Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287


Das Komité des niederrheinischen Musikfestes in Aachen an den Herrn Hofkapellmeister Spohr in Cassel.

Das niederrheinische Musikfest, welches im Jahr 1840 in unsern Mauern gefeiert wurde, hat nicht nur hier, sondern auch in den benachbarten Städten Deutschlands und Belgiens den lebendigsten Anklang gefunden, und dabei allgemein den Wunsch erzeugt, daß die damals zusammenwirkenden Kräfte sich nach drei Jahren unter der nämlichen, großartigen Leitung wieder versammeln, und dem musikliebenden Publikum einen neuen Hochgenuß gewähren möchten.
Zu den schönsten Resultaten unseres Festes gehörte die sofort klar hervortretende Idee, daß Sie, verehrtester Herr Kapellmeister, die einzelnen Mitwirkenden zu Einem großen Ganzen beseelt, und daß daher ein günstiges Band Sie und jene Musiker umschlinge, welche sich durch die Macht Ihres Genie’s so freundlich an Sie herangezogen fühlte.
Von dieser Idee war das Komité durchdrungen, als es bei Ihrem Abschied von hier voraussetzte, daß Sie den nächsten Fest als Haupt nicht fehlen würden; und es gereichte ihm zum höchsten Vergnügen, daß Sie, vom nämlichen Gefühle ebenfalls erwärmt, die schöne Hoffnung des Wiedersehens in ihm erweckten.
Mit wahrer Freude vernehmen wir nun, daß die Verhältnisse es Ihnen wahrscheinlich gestatten werden, um Pfingsten hierher zu kommen, und das Ruder abermals zu ergreifen. Herr Notar Pascal ertheilte uns diese Nachricht, welche mit froher Aufregung begrüßt wurde, und wir würden Ihnen längst schon darüber geschrieben haben, wenn nicht durch eine Geschäftsreise desselben die Komitéversammlungen für einige Zeit in Stocken geraten wären.
Was die Wahl der Tonstücke angeht, so ist es Ihnen bekannt, daß vermöge eines von den Vereinsstädten angenommenen und durch langjährige Befolgung geheiligten Princips am ersten Tag in der Regel nur ältere Werke zur Aufführung kommen, und daß wir demnach für diesen Tag schon vor sieben Wochen das Magnificat von Durante und Samson von Haendel fixirt hatten. Nicht minder hat sich indessen auch der Grundsatz festgestellt, daß der zweite Tag außer der Instrumentalmusik nur kleineren Gesangstücken zu widmen; und in der That hat die Erfahrung gelehrt, daß das Aufführen zweier Oratorien, wodurch übrigens noch die Benutzung der bedeutenden Instrumentalkräfte beeinträchtigt wird, sowohl die Chöre durch Übermüdung abspannt, als das Publikum durch Übersättigung einschläfert, und für klassische Schönheiten gleichgültig macht. Wir müssen daher leider auf Ihr bedeutendes Tonwerk „der Fall Babylons“ verzichten, und bedauern auf’s tiefste, daß wir auf diese Weise in einen Konflikt mit Ihren Wünschen gerathen, der abgesehen von den Schwierigkeiten des Werkes aus den einmal gegebenen Verhältnissen, unabhängig von unserm eigenen Willen hervorgeht.
Die Wahl für den zweiten Tag ist nur in so fern getroffen, daß die sinfonia eroica von Beethoven wegen der Reihenfolge der Statt gehabten Aufführungen nicht wohl umgangen werden kann. Im Übrigen ist Alles noch unbestimmt. Vorgeschlagen sind zwar die Hymne op. 98 von Ihrer Komposition, eine Ouverture von Mozart und das den Meisten unter uns noch unbekannte trichordium von Vogler. Allein wir glauben alle diese Vorschläge Ihrer Prüfung unterwerfen zu müssen, und bitten Sie deshalb inständig, nicht nur ohne Rückhalt Ihre Ansicht darüber auszusprechen, sondern auf andere Werke, welche Sie für passend halten, aufmerksam zu machen, und zwar letzteres um so mehr, als die genannten Stücke nicht hinreichen, um den zweiten Abend auszufüllen.
Das Fest welches Aachen im künftigen Jahr feiert, ist das fünfundzwanzigste der niederrheinischen Musikfeste, und muß, um den gerechtfertigten Anforderungen der Provinz entsprechen, so ausgestattet und ausgeführt werden, daß das Publikum in den Leistungen ein Jubelfest erkennt. Wir bitten Sie, verehrter Herr Kapellmeister, wiederholt, die Führung desselben zu übernehmen, und glauben sogar, daß Ihr eigenes Herz Sie drängen wird, sich nochmals an der Spitze aller jender Künstler und Dilettanten zu zeigen, die mit unbedingtem Vertrauen zu Ihrer Fahne schwören, und ihre eigene Auffassung der Tonstücke in der Meistens idealisirt fanden.
Wir verhehlen uns nicht, daß die Kollision des von Ihnen ausgesprochenen Wunsches mit den hier bestehenden Principien etwas Unangenehmes in sich trägt. Allein wir sind auch überzeugt, daß Sie als ein Komponist, dessen Name durch ganz Europa wiederholt, es uns nicht übel deuten, wenn wir frei und unumwunden reden, um erprobte Grundsätze festzuhalten, woran die Existenz eines im hiesigen Lande schon volksthümlich gewordenen Musikfestes hängt.
Wir reihen daher mit Zuversicht auf Gewährung unserer Bitte, und heben in Erwartung baldiger Antwort, die Ehre mit vorzüglicher Hochachtung zu zeichnen

Das Komité

Emundts
Ig van Houtem      Hermens      Ark
Zander      Schmahl./.1
GSchwenger      J.J. Baur
J. Dick      Schorn
Pelzer
GH van Houtem      Küchen
J. Van Gülpen      Hasslacher
Pascal2

Aachen den 8ten December
1842



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an van Houtem, ab 28.05.1842.

[1] Bei dem Zeichen „./..“ handelt es sich um einen freimaurerischen Zusatz zur Unterschrift (vgl. Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 339f. und 348).

[2] Die Identifikation der teilweise sehr undeutlichen Unterschriften folgt der Liste des Komitees zum 25. Niederrheinischen Musikfest in Aachen 1843 in: Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer der Niederrheinischen Musikfeste, Köln 1868, S. 26. Dort außerdem aufgeführt aber hier nicht unterschrieben: Carl von Turanyí.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.07.2024).