Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Soest d. 19ten September
1842.

Es wird Ihnen seltsam vorkommen einen Brief aus ganz fremden Händen zu erhalten, noch seltsamer wird Ihnen der Inhalt sein und ich wage es nehmlich auf der guten Meinung welche ich von Ihnen bekommen, durch den guten Characterzug der aus all Ihren Thaten spricht, der Ihren guten Werken schon immer voraus geht, eine Bitte auszusprechen.
Mein größter mein einziger Wunsch auf dieser Erde war: mich der Musik widmen zu dürfen, doch dieser Wunsch war mir versagt, da die Eltern eine große Familie haben, und kein Vermögen hatten mich ausbilden zu laßen. – Gott hat mir eine starke gute Stimme verliehen, und mit vielem Fleiße mit vieler Mühe brachte ich es so weit, daß ich in Privat-Concerte auftreten konnte, warum ich öfter gebeten wurde. Ich lernte mit der Zeit den tiefen Werth der Musik so wie der Compositionen kennen, ward Verehrerin von: Beethoven, Mozart, Haydn, und – wenn ich es ausprechen darf – von Ihnen. Je mehr ich von Ihnen spielte, sang, hörte, wagte sich das Verlangen in mir, Sie kennen zu lernen, unter Ihrer Leitung mich ausbilden zu dürfen.
Doch wie sollte mir dieser Wunsch gestattet werden können. Die Eltern konnten mit dem besten Willen nicht so viel an mich wenden, obgleich Vater ein anständiges Amt begleidet; doch sind die Beamten heut zu Tage so schlecht angestellt, daß wenn sie eine zahlreiche Familie haben, an einem Orte leben wo Alles sehr theuer ist, sie sich kaum mit Ehren aufrecht erhalten können. – Vor einem Jahre reißte ich nach dem Rhein meine Schwester zu besuchen, wo ich durch Cassel kam. Ein gewaltiger Kampf regte sich in mir, so in Ihrer Nähe, und ich durfte den heißen Wunsch und Bitte den Sie mir vielleicht doch erfüllt hätten nicht aussprechen. Denn die Bestimmung meiner Reise war: Meine Schwester zu pflegen, da sie, ihr Mann und ein Kind krank lagen; wo also die Reise keinen Aufschub erleidete. Nun bin ich auf meiner Rückreise, und ich wage es ohne Wissen der Eltern Ihnen diesen meinen Wunsch auszusprechen: ob Sie wohl geneigt waren mich in Ihrem Hause als Schülerin und Freundin aufzunehmen. Ich will Ihrer Fr. Gemahlin zur Hand seyn wie und wo ich kann; ich bin in weiblichen Handarbeiten, wie in der Wirthschaft nicht unbewandert; ich würde also Ihrer Fr. Gemahlin zur Hand seyn wo ich könnte. Alles was einigermaßen Unkosten um meinetwillen könnte hervorbringen, würde ich bitten zu vermeiden. Ich will mich ganz Ihren Gewohnheiten anschließen, ganz still und unbemerkt leben, wollten Sie mir nur gestatten, in Ihrem Hause unter Ihrer Leitung mich der Musik widmen zu dürfen. Ich bin überzeugt daß wenn meine lieben Eltern meinen Plan wovon sie keine Ahnung haben zu meinem Besten ausgeführt sehen, sie mir nicht zürnen würden, denn sie haben Ihr Kind viel zu lieb als daß sie es in ihrem Glücke hindern könnten; es hat meinen Eltern schwere Opfer gekostet mit diesen Wunsch auszuschlagen. – Nun wollte ich Sie noch bitten: mir so bald als möglich darüber Antwort zukommen zu lassen, und unter allen Umständen ein Stillschweigen darüber zu führen, darum bitte ich Sie dringend. Sollte ja nichts daraus werden, was Gott verhüten möge, so könnte es doch leicht bis nach unserem Orte gelangen; und auch wenn ich zu Ihnen käme, wäre es mir doch sehr lieb wenn es bekannt wäre, ich bitte Sie mir könnten recht bald Nachricht geben. Ich verbleibe mit Hochachtung

Ihre ergebene glückliche
Julie Soull[ier]

Autor(en): Julie Soullier
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842091947

Spohr



Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.05.2023).