Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck 1: „Musikalische Briefe von Moritz Hauptmann. III. an Spohr“, in: Grenzboten 29.2 (1870), S. 177-190, hier S. 180ff.
Druck 2: Moritz Hauptmann, Briefe von Moritz Hauptmann, Kantor und Musikdirektor an der Thomasschule zu Leipzig an Ludwig Spohr und Andere, hrsg. v. Ferdinand Hiller, Leipzig 1876, S. 8ff.

Leipzig, den 1. December 1842.

Lieber verehrter Herr Capellmeister!

{… Mendelssohn, mit dem ich soeben bei einer Conferenz wegen einer kirchlich-musikalischen Angelegenheit war, freut sich gar sehr, daß Sie Ihre neue Ouvertüre dem Concert im Manuskript mittheilen wollen.} Ich habe neulich die „Weihe der Töne" in großer Vollendung im Gewandhaus gehört.1 Sie würden selbst Freude an der Aufführung gehabt haben. Es ist eine Lieblings-Symphonie des Leipziger Concert-Publicums. Es ist doch aber auch ein ganz ander Ding, solche Musik in einem gut geformten und schön decorirten und erleuchteten Saale zu hören, als in einem Schauspiel-Hause, wo es nichts zu schauen gibt und das dem Hören so ungünstig ist als das Casseler. Die besten Aufführungen sind immer wie Bilder ohne Firniß und ohne Rahmen. Meine Frau, die nie andere als Theater-Concerte gehört hatte, ist ebenso erfreut als erstaunt über die schöne Wirkung eines guten Orchesters in einem Saale, wie der hiesige des Gewandhauses. Wenn man die einzelnen Blasinstrumente in ihren Solis hört, lassen manche zu wünschen übrig, wenn auch einige vortrefflich sind, aber die Zusammenwirkung ist sehr befriedigend und besonders in rhythmischen Nüancirungen so schön belebt, wie man sie sonst nur bei einem guten Quartett zu finden gewohnt ist.
<Es ist jetzt vom König von Sachsen die Bestätigung einer zu errichtenden Musikschule in Leipzig erfolgt, wozu ein vor einiger Zeit hier verstorbener Kunstfreund 20,000 Thaler vermacht hat. Sie soll weder die Ausdehnung noch den Namen eines Conservatoriums erhalten, mit der Organisation ist man jetzt beschäftigt. Die Compositionslehre soll mir übertragen werden.2 Nächst diesem neuen Geschäft steht mir von Neujahr an noch ein anderes bevor. Es ist mir nicht gelungen Härtels zu überzeugen, daß ich zu einem Amte, was sie mir schon seit längerer Zeit zugedacht, der Redaction der allgemeinen musikalischen Zeitung, nicht geeignet sei.3 Dem Mangel an Lust setzen sie das Verdienstliche, die gute Sache entgegen und sichern mir dabei alle möglichen Erleichterungen des Geschäftes zu. Ich konnte also nicht wohl anders, als meine Zusage geben. Was dadurch gebessert werden soll, sehe ich noch nicht ein. Fink hat die Zeitung zu zwei Drittheil selbst geschrieben, das kann ich nicht, sie wird also den bisherigen Mitarbeitern und Correspondenten wie früher auch ihre Natur zu danken haben, da ich andere so wenig weiß als anschaffen kann.>
<In vergangner Woche besuchte mich der Claviervirtuos Theodor Döhler.4 Er spielt wie man es von den ersten jetzt zu hören nun schon gewohnt ist.> Von Döhlers Compositionen (von der besseren heutigen Virtuosenmusik) gefallen mir die kürzesten am besten, den längeren fehlt es an eigentlicher Entwickelung, an einem zweiten Theil, an einem Mittelstück; wie wenn man einen Hering gespeist hat und das übrig gebliebene Kopf- und Schwanzstück auf dem Teller zu zusammenlegt; das hat zwar Anfang und Ende, es ist aber doch kein Fisch — oder wie unsere Symphonien im Schauspiel, wenn wir vom Thema im zweiten Theil anfingen. Mir wars immer lieber, den ersten Theil zu geben und in der Dominante zu schließen. Es soll etwas nicht blos bei sich bleiben, es soll herausgehen, um zu sich selbst zu kommen! Das Erste ist nur der Keim, das Andere ist die Frucht. Neulich spielte Mendelssohn sein D moll Concert.5 Das ist doch eine ganz andere Art Musik, nie wird sie blos Virtuosenzweck haben. Auch bei den glänzendsten Sätzen ist es immer der musikalische Gehalt, die Idee, die ihm am Herzen liegt, wie es bei Ihren Violinconcerten auch ist, weshalb allein