Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[195,12

Professor Taylor
adr. Mr. John Edward Taylor,
Printing Office, Red Lion Court
Fleet Street.
London.

franco
Rotterdam.


Cassel den 10ten Juni
18401.

Mein theurer Freund,

Ich schreibe Ihnen heute in der trübsten Stimmung, denn meine Hoffnung, dem Norwicher Musikfeste beywohnen zu können, schwindet von Tage zu Tage immer mehr! Durch Ihr letztes Schreiben wurde sie noch einmal aufgerichtet, da es mir verkündete, der Herzog von Cambridge wolle an unsern Prinzen schreiben. Allein entweder hat ihn sein Versprechen gereut oder er hat es vergessen, denn bis heute ist kein solches Schreiben an unsern Prinzen angekommen. Ich weiß dieses von seinem Cabinetsecretair2, dem die Beantwortung obliegen würde. Dieser hat mir zugleich vertrauet, daß der Prinz3 sich bey der ersten Anfrage so entschieden gegen die Reise ausgesprochen habe, daß er fürchte, es werde keinerley Fürsprache helfen. Ich hoffe immer noch, daß, wenn er ein eigenhändiges Schreiben vom Herzog von Cambridge erhält, er nicht gut nein! sagen kann! Die Hauptsache, warum er so sehr gegen die Reise ist, scheint mir seine Vermuthung, daß Frau von Malsburg die Absicht habe, uns zu begleiten. Daß diese dazu seiner Erlaubnis nicht bedarf, ärgert ihn hauptsächlich. Deshalb versagt er mir den Urlaub, um ihr die Reise unmöglich zu machen. Wir schließen dieß daraus, daß er kürzlich Herrn von Malsburg im hämischen Tone gefragt hat: „Nun, Fr. v. Malsburg rüstet sich wohl auch schon zur englischen Reise?“ - Sollten Sie in Erfahrung bringen,daß der Herzog von Cambridge geschrieben hat oder noch schreiben will, so melden Sie es mir doch gleich, damit ich meine Hoffnung noch einmal zu hellen Flammen anblasen kann! Denn hier erfahre ich nichts in dieser Angelegenheit, weil der Prinz seiner Umgebung verbietet, mir irgend eine Mittheilung zu machen. Hatte er bey der vorigen Anfrage doch sogar dem Minister des Auswärtigen4 verboten, mich von der Depesche des Lord Aberdeen in Kenntnis zu setzen! so daß ich erst etwas erfuhr, wie die Antwort schon seit 5 Tagen abgegangen war.
In 8 Tagen beginnt die Zeit unserer Theaterferien, während welchen mir der Urlaub nicht versagt werden kann, weil ich ihn contractlich zugesichert habe. Diesen werde ich zu einer Badekur in Carlsbad benutzen. Ihre Briefe werden aber, wenn auch einige Tage später, doch unter der bisherigen Adresse sicher in meine Hände kommen. Da alles, was nach meiner Abreise hier ankommt, mir sogleich nachgeschickt wird. Erfreuen Sie mich recht bald mit Nachrichten und wo möglich mit solchen, die meine tief gesunkene Hoffnung ein wenig wieder aufrichten können! Der Gedanke ist mir gar zu schmerzlich, daß ich mein liebstes Werk5, das, was ich eigends zum Musikfeste ist Norwich geschrieben habe, nun nicht einmal selbst dort einführen soll! -
Frau von Malsburg, die gestern aufs Land gegangen ist, hat uns aufgetragen, auf das herzlichste zu grüßen. Von meiner Frau lege ich einen Brief bey.
Mit wahrer Freundschaft ganz

der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 20.05.1842. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Taylor an Spohr, 02.06.1842, den Spohr am 18.06.1842 beantwortete. Taylor beantwortete diesen Brief am 24.06.1842.

[1] Sic! Die richtige Datierung 1842 ergibt sich aus dem Inhalt und dem Zusammenhang der Korrespondenz.

[2] In den Staatskalendern für 1842 und 1843 fehlt die Angabe des Sekretärs (vgl. Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staatshandbuch (1842), S. 99, (1843), S. 99).

[3] Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm.

[4] Christoph Heinrich Wilhelm von Steuber (vgl. Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staatshandbuch (1842), S. 100).

[5] Der Fall Babylons.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.01.2019).