pp ein Deutsches Gegenstück gleicher, u zwar wohl ohne Zweyfel zugleich gediegenerer Productivität für die Bühne entgegen stellen! –
Diese Vereinigung der eigenen Dichtung u Composition ist, so viel ich weis, noch nicht da gewesen? – u daß die letzteren durch das gleichzeitige Talent der ersteren sehr gegünstigt werden kann, scheint mir nicht zweyfelhaft – ? – Vor allem aber kann u wird in dieser Vereinigung ihm auch niemahls auch niemahls4 der vielfach gerügte Mangel an zusangenden Deutschen Opern-Bühnen fühlbar, u seiner derartigen Productivität hinderlich werden! – – In jedem Falle der Erscheinungen, auf deren nähere Bekanntschaft man sehr gespannt seyn muß! –
Möge denn dieser „Fliegende Holländer“ auch auswärtigen Bühnen der Schwierigkeiten weniger entgegenstellen, als angeblich „der letzte der Tribunen!“5 um welchen zu hören, man vorläufig wohl würde gen Dresden reisen müssen! –
Meine Frau hatte sich neulich dann wirklich verführen lassen, am Vorabende meiner Rückkehr nach Goettingen mir dahin entgegen zu kommen, um – – den höllischen Robert6 kennen zu lernen! – Aber schon der erste Act bereitete ihr eine solche Hölle von Mißtönen dieses schauderhaften s.g. Orchester’s pp, daß sie, um Krämpfen zu entgehen, solchen nicht zu Ende zu hören vermogte, u hinausflüchtete bevor noch der Vorhang zum ersten Mahle herabsinkend Erlösung brachte! –
Dennoch hat die dasige Gastirung der Fischer-Achten, – (die sich auch schon wundern wird über die allda zu treffende Begleitung pp!7 – meine Frau abermahls verführt, Gestern Nachmittag hinüberzufahren, um diese ihr noch unbekannte Sängerinn als Susanna im Figaro zu hören – wobey ich denn nur zu sehr fürchte, daß auch der herrlichste einzelne Gesang die übrigen Mißtöne auszugleichen nicht vermögen wird! – wenn gleich auch das eine Eigenthümlichkeit der Mozartschen Compositionen ist, daß selbst auch deren stümprige Ausführung wenigstens nicht einen solchen Ekel erregt, als bey jenen Opern ohne die Unterstützung resp. gelungende u glänzende Ausführung man sofort davon überwältigt wird! –
So innig als dankbar und unwandelbar

Ihr
wärmster Verehrer
CFLueder.

G.N.S. Wollen Sie vielleicht genehmigen Ihrer verehrten Frau Tochter8 eine Leber- und Weis-Wurst mit unseren herzlichsten Empfehlungen präsentiren zu lassen? – – Für ähnliche Separat-Verpackung zu directer Sendung an Fr. v. Malsburg ist glücklicher Weise ein kleines Schüsselchen hier zur Hand! –



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 19.11.1842. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Spohr an Lueder vom gleichen Tag.

[1] Hier gestrichen: „spät“.

[2] „Mensuren“ = hier wohl „Taktarten“.

[3] Vgl. Moritz Hauptmann an Spohr, 03. und 05.11.1842.

[4] Wortdopplung in der Vorlage.

[5] Rienzi.

[6] Robert le diable.

[7] Zum Auftritt von Caroline Fischer-Achten in Göttingen vgl. „Im Jahre 1843!“, in: Allgemeine Theater-Chronik 12 (1843), S. 59.

[8] Ida Wolff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.03.2021).