sie schon über allen Vergleich mit anderen Sachen der Art stehen. Es ist wahr, daß diese modernen Claviervirtuosen Sachen spielen, die man, ohne selbst Clavierspieler zu sein, kaum begreift, auch wenn man sie spielen sieht; aber es wiederholen sich doch dieselben Effecte schon jetzt so viel, daß man kaum noch Interesse daran nehmen kann{, und was die Millionen von Noten betrifft, so mögen das die Rothschilde zu schätzen und abzuschätzen wissen, für uns wirds wieder eine compacte Einheit und Einförmigkeit}. — In dem Concert der Schröder-Devrient kamen mehre interessante Sachen vor, die Ouvertüre zu Rui-Blas von Mendelssohn und Scenen aus der Oper Rienzi von Richard Wagner, welcher selbst dirigirte.6 {Die Ouvertüre ist schnell gemacht, hört sich wenigstens so an, sie gefiel mir recht gut, ich habe aber von Componisten der Art wie Mendelssohn, sowie von Beethoven auch, die satt und reif getragenen Compositionen lieber. In einem früheren Concerte wurde nach einer der schönen Symphonien von Haydn7 eine Ouvertüre von Beethoven (op. 124)8, ein Gelegenheitsstück gegeben, die mir nach jenem so schön künstlerisch empfundenen Werke in ihrem besonderen Gefühls- Egoismus ganz roh und widerlich erschien. Hier heißt es: „Erlaubt ist was gefällt" dort: „Erlaubt ist. was sich ziemt“. Der Unterschied der Sittlichkeit und der bloßen Sinnlichkeit. Die Sittlichkeit schließt die Sinnlichkeit nicht aus, aber sie schließt sie eben ein, sodaß sie nicht alles überschwemmend überlaufe. Beethoven's Compositionen haben dann, wann er sich so gehen läßt, den Charakter geistreicher Improvisationen, die man als solche hochstellen kann, ohne daß sie damit als Kunstwerke auf gleiche Höhe zu stehen kommen. Dort gilt schon der bloße Fortgang und der Gedankenzufluß; im Kunstwerk will man ein überschauendes Selbstbewußtsein durchfühlen, eine Ruhe in der Unruhe, wie denn überall, wo etwas wirkliches d. h. etwas gutes entstehen soll, entgegengesetzte Bedingungen sich vereinigen müssen.} — In Wagners Musik habe ich weit mehr Anspannung und Ausspannung, als erfüllenden Inhalt gefunden. Von der Wirkung einer ganzen Oper kann man wohl nach so wenigen einzelnen Stücken nicht urtheilen, aber die Art der Musik stellt sich doch schon darin dar, und die gefällt mir wieder nicht, es ist wieder die unmusikalische, die am Ausdruck des Einzelnen haftet, die wo von Freud und Leid die Rede ist, beides auseinanderhält und jedes für sich musikalisch ausdrücken will. <Das heißt in Musik setzen wie es die Uhrmacher verstehn, wenn sie sagen, eine Uhr in Oel setzen: wo jedes Zäpfchen mit Oel betupft wird.> Die Worte sollen aber in Musik gesetzt werden, wie man einen Fisch ins Wasser setzt, aus dem trockenen, absondernden Verstandes-Element in das vermittelnde flüssige Gefühls-Element. So machen es die Italiener und was ihnen kunstverwandt ist, wie Mozart, Spohr, die mir nicht übel nehmen mögen, daß ich sie zu diesen zähle. Man hat bei den Italienern nicht nur an Donizetti und Bellini zu denken, sondern an Raphael, an Leonardo und Titian, an die schönste Kunstblüthe. die es gegeben hat. {Wagner hat seine Oper in Paris geschrieben und hatte sie für das dortige große Theater bestimmt, sie trägt auch, soviel sich aus dem Wenigen abnehmen laßt, was wir gehört haben, ganz die Uniform der neuen großen französischen Oper, in dem Wenigen war aber doch viel Langweiliges und Leeres. Wir sitzen in der Oper recht zwischen zwei Stühlen; es ist einem in Lachners Königin von Cypern9 so unbehaglich wie in Halevi's10

Mit innigster Verehrung und Liebe Ihr
M.H.}



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Hauptmann an Spohr, 03. und 05.11.1843. Der Text ist aus beiden Textfassungen kompiliert. Ergänzungen von Druck 1 gegenüber Druck 2 sind mit geschweiften Klammern { } kenntlich gemacht, Ergänzungen von Druck 2 gegenüber Druck 1 mit dreieckigen <>. Spohrs Antwortbrief vom 08.01.1843 ist derzeit nur in einer Inhaltsangabe überliefert.

