Autograf: Sammlung Dr. Erwin Sell
Druck: E. Fritsche, „Ein Brief von Louis Spohr“, in: Deutsche Musiker-Zeitung 15 (1884), S. 94

Sr. Wohlgeb.
Dem Herrn Hofmusikdirector
Dr. Gassner
Hof-Musikdirektor
in
Carlsruhe.

franco.


Cassel den 31ten März
1842.

Hochgeehrtester Herr,

Entschuldigen Sie gütigst, daß ich Ihnen für Ihre freundliche Zusendung erst jetzt meinen ergebensten Dank abstatte. Ich wünschte sehr mich ein wenig mit dem Inhalt der Zeitschrift bekannt zu machen;1 die vielen Theaterarbeiten der Frühjahrsmesse, so wie die Musikaufführungen der Charwochen nahmen aber2 bisher meine ganze Zeit so in Anspruch, daß ich nun erst dazu habe gelangen können.
Der Zweck Ihrer Zeitschrift: dem Dilettantismus eine Richtung zum Guten zu geben und ihn über den Werth oder Unwerth der neuen Kunsterzeugnisse aufzuklären, ist gewiß ein sehr ehrenwerther und der Kunst fördernder! Ob er aber durch Äußerungen wie pag. 20: „Er (Berlioz) vereinigt in sich Mozarts Harmonieschönheiten, Beethovens Tiefe p.p.”3 erreicht werden kann, überlasse ich Ihrem Urtheile, der Sie wahrscheinlich auch, wie wir andern deutschen Künstler, noch im Zweifel seyn werden, ob die Kompositionen Berlioz's überhaupt Musik zu nennen sind, die Überzeugung aber sicher theilen werden, daß das Beste, was er bis jetzt geschrieben hat, nicht dem Schlechtesten der genannten Meister an die Seite gesetzt werden darf!
Ihrem Wunsche, Ihnen einen Beytrag für Ihre Zeitschrift zu senden, werde ich gern nachkommen, sobald ich eine Arbeit4, die mich jetzt beschäftigt, beendigt haben werde. Das passendste mögte wohl ein Lied seyn5.
Mit der Bitte um einen herzlichen Gruß an Freund Witzenmann unterzeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ew. Wohlgeb.
ergebenster
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Gassner, Ferdinand Simon
Erwähnte Personen: Berlioz, Hector
Witzenmann, Johann Friedrich
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Sgst Kl, op. 139
Spohr, Louis : Trios, Vl Vc Kl, op. 123
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842033114

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Gassner an Spohr, 19.03.1842. Mit seinem nächsten erhaltenen Brief vom 13.06.1842 versandte Spohr das Gassner versprochene Lied.

[1] Hier gestrichen: „und”(?).

[2] „aber” über der Zeile eingefügt.

[3] Ferdinand Braun, „Ein musikalisches Diner bei einem ehemaligen Volksrepräsentanten in Paris“, in: Zeitschrift für Deutschlands Musik-Vereine und Dilettanten 1 (1841), S. 7-26, hier S. 20.

[4] Das Klaviertrio op. 123 (vgl. Folker Göthel, Thematisch-bibliographisches Verzeichnis der Werke von Louis Spohr, Tutzing 1981, S. 211).

[5] Das später in op. 139 aufgenommene „Marie“, in: Zeitschrift für Deutschlands Musik-Vereine und Dilettanten 2 (1842), Beilage 12 [Digitalisat unvollständig] (vgl. Göthel, S. 471).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.07.2018).