Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrter Herr und Freund!

Erst seit zwei Tagen von meinem Landgute1 in Steiermark zurückgekehrt, wo die gute Landluft mehr als alles andere die Herstellung meiner wieder lang leidenden Frau endlich bewirkte, gebe ich mir die Ehre, Sie an Ihre zeitige Zusage zu erinnern und zu bitten, daß Sie mir nun baldigst Partitur und Orchesterstimmen Ihren, ich hoffe nicht neuesten, aber doch für uns neuesten, Symphonie: Diesseits und Jenseits2, durch Postwagen senden mögen. Im Musikvereinssaale haben wir die treffliche Gelegenheit, Sie zu geben, weil wir die sieben Soloinstrumente auf der Chorgallerie, unmittelbar über dem Orchester aufstellen können. Wir werden Sie mit aller Sorgfalt, die ein solches Werk verdient, einstudieren und auch auf das sorgfältigste bewahren, damit Ihr Eigenthum nicht gefährdet werde. Bis Mitte April stellen wir sie dann mit herzlichstem Danke zurück und Ihr schönes Werk wird die Hauptzierde unseres diiesjährigen Cyklus sein. Mit vielem Leidwesen las ich in den Journalen, daß Ihnen nicht gestattet werde, nach Norwich zu gehen. Es gibt viele Dinge zwischen Himmerl und Erde, sagt Horatio im Hamlet, von welchen sich unsere Philosophen nichts träumen laßen. Von Concerten habe ich bisher nur das des Vieuxtemps gehört, das mich sehr befriedigte.3 Man hat mir aber manches erzählt, das ich hier wiederhole, ohne es als ein Erlebtes zu verbringen. Lachner ist mit seiner Catharina Cornaro fast durchgefallen; es waren Cabalen gegen ihn und er spielte sich selbst die ärgste, indem er zu bereit, zu harmonisch und zu wenig melodisch war.4 Das große Musikfest war weniger als sonst besucht; auch kommt mir vor, als sei ein jährliches großes Musikfest ein Unding, das zu einem gewöhnlichen Concerte nach und nach herabsinkt und zusammenschrumpft. Die Mozartfeier in Salzburg soll auch mitunter eben nicht kurzweilig gewesen sein. Capellmeister Nicolai hat hier philharmonische Concerte organisirt, ein allerdings löbliches Unternehmen, die A dur Symphonie von Beethoven, jene in g minor von Mozart geben sie vollendet, weniger aber die C mol Symphonie von Beethoven und, was mir leid thut, war die Theilnahme des Publicums beim zweiten Concerte geringer.5 Und sind viele Concerte, viele Künstler angesagt und versprochen und leider! ist das Publicum schon übersättig! und die Preise so hoch, daß auch die saturirtesten Kunstfreunde am Ende die Ausgabe schue, um so mehr als wenn doch nur meistens arrangirte Opernmelodien hört, wie Futter, das der größte Theil des Publikums am liebsten frißt, verzeihen Sie mir den Ausdruck, den die Wahrheit mir auspreßt. In Theater geht es etwas beßer, seit man mehr ältere Opern und weniger ini und etti in deutscher Uebersetzung gibt. Zum Theil verdankt man diese Bestimmung Donizetti selbst, der dagegen eiferte, und sich überhaupt nicht selbst überschätzt. Er ist nun hier angestellt und man hat wohl daran gethan, ein Randhartinger, ein Geiger competirten und die Intrigue vermag viel. Gegen sie ist D.6 ein König. Werden Sie nicht einmal nach Wien kommen? oder, was noch schöner wäre, einmal einen Ausflug nach Steiermark machen? Ich sehne mich schon sehr darnach, Sie wieder zu sehen und in meiner romantischen Einsamkeit, die jedoch keine Einöde ist, wären Sie mir ein sehr willkommener Gast.
Die Krankheit meines Schwagers7 hindert uns stets an längeren Ausflügen, sonst hätte ich Sie schon besucht. Unsere besten Grüße an Ihre Frau Gemahlin. Die Meinigen empfehlen sich Ihnen. Ich sehe mit Ungeduld Nachrichten von Ihnen entgegen, wiederhole meine anfangs gestellte Bitte und bin mit herzlicher Hoffnung

der Ihrige
Lannoy
Obere Bräunerstraße No 1142

Wien 10. December 1842.

Der Musikverein8 und das Conservatorium drohen an Entkräftung zu sterben; man hat etwas arg gewirthschaftet nun soll man zahlen und hat kein Geld.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lannoy an Spohr, 02.05.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lannoy an Spohr, 09.03.1843.

[1] Wildhaus bei Marburg an der Drau.

[2] Offensichtlich: Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[3] Vgl. L. Raudnitz, „Erstes Concert des Hrn. Vieuxtemps“, in: Wanderer 29 (1842), S. 1175; „Concert des Herrn Heinrich Vieuxtemps“, in: Wiener Zeitung (1842), S. 2576; Carl Kunt, „Henri Vieuxtemps“, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1842), S. 1981-1874,

[4] Vgl. A.S., „K. K. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore“, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 565ff. und 569f.; H-r, „K. K. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore“, in: Humorist 6 (1842), S. 933; S.ch.s., „K. K. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore“, in: Oesterreichisches Morgenblatt 7 (1842), S. 565; Sfd., „K. K. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore“, in: Wanderer 29 (1842), S. 1103f.; Carl Kunt, „Catharina Cornaro, Königinn von Cypern“, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1842), S. 1867-1870.

[5] Vgl. Groß-Athanasius „Philharmonisches Concert, gegeben Sonntag den 27. November 1842“, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 581ff.

[6] Hier gestrichen: „ist“.

[7] Bartholomäus von Carneri.

[8] Gesellschaft der Musikfreunde.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.12.2021).