[1] Zum Gewandhaus-Konzert am 12.11.1842 vgl. „Leipzig, den 19. November 1842”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 945-951, hier Sp. 951; „Sechstes Abonnementsconcert, d. 12. Novbr.”, in: Neue Zeitschrift für Musik 17 (1842), S. 174.

[2] Vgl. „Leipzig, den 11. Januar 1843”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 30.

[3] Vgl. „Ankündigungen”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 1055f.

[4] Zu Döhlers Leipzig-Aufenthalt vgl. „Leipzig, den 2. Januar 1843”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 23-30, hier Sp. 29f.; „Concert von Theodor Döhler. Pianist S. Königl. Hoheit von Lucca, d. 28. Novbr.”, in: Neue Zeitschrift für Musik 17 (1842), S. 197f.

[5] Zum Konzert am 26.11.1842 vgl. „Leipzig, den 2. Januar 1843”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 45 (1843), Sp. 23-30, hier Sp. 25-29; „Concert von Mad. Sophie Schröder, K. Hofschauspielerin aus München, d. 26. Novbr.”, in: Neue Zeitschrift für Musik 17 (1842), S. 196f.

[6] Vgl. ebd.

[7] Im Gewandhaus-Konzert am 20.10.1842 erklang eine D-Dur-Sinfonie von Haydn (vgl. „Leipzig, den 19. November 1842”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 945-951, hier Sp. 945f.; „Drittes Abonnementsconcert, d. 20. Octbr.”, in: Neue Zeitschrift für Musik 17 (1842), S. 157f.), vermutlich eine der Londoner Sinfonien, dann also wohl Hob. I:101 oder 104.

[8] Die Weihe des Hauses (vgl. ebd.).

[9] Catarina Cornaro.

[10] La reine de Chypre.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.11.2016).

Lieber verehrter Herr Capellmeister!

