Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.6 <Meier 18420211>
Druck und Faksimile: Autographen, Handschriften und Dokumente von 1341 bis 1977 (Katalog Manuscryptum zur Antiquariatsmesse Ludwigsburg), Berlin 2018, Bl. [38] (teilweise)

Sr. Wohlgeb.
Herrn Adolph Meier
Lehrer
in
Lübeck.

frei.


Cassel den 2ten Nov.
1842.

Hochgeehrter Herr,

Ihre freundlichen Gaben in Begleitung des interessanten und witzigen Schreibens1 haben uns sehr erfreuet, aber auch beschämt, besonders mich; denn ich muß fürchten, daß mein Auftrag an den jungen Souchay von diesem ganz falsch verstanden wurde und um nun2 in Ihren Augen nicht als höchst unbescheiden zu erscheinen, werde ich wohl den Vorfall des Breiten erzählen müssen. Das Brillenfuteral das ich Ihrer Güte verdanke, hatte sich als so zweckmäßig und dauerhaft bewährt, daß ich mich so wohl hier wie auch auf der Reise nach Carlsbad schon längst nach einem ähnlichen umgesehen hatte, jedoch ohne es zu finden. Wie mir nun eines Abends in der Oper als ich eben die Brille in das beliebte Futeral3 einsargte, der junge Souchay4 sagte, daß er binnen kurzem den Besuch seines Vaters5 erwarte, so zeigte ich es ihm als ein Lübecker Product und bat ihn, es seinem Vater genau zu beschreiben und um Einkauf eines solchen für mich zu bitten. Ich fügte hinzu (und daß hat das Mißverständniß veranlaßt,) „wenn Ihr Herr Vater den Verfertiger nicht kennt, so wird er ihn bey dem jungen Herrn Meier erfahren können. Ob nun der j. S. meinen Auftrag falsch verstanden oder undeutlich wiedergegeben hat, weiß ich nicht; aber hoffentlich werden Sie mich nun nicht länger einer so naiven Unbescheidenheit fähig halten, als die Art und Weise, wie Herr Souchay Vater sich des Auftrag‘s entledigt hat, mir andichten muste! Ich kann jedoch dem Mißverständniß nicht zürnen, da es uns eine so liebe Zuschrift und so interessante Gaben von Ihnen gebrach hat. Empfangen Sie unsern herzlichen Dank dafür! Die Schrift hat meine Frau [mit dem lebhaftesten Interesse und süßer Erinnerung an die liebe Schule in Lübeck]6 schon durchgelesen; nun steht mir dieser Genuß bevor; dann wird sie in das Pfeiffersche7 Haus wandern.
Seit der Ferienreise, die uns nach dem, meiner Frau so lieben Lübeck führte, haben wir wieder zwei Reisen gemacht, deren dießjährige jedoch nicht blos das Vergnügen, sondern auch eine Badekur in Carlsbad zum Zweck hatte. Die vorjährige führte uns nach der Schweitz, wo wir in Luzern auch dem Musikfeste und der Aufführung meines Oratoriums „des Heilands letzte Stunden“ beiwohnten.8 Der Natur-Genuß war indessen bey weitem erhabender wie der Kunst-Genuß! - Die interessanteste Reise, die wir für disen Herbst beabsichtigen, war die nach Norwich, um dem dortigen Musikfeste beyzuwohnen. Ich hatte im Auftrag des dortigen Comitée‘s ein neues Oratorium „der Fall Babylons“ komponirt und wollte dieß selbst dort einführen. Allein der Prinz9 verweigerte mir hartnäckig Urlaub, ohnerachtet dieser zuerst von der Königin von England auf diplomatischem Wege, dann vom Herzog von Cambridge in einem eigenhändigen Schreiben an den Prinz und zuletzt noch von der Stadt Norwich in einer Petition des Magistrats und der Bürgerschaft nachgesucht wurde. Auf alle diese Bitten wurde ohne allen Grund (denn ich konnte sehr gut abkommen,) verneinend geantwortet und so muste ich denn verzichten, hatte jedoch den Trost, daß mein Werk auch ohne mich, vorzüglich gut executirt und vom Publiko höchst günstig aufgenommen wurde. Des Prinzen und seine Ungefälligkeit wird aber in englischen Blättern mit weniger Schonung gedacht!10 - Von uns und dem Pfeifferschen Hause an die lieben Ihrigen die herzlichsten Grüße! Ganz der Ihrige

Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Meier an Spohr.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] „nun“ über der Zeile eingefügt.

[3] Hier hinter „t“ ein zweites „t“ gestrichen.

[4] Marc André Souchay jun.

[5] Marc André Souchay sen.

[6] Ausdruck in Klammern am linken Seitenrand eingefügt. - Marianne Spohr lebte als Schülerin 1820 kurze Zeit mit ihrer Familie in Lübeck (vgl. Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 251; Jürgen Nolte, Burchard Wilhelm Pfeiffer. Gedanken zur Reform des Zivilrechts. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Zivilgesetzgebung (= Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 1), Göttigen u.a. 1969, S. 20f.).

[7] Marianne Spohr war eine geborene Pfeiffer.

[8] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 27.06.-25.07.1841; Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 260f.

[9] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[10] Vgl. „The absence of Spohr, by the caprice of the Elector, the great maestro‘s capel-meister has proved a grievous disappointment at his appointment, as his personal conducting of his new Oratorio, the Fall of Babylon, was expected by thousands who greeted him on his visit in 1839“ („Musical notes“, in: Theatrical Journal 3 (1842), S. 309f., hier S. 310).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.06.2018).