Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,187
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 235f. (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m

franco


Cassel den 3ten Mai
1842.

Geliebter Freund,

Ihren so schmerzlichen Verlust habe ich auf das Tiefste mitempfunden, da mich ja ein gleiches Geschick betroffen hat!1 Jetzt ist es wieder jährig und noch immer wird mir die schöne Frühlingszeit durch die Erinnerung daran verbittert! – Einigen Trost haben mir allerdings gute Nachrichten von Emilie in Newjork gewährt.2 Sie hat 2 eigene Concerte gegeben, die sehr einträglich waren3 und für Honorar in mehreren andern gesungen.4 Für die Osterwoche war sie nach Boston engagirt, um zwei Mal das Altsolo in den „letzten Dingen” zu singen.5 Auch mit ihres Mannes Geschäft (Fabrique von Posamentirgegenständen) geht es sehr gut, so daß sie hoffen, in einer nicht zu langen Reihe von Jahren, so viel zu verdienen, um ganz nach Europa zurückkehren zu können. So bleibt mir die Hoffnung, diese Tochter und ihr liebenswürdiges Kind6 in diesem Leben noch einmal wieder zu sehen!
Die nächste Veranlassung zu diesem Briefe ist eine Anfrage: Ich vermisse nämlich die Partitur und Orchesterstimmen meines Oratoriums „Die letzten Dinge” und kann mich durchaus nicht besinnen, wohin ich sie zuletzt verborgt habe, da sie schon von gar zu vielen Orten her von mir verlangt wurden. Nun erinnere ich mich dunkel, daß ich auch einmal von jenseits des Rheins darum angegangen wurde und daß man Sie um Ihre Fürsprache gebeten hatte.7 Wissen Sie nicht mehr, woher das war? und ob die Partitur und Stimmen her geschickt worden sind? An zwei Orte, wohin ich die Stimmen auch verborgt hatte, habe ich schon vergeblich geschrieben, da man betheuert, sie zurück gegeben zu haben.8 Können Sie mir vielleicht irgend eine Auskunft geben?
Meine große Doppelsinfonie „Irdisches und Göttliches im Menschenleben” hat hier großes Glück gemacht. Ich wurde von vielen Seiten aufgefordert, sie im letzten Abonnementconcerte zu wiederholen und dieß war das besuchteste Concert, welche je hier im Theater stattgehabt hat.9 Auch in Leipzig hat sie, nach den Berichten der mus. Zeitungen, sehr gefallen.10 Jetzt wird sie unter Moscheles Direction im nächsten Philharmonischen Concerte in London gegeben werden. Über die Vorprobe hat er mir schon berichtet; sie hat bei dem 200 Personen starken Auditorium große Sensation gemacht [w]ie er mir schreibt.11 – Das Nächste was ich [zu] schreiben habe, ist ein 2tes Trio [für] Violine Pianoforte und Violoncell[o. Das] erste, bey Schubert in Hamburg ist Ihnen wohl schon zu Gesicht gekommen? Es hat bereits, wie ich aus einigen Berichten der Zeitungen sehe, eine weite Verbreitung gefunden. – Während der Ferienzeit werde ich mit meiner Frau nach Carlsbad gehen. Sehr gespannt bin ich, ob die Englische Gesandschaft in Frankfurt a/m mir den Urlaub zur Englischen Reise auswirken wird. Soeben hat mir Freund Kuper angezeigt, daß das Gesuch hier eingegangen sey.12 – Die herzlichsten Grüße an die lieben Ihrigen. Mit unveränderter Freundschaft

stets Ihr Louis Spohr

NS. Einem Paquete a[n Herrn] Kuper13, welches ich in einigen Tagen absende, werde ich ein Exemplar des 1sten Trios für Ihre Tochter(?) beylegen.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 25.04.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 02.01.1843.

[1] Der Tod seiner Tochter Therese.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[3] Vgl. „Madame Spohr Zahn’s Concert”, in: New World 4 (1842), S. 15.

[4] „Mr. Horn’s Concert”, in: ebd., S. 31; „Oratorio of the Messiah”, in: ebd., S. 191; „Concert at the Tabernacle”, in: ebd., S. 319

[5] Vgl. „Music in New York”, in: Musical Magazine 3 (1842), S. 363ff., hier S. 365; „Music in Boston. Winter Season 1841-1842”, in: ebd., S. 414-420, hier S. 417-420; „Entertainements of the Past Winter”, in: Dial 3 (1842), S. 46-72, hier S. 57.

[6] Nathalie Zahn, später verh. Wiegand.

[7] Anfrage des Donnersberger Musikvereins in Kirchheimbollanden in Speyer an Spohr, 27.07.1836

[8] Diese Briefe sind derzeit verschollen.

[9] Vgl. „Cassel am 6. Januar”, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft 4 (1842), S. 31.

[10] Vgl. „Dreizehntes Abonnementconcert, d. 13. Januar”, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842), S. 35f.; „Leipzig, den 21. Januar 1842”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 80-86, hier Sp. 81ff.

[11] Ignaz Moscheles an Spohr, 31.03.1842.

[12] Henry Kuper an Spohr, 29.04.1842.

[13] Partitur zu Die Weihe der Töne; vgl. Kuper an Spohr, 29.04.1842.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.03.2016).

Cassel, 3. Mai 1842.
Ihren so schmerzlichen Verlust habe ich auf das Tiefste mitempfunden, da mich ja ein gleiches Geschick betroffen hat! Jetzt ist es wieder jährig und noch immer wird mir die schöne Frühlingszeit durch die Erinnerung daran verbittert! ...
Meine große Doppelsinfonie, ,Irdisches und Göttliches im Menschenleben’, hat hier großes Glück gemacht. Ich wurde von vielen Seiten aufgefordert, sie im letzten Abonnementkonzert zu wiederholen und dieses war das besuchteste Konzert, welche je hier im Theater stattgehabt hat. Auch in Leipzig hat sie, nach den Berichten der musikalischen Zeitungen, sehr gefallen. Jetzt wird sie unter Moscheles’ Direktion im nächsten Philharmonischen Konzert in London gegeben werden. Über die Vorprobe hat er mir schon berichtet; sie hat bei den zweihundert anwesenden Personen große Sensation gemacht, wie er mir schreibt ... Sehr gespannt bin ich, ob die Englische Gesandschaft in Frankfurt mir den Urlaub zur Englischen Reise auswirken wird. Soeben hat mir Freund Kuper in London angezeigt, daß das Gesuch hier eingegangen sei ...