… Mendelssohn, mit dem ich soeben bei einer Conferenz wegen einer kirchlich-musikalischen Angelegenheit war, freut sich gar sehr, daß Sie Ihre neue Ouvertüre dem Concert im Manuskript mittheilen wollen. Ich habe neulich die „Weihe der Töne" in großer Vollendung im Gewandhaus gehört. Sie würden selbst Freude an der Aufführung gehabt haben. Es ist eine Lieblings-Symphonie des Leipziger Concert-Publicums. Es ist doch aber auch ein ganz ander Ding, solche Musik in einem gut geformten und schön decorirten und erleuchteten Saale zu hören, als in einem Schauspiel-Hause, wo es nichts zu schauen gibt und das dem Hören so ungünstig ist als das Casseler. Die besten Aufführungen sind immer wie Bilder ohne Firniß und ohne Rahmen. Meine Frau, die nie andere als Theater-Concerte gehört hatte, ist ebenso erfreut als erstaunt über die schöne Wirkung eines guten Orchesters in einem Saale, wie der hiesige des Gewandhauses. Wenn man die einzelnen Blasinstrumente in ihren Solis hört, lassen manche zu wünschen übrig, wenn auch einige vortrefflich sind, aber die Zusammenwirkung ist sehr befriedigend und besonders in rhythmischen Nüancirungen so schön belebt, wie man sie sonst nur bei einem guten Quartett zu finden gewohnt ist
Von Döhlers Compositionen (von der besseren heutigen Virtuosenmusik) gefallen mir die kürzesten am besten, den längeren fehlt es an eigentlicher Entwickelung, an einem zweiten Theil, an einem Mittelstück; wie wenn man einen Hering gespeist hat und das übrig gebliebene Kopf- und Schwanzstück auf dem Teller zu zusammenlegt; das hat zwar Anfang und Ende, es ist aber doch kein Fisch — oder wie unsere Symphonien im Schauspiel, wenn wir vom Thema im zweiten Theil anfingen. Mir wars immer lieber, den ersten Theil zu geben und in der Dominante zu schließen. Es soll etwas nicht blos bei sich bleiben, es soll herausgehen, um zu sich selbst zu kommen! Das Erste ist nur der Keim, das Andere ist die Frucht. Neulich spielte Mendelssohn sein D moll Concert. Das ist doch eine ganz andere Art Musik, nie wird sie blos Virtuosenzweck haben. Auch bei den glänzendsten Sätzen ist es immer der musikalische Gehalt, die Idee, die ihm am Herzen liegt, wie es bei Ihren Violinconcerten auch ist, weshalb allein sie schon über allen Vergleich mit anderen Sachen der Art stehen. Es ist wahr, daß diese modernen Claviervirtuosen Sachen spielen, die man, ohne selbst Clavierspieler zu sein, kaum begreift, auch wenn man sie spielen sieht; aber es wiederholen sich doch dieselben Effecte schon jetzt so viel, daß man kaum noch Interesse daran nehmen kann, und was die Millionen von Noten betrifft, so mögen das die Rothschilde zu schätzen und abzuschätzen wissen, für uns wirds wieder eine compacte Einheit und Einförmigkeit. — In dem Concert der Schröder-Devrient kamen mehre interessante Sachen vor, die Ouvertüre zu Rui-Blas von Mendelssohn und Scenen aus der Oper Rienzi von Richard Wagner, welcher selbst dirigirte. Die Ouvertüre ist schnell gemacht, hört sich wenigstens so an, sie gefiel mir recht gut, ich habe aber von Componisten der Art wie Mendelssohn, sowie von Beethoven auch, die satt und reif getragenen Compositionen lieber. In einem früheren Concerte wurde nach einer der schönen Symphonien von Haydn eine Ouvertüre von Beethoven (op. 124), ein Gelegenheitsstück gegeben, die mir nach jenem so schön künstlerisch empfundenen Werke in ihrem besonderen Gefühls- Egoismus ganz roh und widerlich erschien. Hier heißt es: „Erlaubt ist was gefällt" dort: „Erlaubt ist. was sich ziemt“. Der Unterschied der Sittlichkeit und der bloßen Sinnlichkeit. Die Sittlichkeit schließt die Sinnlichkeit nicht aus, aber sie schließt sie eben ein, sodaß sie nicht alles überschwemmend überlaufe. Beethoven's Compositionen haben dann, wann er sich so gehen läßt, den Charakter geistreicher Improvisationen, die man als solche hochstellen kann, ohne daß sie damit als Kunstwerke auf gleiche Höhe zu stehen kommen. Dort gilt schon der bloße Fortgang und der Gedankenzufluß; im Kunstwerk will man ein überschauendes Selbstbewußtsein durchfühlen, eine Ruhe in der Unruhe, wie denn überall, wo etwas wirkliches d. h. etwas gutes entstehen soll, entgegengesetzte Bedingungen sich vereinigen müssen. — In Wagners Musik habe ich weit mehr Anspannung und Ausspannung, als erfüllenden Inhalt gefunden. Von der Wirkung einer ganzen Oper kann man wohl nach so wenigen einzelnen Stücken nicht urtheilen, aber die Art der Musik stellt sich doch schon darin dar, und die gefällt mir wieder nicht, es ist wieder die unmusikalische, die am Ausdruck des Einzelnen haftet, die wo von Freud und Leid die Rede ist, beides auseinanderhält und jedes für sich musikalisch ausdrücken will. Die Worte sollen aber in Musik gesetzt werden, wie man einen Fisch ins Wasser setzt, aus dem trockenen, absondernden Verstandes-Element in das vermittelnde flüssige Gefühls-Element. So machen es die Italiener und was ihnen kunstverwandt ist, wie Mozart, Spohr, die mir nicht übel nehmen mögen, daß ich sie zu diesen zähle. Man hat bei den Italienern nicht nur an Donizetti und Bellini zu denken, sondern an Raphael, an Leonardo und Titian, an die schönste Kunstblüthe. die es gegeben hat. Wagner hat seine Oper in Paris geschrieben und hatte sie für das dortige große Theater bestimmt, sie trägt auch, soviel sich aus dem Wenigen abnehmen laßt, was wir gehört haben, ganz die Uniform der neuen großen französischen Oper, in dem Wenigen war aber doch viel Langweiliges und Leeres. Wir sitzen in der Oper recht zwischen zwei Stühlen; es ist einem in Lachners Königin von Cypern so unbehaglich wie in Halevi's […]

Mit innigster Verehrung und Liebe Ihr
M.H.

Leipzig, den 1. Dezember 1842.

[…] Ich habe neulich die Weihe der Töne in großer Vollendung im Gewandhaus gehört, Sie würden selbst Freude an der Aufführung gehabt haben, sie ist eine Lieblings-Symphonie des Leipziger Concertpublicums. Es ist aber auch ein ganz ander Ding, solche Musik in einem gut geformten und schön decorirten und erleuchteten Saal zu hören, als in einem Schauspielhause, wo es nichts zu schauen giebt und das dem Hören so ungünstig ist als das Casseler. Die besten Aufführungen dort sind immer wie Bilder ohne Firniß und ohne Rahmen. Wenn man hier die einzelnen Blasinstrumente in ihren Solis hört, lassen manche zu wünschen übrig, wenn auch einige vortrefflich sind; aber die Zusammenwirkung ist sehr befriedigend und besonders in rhythmischen Nüancirungen so schön belebt, wie man sie sonst nur bei einem guten Quartett zu finden gewohnt ist. — Es ist jetzt vom König von Sachsen die Bestätigung einer zu errichtenden Musikschule in Leipzig erfolgt, wozu ein vor einiger Zeit hier verstorbener Kunstfreund 20,000 Thaler vermacht hat. Sie soll weder die Ausdehnung noch den Namen eines Conservatoriums erhalten, mit der Organisation ist man jetzt beschäftigt. Die Compositionslehre soll mir übertragen werden. Nächst diesem neuen Geschäft steht mir von Neujahr an noch ein anderes bevor. Es ist mir nicht gelungen Härtels zu überzeugen, daß ich zu einem Amte, was sie mir schon seit längerer Zeit zugedacht, der Redaction der allgemeinen musikalischen Zeitung, nicht geeignet sei. Dem Mangel an Lust setzen sie das Verdienstliche, die gute Sache entgegen und sichern mir dabei alle möglichen Erleichterungen des Geschäftes zu. Ich konnte also nicht wohl anders, als meine Zusage geben. Was dadurch gebessert werden soll, sehe ich noch nicht ein. Fink hat die Zeitung zu zwei Drittheil selbst geschrieben, das kann ich nicht, sie wird also den bisherigen Mitarbeitern und Correspondenten wie früher auch ihre Natur zu danken haben, da ich andere so wenig weiß als anschaffen kann. — In vergangner Woche besuchte mich der Claviervirtuos Theodor Döhler. Er spielt wie man es von den ersten jetzt zu hören nun schon gewohnt ist. Von Döhler's Compofitionen (von der besseren heutigen Virtuosenmusik) gefallen mir die kürzesten am besten. Den längeren fehlt es an eigentlicher Entwicklung, an einem zweiten Theil, an einem Mittelstück; wie wenn man einen Häring gespeist hat und das übriggebliebene Kopf- und Schwanzstück auf dem Teller zusammenlegt — das hat zwar Anfang und Ende, es ist aber doch kein Fisch. Es soll etwas nicht blos bei sich bleiben, es soll herausgehn um zu sich selbst zu kommen, — das erste ist nur der Keim, das andere ist die Frucht. Neulich spielte Mendelssohn sein D moll Concert, das ist doch eine ganz andere Art Musik, nie wird sie blos Virtuofenzweck haben; auch bei den glänzendsten Sätzen ist es immer der musikalische Gehalt, die Idee, die ihm am Herzen liegt, wie's bei Ihren Violinconcerten auch ist, weßhalb allein sie schon über allem Vergleich mit andern Sachen derart stehen. Es ist wahr, daß diese modernen Claviervirtuosen Sachen spielen, die man ohne selbst Clavierspieler zu sein kaum begreift, auch wenn man sie spielen sieht, aber es wiederholen sich doch dieselben Effecte jetzt schon so viel, daß man kaum noch Interesse daran nehmen kann. In dem Concert der Schröder-Devrient kamen mehrere interessante Sachen vor: die Ouvertüre zu „Ruy Blas" von Mendelssohn und Scenen aus der Oper „Rienzi" von Richard Wagner, welche er selbst dirigirte. In Wagner's Musik habe ich weit mehr Anspannung und Ausspannung als erfüllenden Inhalt gefunden. Von der Wirkung einer ganzen Oper kann man wohl nach so wenig einzelnen Stücken nicht urtheilen, aber die Art der Musik stellt sich doch schon darin dar und die gefällt mir wieder nicht: es ist wieder die unmusikalische, die am Ausdruck des einzelnen haftet, die, wo von Freud' und Leid die Rede ist, beides auseinander hält und jedes für sich musikalisch ausdrücken will. Das heißt in Musik setzen wie es die Uhrmacher verstehn, wenn sie sagen, eine Uhr in Oel setzen: wo jedes Zäpfchen mit Oel betupft wird. Die Worte sollen aber in Musik gesetzt werden wie man einen Fisch ins Wasser setzt, aus dem trocknen absondernden Verstandeselement in das vermittelnde flüssige Gefühlselement. So machen es die Italiener und wer ihnen kunstverwandt ist wie Mozart, Spohr, die mir's nicht übel nehmen mögen, daß ich sie zu diesen zähle. Man hat bei den Italienern nicht nur an Donizetti und Bellini zu denken, sondern an Raphael, an Leonardo und Tizian, an die schönste Kunstblüthe die es gegeben hat.